14.09.2017

SPRINT - Sprache und Integration

Ein Schulversuch aus Niedersachsen

von Natascha Wehlisch

Um das bundesweite Angebot für junge Zugewanderte auf Landesebene zu erweitern und den Eintritt für die jungen Menschen in die Arbeitswelt zu erleichtern, hat das Land Niedersachsen die bestehenden Fördermöglichkeiten ausgebaut und das Projekt SPRINT ins Leben gerufen. SPRINT steht für Sprache und Integration.

Bei dem Modellprojekt handelt es sich um einen Schulversuch, bei dem ein neues pädagogisches und organisatorisches Konzept für die zugewanderten Jugendlichen erprobt werden soll. SPRINT richtet sich sowohl an schulpflichtige als auch an nicht schulpflichtige neu Zugewanderte zwischen 16 und 21 Jahren. Damit bildet das Projekt eine Brücke zwischen auslaufender Schulpflicht und dem Übergang in Ausbildung und Beruf.

Landesspezifische Ergänzung bundesweiter Maßnahmen

Das SPRINT-Projekt, das im Oktober 2015 an den Start gegangen ist, war zunächst auf ein Förderjahr ausgelegt, in dem der Spracherwerb im Fokus steht. Aufgrund der großen Nachfrage sowie der Tatsache, dass für viele der zugewanderten Jugendlichen ein Förderjahr oftmals nicht ausreicht, um sich so weit zu qualifizieren, dass sie nach der Förderung erfolgreich in eine Ausbildung überwechseln könnten, wurde der Schulversuch im November 2016 um SPRINT-Dual erweitert. Damit steht den Jugendlichen ein weiteres Förderjahr offen, in dem sie – als Vorstufe zur dualen Berufsausbildung – die Berufsschule besuchen und gleichzeitig praktische Erfahrung in einem Betrieb sammeln können.

98 teilnehmende Schulen mit insgesamt 317 SPRINT-Klassen

Klick zum VergrößernAnzahl SPRINT-Klassen in Niedersachsen

Die Teilnahme an SPRINT und SPRINT-Dual steht allen Berufsschulen in Niedersachsen offen, die über die notwendigen Ressourcen – also ausreichende Räumlichkeiten und Personal verfügen. Die Besonderheit an SPRINT ist, dass die Jugendlichen in eigenen Flüchtlingsklassen unterrichtet werden, in denen sie gezielt sprachlich gefördert und mit den kulturellen Gegebenheiten in Deutschland sowie den Anforderungen des Berufsbildungssystems vertraut gemacht werden können. Bis zum Mai 2017 nahmen bislang 98 Schulen mit insgesamt 317 Klassen und rund 4400 Schülerinnen und Schülern an SPRINT teil. Die Teilnehmenden, die das Potenzial haben, eine Ausbildung zu absolvieren, werden im Anschluss in SPRINT-Dual aufgenommen. In den insgesamt 63 SPRINT-Dual-Klassen befinden sich momentan 800 Schülerinnen und Schüler. Diese verteilen sich auf 48 beteiligte Schulen in ganz Niedersachsen.

Spracherwerb und Alltagspraxis

Klick zum VergrößernProjektübersicht SPRINT und SPRINT-Dual

Um das Ziel der sprachlichen und beruflichen Integration zu erreichen, durchlaufen die zugewanderten Jugendlichen in SPRINT und SPRINT-Dual jeweils drei Module. Im ersten Förderjahr liegt der Fokus zunächst auf dem Spracherwerb. „Hier werden erst einmal wichtige Basics vermittelt, zum Beispiel auf den Markt gehen, einkaufen und bezahlen, Produkte beschreiben, die man dort sieht“, berichtet Christian Westensee, Berufsschullehrer und Koordinator der Sprach- und Integrationsklassen an der Arnoldi Schule in Göttingen.

