26.10.2022

Nachhaltig auf allen Ebenen

ProLand – Die "grüne" Produktionsschule der Jugendwerkstatt Felsberg

von Franziska Ackermann

Am Übergang Schule – Beruf machen Produktionsschulen ein Angebot für junge Menschen, für die das Lernen in der Regelschule zu abstrakt und zu wenig anwendungsorientiert gewesen ist. So auch die ProLand-Produktionsschule: sie bietet eine "grüne" Form der Berufsorientierung und -vorbereitung, die es jungen Menschen ermöglicht, im Sinne des Umweltschutzes aktiv zu sein und sich für in diesem Zusammenhang relevante Berufe der Zukunft zu qualifizieren.

Klick zum VergrößernGemeinsam geht es besser: Teilnehmende beim Gemüseanbau. Bild: ProLand

Wer heute das Wort Nachhaltigkeit hört oder liest, denkt sicher zuerst an das Thema Umweltschutz. Tatsächlich ist seine Bedeutung jedoch viel umfassender: Die Dauerhaftigkeit und die Regenerationsfähigkeit, die zur Nachhaltigkeit gehören, beziehen sich nicht nur auf ökologische, sondern auch auf soziale und ökonomische Aspekte.
Mit ihrer Ausrichtung auf grüne Berufe hat sich die ProLand-Produktionsschule der Jugendwerksatt Felsberg, kurz JUWESTA, sowohl dem Umweltschutz als auch den Zukunftsperspektiven der Jugendlichen verschrieben – beides sind nachhaltige Ziele. Nachhaltig ist auch die JUWESTA selbst, denn das flexible Anpassen der Angebote an die Bedürfnisse von Jugend, Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt macht sie zukunftsfähig.

Die Jugendwerkstatt Felsberg

Seit ihrer Gründung im Jahr 1984 ist die Jugendwerkstatt Felsberg eine Anlaufstelle für junge Menschen, die sich seitdem mit ihnen und für sie weiter entwickelt. Die JUWESTA ist nicht nur regional gut vernetzt, seit ihrer Gründung führt sie auch internationale Berufsbildungsprojekte durch. Die Bandbreite der Angebote reicht von Berufsorientierungstagen für Schülerinnen und Schüler über berufsvorbereitende Projekte wie die Produktionsschule, bis hin zu beruflichen Qualifizierungen in Zusammenarbeit mit regionalen Betrieben. In allen Angeboten spielen auch lebensweltliche Themen wie Energie, Umweltbildung und Digitalisierung immer eine Rolle. Es bestehen enge Kooperationen mit der Bundesagentur für Arbeit, Jobcentern, Jugendämtern und Wohngruppen, die Plätze in den Projekten (ko)finanzieren und/oder besetzen. Viele Jugendliche finden ihren Weg in die JUWESTA allerdings tatsächlich durch Mund-zu-Mund-Propaganda. Sie kommen also ohne Zuweisung durch die Agentur für Arbeit (Rechtskreis SGB III) oder das Jobcenter (Rechtskreis SGB II). Diese Freiwilligkeit ist eine wertvolle Motivationsquelle. Die Produktionsschule, in der junge Menschen arbeiten und durch einen produktionsschulpädagogischen Ansatz lernen, besteht in der Jugendwerkstatt Felsberg seit den 1990er Jahren. Es ist insbesondere dieser produktionsschulpädagogische Ansatz, der den Unterschied zu anderen Angeboten im Übergangsbereich macht.

Der Übergang Schule – Beruf und die Auswirkungen der PandemieIm 15. Kinder- und Jugendbericht wird beschrieben, dass junge Menschen heute mehr Zeit benötigen, um ihre Jugendphase erfolgreich zu erleben. Gerade junge Menschen mit schlechten Startbedingungen oder fehlender Unterstützung aus dem sozialen Umfeld können die Kernherausforderungen Qualifizierung, Verselbständigung und Selbstpositionierung ohne die Unterstützung der Gesellschaft nicht bewältigen.(1) Die mit dem Infektionsschutz zur Eindämmung der Corona-Pandemie verbundenen Kontaktbeschränkungen hatten in den Jahren 2020 und 2021 jedoch zur Folge, dass viele Berufsorientierungsangebote weggefallen sind. Hier setzt das Förderprogramm REACT-EU an, indem es Projekte finanziert, die sich der Schwierigkeiten der Corona-Generation annehmen und den jungen Menschen neue Perspektiven aufzeigen. Dabei geht nicht nur um bloße Schadensbegrenzung – das Ziel ist, Voraussetzungen für eine sichere und selbstbestimmte Zukunft durch gefestigte Arbeitsverhältnisse zu schaffen. (2) Die ProLand-Produktionsschule der Jugendwerkstatt Felsberg wird mit diesen EU-Mitteln gefördert und ist damit ein gutes Beispiel für ein Angebot, das sich dieser Herausforderung stellt.

Zusammenspiel von Theorie und Praxis

Der Name ist Programm: Produktion gleichberechtigt neben Schule – Werken neben Lernen. Das grundlegende Konzept wird so schon relativ treffend beschrieben, denn das Lernen findet auch direkt an der Werkbank statt. Das eine kann nicht ohne das andere funktionieren und das Zusammenspiel macht Produktionsschule aus. Die Jugendwerkstatt Felsberg hat inzwischen viel Erfahrung mit dem Produktionsschulkonzept gesammelt und setzt auf einen bewährten Aufbau, bei dem die Projduktionsschulpädagogik als Querschnittsaufgabe verstanden werden kann, da alles Lernen und Lehren im Kontext der Produktion stattfindet. Auf diesem Fundament bauen drei Säulen auf: Berufliche Orientierung (in den Bereichen Holz- oder Metallbearbeitung, Mediengestaltung, Pflege sowie ökologischer Land- und Gartenbau), Soziale Arbeit und Sprachförderung. Die Gewichtung der Säulen erfolgt nach den individuellen Bedürfnissen der Teilnehmenden. Dadurch ist es möglich, innerhalb einer heterogenen Gruppe allen die Förderung anzubieten, die nötig ist, um Erfolge zu erzielen.

"Viele kommen einfach positiver aus der Produktionsschule heraus. Selbstbewusster, in der Persönlichkeit gestärkt, resilienter, orientierter." Olaf Rossmann, Mitglied der JUWESTA-Geschäftsführung

 

Erfolg wird dabei in Abhängigkeit von der jeweiligen Zielsetzung verstanden. Vorrangiges Ziel ist die Einmündung in Ausbildung oder Arbeit, was auch mit messbaren Fakten belegt werden kann. Tatsächlich wurde dieses Ziel trotz der Corona-Pandemie in 30 Prozent der Fälle erreicht. Es kann aber auch darum gehen, dass ein junger Mensch erst einmal eine Therapie aufnimmt, oder Teilnehmende sich persönlich entwickeln: "Viele kommen einfach positiver aus der Produktionsschule heraus", sagt Olaf Rossmann, Mitglied der JUWESTA-Geschäftsführung und Entwickler der ProLand-Produktionsschule. "Positiver" kann dabei Unterschiedliches meinen: selbstbewusster, in der Persönlichkeit gestärkt, resilienter, orientierter.

Junge Menschen im Mittelpunkt

Die Produktionsschule bietet Raum für individuelles Wachstum. Das funktioniert, weil die JUWESTA von den Teilnehmenden als verlässlicher Ort wahrgenommen wird, an den Jugendliche kommen können, wie sie sind