Modul II zur Einführung in die regionale Kultur und Lebenswelt steht dabei in enger Verbindung mit der Sprachförderung der Jugendlichen. Zentrales Ziel sei es, dass sich die Schülerinnen und Schüler vor Ort eigenständig bewegen können, so Westensee. Das gehe nur, indem man miteinander etwas erlebe und Kontakte knüpfe. „Wir haben deshalb viele verschiedene Orte des Lebens besucht: Wir sind zu Messen gegangen, ins Theater, zu Konzerten, in das Badeparadies, in den Sportverein – damit die Flüchtlinge sehen, wo was ist und wie sie sich in bestimmten Kontexten verhalten müssen.“

„Wir haben viele verschiedene Orte des Lebens besucht: Wir sind zu Messen gegangen, ins Theater, zu Konzerten, in das Badeparadies, in den Sportverein – damit die Flüchtlinge sehen, wo was ist und wie sie sich in bestimmten Kontexten verhalten müssen.“

 

Flexible Gestaltung statt starrem Korsett

„Das Besondere an SPRINT ist, dass die Maßnahme von den teilnehmenden Schulen sehr individuell ausgestaltet werden kann“, betont Volker Barckmann von der Niedersächsischen Landesschulbehörde. „Es wird kein starres Korsett vorgegeben, sondern die Module können je nach den Bedarfen vor Ort zugeschnitten werden“.

So können auch sehr alltagstaugliche Dinge in den Unterricht einfließen, wie zum Beispiel einen Fahrplan zu lesen oder ein Formular auszufüllen, die den Jugendlichen helfen, sich in ihrem neuen Alltag in Niedersachsen zurecht zu finden. Zudem muss die Durchführung der Module nicht zwingend in schuleigenen Einrichtungen erfolgen, sondern kann auch in außerschulischen Einrichtungen, wie beispielsweise einer Volkshochschule, stattfinden.

Heidi Ludewig, Berufsschullehrerin und Koordinatorin von SPRINT in Borkum, sieht in den flexiblen Gestaltungsmöglichkeiten einen entscheidenden Mehrwert: "Die Vorgabe der Module ist zwar da, aber innerhalb der Module gibt es ganz viel Bewegungsfreiheit. Natürlich muss man auch eine Vorplanung machen, aber diese ist jederzeit anpassbar und erweiterbar."

Mit diesen Möglichkeiten der individuellen Ausgestaltung antwortet das Projekt auf die Herausforderung, einerseits der Heterogenität der Zielgruppe und andererseits den unterschiedlichen Rahmenbedingungen von den berufsbildenden Schulen in den Großstädten Göttingen oder Hannover, bis hin zu den ländlichen Regionen der Lüneburger Heide oder Ostfrieslands gerecht zu werden.

„Die Rahmenbedingungen sind bewusst sehr offen gehalten, um alles möglich zu machen. Es ist kein Korsett, bei dem konkrete Inhalte vorgegeben wären."

 

Heterogenität als Herausforderung

Da die Vorkenntnisse der Jugendlichen sehr unterschiedlich sind, ist es wichtig die Maßnahmen sehr spezifisch zuzuschneiden. "Da kann man nicht alle über einen Kamm scheren", bekräftigt Volker Barckmann. Berufsschullehrer Christian Westensee hält die Heterogenität innerhalb der Klassen für eine der großen Herausforderungen im Schulalltag. „Wir haben sowohl Schülerinnen und Schüler, in unseren Klassen, die in ihrem Heimatland bereits studiert haben, als auch junge Menschen, die kaum Schulbildung genossen haben. Die haben natürlich deutlich größere Lernschwierigkeiten und einen großen Nachholbedarf.“ Insbesondere die Arbeit mit den primären Analphabeten unter den Sprachanfängern sei sehr anspruchsvoll, erklärt Westensee.

Kein SPRINT-Schulversuch gleicht dem anderen

Schülerinnen und Schüler der BBS Borkum

Wie unterschiedlich die Zusammensetzung der Klassen und die Voraussetzungen der jungen Flüchtlinge sind und wie wichtig gerade deshalb ein individueller Zuschnitt ist, zeigen auch die Erfahrungen an der BBS Borkum. "Es sind zwei Verheiratete dabei, die mit ihren Eheleuten im Kurs saßen. Und eine Hochschwangere, die aber inzwischen ihr Kind hat“, erzählt die SPRINT-Koordinatorin. Zwei der Teilnehmer hätten in Syrien nur einen Teil ihrer Grundschulzeit absolviert und nur begrenzt lesen und schreiben können.

Deshalb habe man parallel zur Einführung in die deutsche Sprache in Modul I, Schreibübungen durchgeführt, um die Schülerinnen und Schüler erst einmal mit der lateinischen Schrift vertraut zu machen. "Das hat schon einige Zeit in Anspruch genommen", merkt die Lehrerin an. Am Ende hätten aber alle Teilnehmer die geforderte Deutschprüfung vom Goethe-Institut bestanden – sieben der zwölf Schülerinnen und Schüler sogar mit B1. "Das ist schon eine super Leistung", findet Ludewig.

Bei der Unterrichtsgestaltung müssen die Lehrerinnen und Lehrer nicht nur die unterschiedlichen Vorkenntnisse ihrer Schüler berücksichtigen, auch ihr kultureller Hintergrund spielt eine wichtige Rolle, weiß Heidi Ludewig. "Wir haben einen Schüler aus Damaskus, das ist ein Großstädter. Den Unterschied merkt man schon, weil der viel westlicher orientiert ist. Die anderen Jugendlichen kamen überwiegend aus ländlicheren Regionen, wo Traditionen noch sehr stark verankert sind. Sie sind auch sehr streng mit Ramadan umgegangen."

Das Bemerkenswerte an der Zusammensetzung der Borkumer SPRINT-Klasse: Obwohl überwiegend junge Männer nach Deutschland einreisen, bestand die Klasse hier zum Großteil aus jungen Frauen. „Wir haben vier junge Männer und acht junge Frauen in unserer SPRINT-Klasse."  Auch in dieser Hinsicht erweisen sich die Möglichkeiten der individuellen Schwerpunktsetzung als nützlich. Bei den jungen Frauen sei insbesondere die Hinführung zur Berufs- und Arbeitswelt ein entscheidendes Modul gewesen. Denn für die Frauen sei es keineswegs üblich, einen Beruf erlernen zu müssen. Hier sei viel Überzeugungsarbeit notwendig gewesen, berichtet Ludewig. Umso schöner sei aber das Erfolgserlebnis, einer jungen Mutter zeigen zu können, dass man es auch als Frau mit kleinem Kind schulisch und beruflich zu etwas bringen kann.

Mit Lehrermangel umgehen

Mit der Beantragung eines SPRINT-Projektes stehen den Berufsschulen maximal 37 zusätzliche Personalstunden zur Verfügung. Ein Teil dieser Personalstunden kann je nach Bedarf – zum Beispiel bei Schülerinnen und Schüler mit geringer schulischer Grundbildung oder mit Lese- und Schreibschwäche – für eine zeitweise Doppelbesetzung, für die Bildung von Lerngruppen oder auch für pädagogische Aufgaben im Rahmen des Übergangsmanagements verwendet werden.

Genügend qualifizierte Lehrkräfte für die SPRINT- und SPRINT-Dual-Klassen zu finden, stellt für die Schulen angesichts des großen Lehrermangels – insbesondere bei Lehrkräften für Deutsch als Zweitsprache – allerdings keine leichte Aufgabe dar. "Der Markt ist leer gefegt", beklagt Volker Barckmann von der niedersächsischen Landesschulbehörde die Situation. Um der Problematik des Lehrermangels zu begegnen, sind die Anforderungen an das Lehrpersonal für den Unterricht in den verschiedenen SPRINT-Modulen unterschiedlich festgelegt.

Kompetenzteams mit ganz unterschiedlichen Qualifikationen

Während die Module zum Spracherwerb bzw. zur Sprachförderung von ausgebildeten Lehrkräften unterrichtet werden müssen, können in anderen Modulen auch pädagogische Fachkräfte ohne Lehrbefähigung von den Schulen angestellt werden. Auch über Zusatzqualifikationen wird versucht, Personen mit den notwendigen Voraussetzungen aber ohne offizielle Lehrbefähigung in den Schuldienst zu bringen.

In der Berufsschule Göttingen wurde ein Kompetenzteam aus Lehrkräften mit ganz unterschiedlichen Qualifikationen gebildet. "Ein Lehrer ist ausgebildeter Theaterwissenschaftler, der auch Deutsch studiert hat. Ein anderer ist Sportwissenschaftler, der Kommunikation studiert hat. Der gemeinsame Nenner ist: Alle Kollegen haben Kontakt mit ausländischen Mitbürgern, entweder in der eigenen Familie oder im privaten Umfeld", berichtet Christian Westensee über die Kriterien bei der Bewerberauswahl.

Da es sich nicht um Unterricht im Sinne der BbS-VO handelt, sondern um eine Maßnahme im Anlehnung an § 69 Abs. 4 NSchG, ist es keine Voraussetzung, dass das Angebot von Lehrkräften erteilt wird.

 

Aus dem Ruhestand zurück an die Schule

Der Handlungsspielraum bei der Einstellung von Lehrkräften kam auch der Berufsschule Borkum zugute. So wurde die pensionierte Heidi Ludewig aus dem Ruhestand zurückgeholt, um die Koordination und einen Großteil des Unterrichts in den SPRINT-Klassen zu übernehmen. "Ich bin gerne an die Schule zurückgekommen, um das Projekt zu koordinieren, weil ich schon einen großen Teil der Flüchtlinge aus einem Deutschkurs kannte, den ich für die VHS gemacht habe. Aus diesem Grund hatte ich auch großes Interesse, mit den jüngeren Teilnehmern weiterzumachen", erklärt die Lehrerin zu ihrer Rückkehr an die Berufschule Borkum.

Vermittlung der regionalen Kultur und Lebenswelt

Eine weitere Herausforderung und einen ganz wichtigen Bestandteil von SPRINT stellt die Vermittlung der regionalen Kultur und Lebenswelt dar. Insbesondere auf der Insel Borkum gibt es viele besondere Bräuche und Eigenheiten, die die Berufsschule den jungen Flüchtlingen neben den nationalen Traditionen näherbringen möchte. Dazu zählen beispielsweise die Tee-Tradition, die in Borkum noch sehr intensiv gelebt wird, sowie der Shanty-Chor (ein Shanty ist eine alte Form des Semannsliedes).

Zu den Eigenheiten der Insel zählt außerdem das Plattdeutsch, das noch von vielen Bewohnern in Borkum gesprochen wird. „Das konnten wir gut in den Unterricht einflechten“, berichtet Heidi Ludewig zur Ausgestaltung der Module in der BBS Borkum. „Das hat den Teilnehmern viel Freude gemacht. Die waren ganz begierig, neben dem Hochdeutschen auch noch Plattdeutsch zu lernen.“

Zögerliche Kontaktaufnahme

Da der Großteil der Teilnehmerinnen und Teilnehmer von SPRINT auf Borkum bleiben möchte, ist es Heidi Ludewig wichtig, den Jugendlichen ein Gefühl zu vermitteln, wie die Inselbewohner "ticken". Während die zugewanderten Jugendlichen trotz ihrer teils traumatischen Fluchterfahrung sehr offen, kontaktfreudig und auch temperamentvoll seien, sei der Borkumer prinzipiell eher verschlossen – nicht nur gegenüber Flüchtlingen, sondern gegenüber allen, die vom Festland kommen. Dies habe nichts mit einer feindlichen Einstellung zu tun, mache es Neuankömmlingen aber nicht unbedingt leicht, Kontakte zu knüpfen.

Auch zwischen den einheimischen Schülern und den Geflüchteten seien deshalb recht zögerlich Kontakte entstanden. Die Lehrerin berichtet von einer gemeinsamen Unterrichtsstunde, in der man Vorstellungsgespräche gemacht habe. Während die syrischen Schülerinnen und Schüler sich sehr lebendig präsentiert, anhand ihrer Handys ihre Familienmitglieder vorgestellt hätten und persönlich auf ihre deutschen Mitschüler zugegangen seien, seien die deutschen Schülerinnen und Schüler sehr schüchtern auf ihren Plätzen sitzen geblieben. Entsprechend sei der gemeinsame Unterricht recht einseitig gewesen. "Wenn man die Freundschaft der Borkumer aber einmal erworben hat, dann ist sie auch fürs Leben. Aber es braucht schon seine Anlaufzeit", erklärt Ludewig die Eigenart der Insulaner.

Um zu vermeiden, dass die Schülerinnen und Schüler der SPRINT-Klassen zu sehr unter sich bleiben, haben sich die niedersächsischen Berufsschulen ganz verschiedene Maßnahmen einfallen lassen. Eine dieser Maßnahmen sind die "Ausbildungslotsen" an der Fachoberschule Gesundheit und Sozialwesen am Berufsschulzentrum Osnabrück. Die 25 Ausbildungslotsen geben den SPRINT-Schülerinnen und Schülern einmal pro Woche zwei Stunden sprachliche Nachhilfe, aber unter anderem auch Tipps zur Freizeitgestaltung in Osnabrück. Um die zugewanderten mit den einheimischen Schülern bekannt zu machen, wurde zudem ein "Speeddating" mit den Berufsschulklassen arrangiert.

Neben solchen internen Maßnahmen finden auch Projekte mit externen Partnern statt, die sich ehrenamtlich für die Flüchtlinge engagieren wollen. So organisiert die Bürgerstiftung Osnabrück unter dem Titel "Faires Kämpfen für Toleranz und Integration" ein Judotraining, bei dem sich die Teilnehmer der SPRINT- und Sprachförderklassen gemeinsam mit Azubis von Volkswagen in Partner- und Vertrauensübungen erproben können. Ehrenamtliche Helfer der Organisation HelpAge Deutschland bieten einmal pro Woche eine Lauf AG zum gemeinsamen Joggen an.

Kompetenzcheck mit komPass³

Im Rahmen von SPRINT findet eine Kompetenzfeststellung auf der Grundlage von komPass³ statt – ein Verfahren, das speziell für jugendliche Sprachanfänger entwickelt wurde. Der dreitägige Check soll Aufschluss geben, über welche Begabungen und Kompetenzen die Jugendlichen verfügen, für welche Berufe sie sich interessieren und für welche Berufe sie die notwendigen Ausbildungsvoraussetzungen mitbringen. Die ermittelten Kompetenzen fließen schließlich in die inhaltliche Gestaltung der Module ein und werden für die Akquise einer Einstiegsqualifizierung (EQ) herangezogen.

Die Phase der Kompetenzfeststellung und Berufsorientierung sei für die jungen Flüchtlinge sehr entscheidend gewesen, berichtet Heidi Ludewig über ihre Erfahrungen aus Borkum: "Da kamen so Träume wie, 'Ich möchte Pilot werden!' oder andere Dinge, die auf Borkum gar nicht möglich sind." Ebenso sei im Hinblick auf ein Studium viel Aufklärung notwendig gewesen, um deutlich zu machen, wie langatmig und wie teuer dieses ist.

Auch Christian Westensee berichtet, dass im Zuge der Kompetenzfeststellung und der Vorbereitung auf die EQ viel Überzeugungsarbeit und Motivation durch die Lehrer notwendig gewesen sei. Denn viele Schülerinnen und Schüler finden sich, zum Beispiel aufgrund sprachlicher Defizite, nicht unbedingt in ihrem Wunschberuf wieder. "Wenn man sich als IT-Fachmann sieht und arbeitet dann im Lager, sinkt natürlich die Motivation. Das bedarf manchmal einer intensiven Begleitung", erklärt Westensee.

  • Werk-statt-Schule: komPASS³
    "kom­PASS³ – Kom­pe­tenz­check und Aus­bil­dungs­per­spek­ti­ven für jugend­li­che Sprach­an­fän­ger" ist ein Verfahren, das vom Berufs­ori­en­tie­rungs­zen­trum der Werk-statt-Schule gezielt für Flüchtlinge und Zuwanderer entwickelt wurde.

Von SPRINT zu SPRINT-Dual

Die Jugendlichen, die die notwendigen Voraussetzungen für eine EQ bereits mitbringen und die Chance auf einen Platz im Betrieb haben, wechseln nach dem ersten Förderjahr schließlich in SPRINT-Dual. Im zweiten Förderzeitraum verlagert sich der Schwerpunkt damit von der sprachlichen Integration auf die berufliche Integration. An dieser Stelle setzt auch die Vermittlung mathematischer Grundlagen ein, die für alle angehenden Azubis Grundvoraussetzung sind. Modul VI dient der praktischen Einführung in das Berufs- und Arbeitsleben. Im Rahmen dieses Moduls nehmen die Jugendlichen an der EQ teil.

Mit der EQ soll den jungen Menschen Gelegenheit geben werden, erste praktische Erfahrungen zu sammeln und berufliche Handlungsfähigkeit zu erlangen, die ihnen bei späteren Bewerbungen zugute kommen sollen. Gleichzeitig bietet die EQ dem Ausbildungsbetrieb die Möglichkeit, den jungen Menschen nicht nur in einem kurzen Bewerbungsgespräch kennenzulernen, sondern seine Fähigkeiten und Fertigkeiten über einen Zeitraum von sechs bis zwölf Monaten im täglichen Arbeitsprozess beobachten zu können und ein Ausbildungsverhältnis anzubahnen.

Einstiegsqualifizierung als nulltes Ausbildungsjahr

Um einen hohen Praxisanteil zu gewährleisten, muss mindestens 70 Prozent der Gesamtzeit der Qualifizierungsmaßnahme im Betrieb durchgeführt werden. An der Berufsschule wird mit den jungen Flüchtlingen in der Zwischenzeit weiter an der Vertiefung der Sprachkenntnisse sowie der Schulung mathematischer Grundkenntnisse gearbeitet. Die EQ fügt sich damit sinnvoll in das Konzept von SPRINT ein, das die Jugendlichen Schritt für Schritt an einen Ausbildungsplatz heranführen möchte. Volker Barckmann bezeichnet die Phase der EQ deshalb auch gerne als das „Nullte Ausbildungsjahr“.

Regionale Netzwerkarbeit

Klick zum VergrößernVernetzung regionaler Akteure

Damit die praktische Einführung in das Berufs- und Arbeitsleben gelingen kann, ist die Zusammenarbeit verschiedener Akteure von der Schule, über die Jobcenter bis hin zur Ausländerbehörde gefragt. Ein wichtiges Element von SPRINT, um die Akteure der verschiedenen Institutionen zusammenzubringen und zwischen ihren Bedarfen und Anforderungen zu vermitteln, ist deshalb die „regionale Prozessbegleitung“. Sie fungiert als Schnittstelle zwischen beteiligten berufsbildenden Schulen, Kammern und Arbeitsagenturen und unterstützt die Schulen bei der Zusammenführung von jugendlichen Flüchtlingen und EQ-Betrieben. Die Prozessbegleitung erfolgt solange, bis das EQ-Verhältnis stabilisiert ist.

"Ziel der Prozessbegleitung ist es, die Abläufe und Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Institutionen und Akteuren so zu optimieren, dass die Prozessbegleitung schließlich überflüssig wird", erklärt Anna Braun, Koordinatorin "Regionale Prozessbegleitung" beim Bildungswerk der Niedersächsischen Wirtschaft. Dafür wurden in Niedersachsen insgesamt 10 Standorte mit jeweils einer Prozessbegleiterin bzw. einem Prozessbegleiter eingerichtet. Damit sind die Regionalen Prozessbegleiter im Durchschnitt für 5 Landkreise, das heißt für insgesamt rund 20 Sprint bzw. SPRINT-Dual-Klassen mit rund 250 Schülerinnen und Schülern zuständig.

Die Arbeitsschwerpunkte der Prozessbegleitung richten sich nach den regionalen Gegebenheiten und können von Landkreis zu Landkreis deshalb stark variieren. Während in kleinen Landkreisen teilweise schon enge Kontakte zwischen den Akteuren bestehen und wenig Unterstützung durch die Prozessbegleiterinnen und -begleiter erforderlich ist, bieten sich in den großen Landkreisen auch größere Veranstaltungen an, um die einzelnen Partner zusammenzubringen. So werden zum Beispiel „Matchingtage“ mit den Kammern und dem Arbeitgeberservice organisiert, bei denen SPRINT-Schülerinnen und -Schüler Gelegenheit zum direkten Kontakt mit interessierten Betrieben haben und Plätze für eine EQ vermittelt werden können.

Hohes Eigenengagement der Schulen und Lehrkärfte gefragt

Obwohl mit der regionalen Prozessbegleitung eine Prozesskette gebildet wurde, die die Einzelakteure bei der Integration der Flüchtlinge in Ausbildung vernetzt und unterstützen soll, setzt die Umsetzung von SPRINT und SPRINT-Dual auch ein hohes Eigenengagement der teilnehmenden Schulen und der zuständigen Lehrkräfte voraus. In den ersten Monaten seien die Schülerinnen und Schüler beispielsweise von den Lehrern an ihrer Flüchtlings-Unterkunft in Göttingen abgeholt worden. Damit wollte man den Neuankömmlingen zum einen bei der Eingewöhnung helfen, und gleichzeitig zeigen, dass jede Schülerin und jeder Schüler individuell wichtig ist.

„Die Beziehung zwischen den Lehrkräften und den jungen Menschen ist ein ganz wichtiges, tragendes Element“, sagt Westensee. Deshalb müssten die Lehrkräfte in den SPRINT-Klassen auch außerhalb der Unterrichtszeiten bei Problemen und Fragen häufig ihren Schützlinge zur Seite stehen. An geregelte Arbeits- und Unterrichtszeiten sei dabei nicht zu denken, betont der Koordinator aus Göttingen.

Auch für die Schulferien müssten sich die Lehrer Gedanken machen, denn viele Flüchtlinge hätten große Sorgen, wenn sie in den Ferien beschäftigungslos seien. Deshalb habe man über private Netzwerke dafür gesorgt, dass die Schüler in den Ferien Praktika in Betrieben absolvieren konnten. "Die Kollegen haben sich zudem als Ansprechpartner für die Unternehmen zur Verfügung gestellt und sind in den Ferien in die Betriebe gefahren, um zu sehen, dass alles gut läuft", lobt Westensee das Engagement seiner Kollegen. Auch auf Borkum stehen die SPRINT-Lehrerinnen und Lehrer über die sozialen Medien nahezu rund um die Uhr für ihre Schützlinge zur Verfügung, dabei gehe es nicht immer nur um schulische oder berufliche Probleme, sondern auch mal um Schwierigkeiten mit dem Partner oder Ähnliches, gesteht Ludewig.

„Die Beziehung zwischen den Lehrkräften und den jungen Menschen ist ein ganz wichtiges, tragendes Element."

 

"Wir fühlen uns als Schule gesellschaftlich verantwortlich."

Trotz des Arbeitsaufwandes, der häufig über die reguläre Arbeitszeit der oft befristet angestellten Lehrkräfte hinausgeht, halten die beiden Koordinatoren, Christian Westensee und Heidi Ludewig die Einrichtung von SPRINT in Niedersachsen für eine sehr sinnvolle Maßnahme. "Wir haben nicht ohne Grund durchgängig SPRINT-Klassen an unserer Schule. Aktuell haben wir vier SPRINT-Klassen und wir würden auch noch mehr Klassen einrichten, wenn wir die Ressourcen und auch die Räumlichkeiten dazu hätten", betont der Göttinger. Dabei sei SPRINT ein eindeutiges Zusatzgeschäft für die Schule – insbesondere was die Koordinationszeit anbelange. "Wir machen das, weil wir uns als Schule gesellschaftlich verantwortlich fühlen."

Sprache als Schlüssel zur Integration

Dieses Engagement der Schulen weiß auch Volker Barckmann von der Landesschulbehörde zu schätzen: "Es macht einen riesigen Spaß an diesem Projekt mitzuwirken, da alle Beteiligten an einem Strang ziehen. Denn wir alle wollen , dass die Flüchtlinge aus ihren Unterkünften herauskommen, einen regelmäßigen Tagesablauf haben und dass ihnen die Möglichkeit geboten wird, die deutsche Sprache zu lernen. Denn allen ist bewusst, dass die Sprache der Schlüssel ist."


Wir danken unseren Gesprächspartnerinnen und -partnern herzlich für ihre Bereitschaft, über ihre Erfahrungen bei der Umsetzung des Projekts zu berichten:

  • Volker Barckmann, Dezernent der Niedersächsischen Landesschulbehörde
  • Heidi Ludewig, Lehrerin und Koordinatorin von SPRINT an der BBS Borkum
  • Christian Westensee, Lehrer und Koordinator von SPRINT an der Arnoldi Schule Göttingen
  • Anna Braun, Koordinatorin "Regionale Prozessbegleitung" beim Bildungswerk der Niedersächsischen Wirtschaft

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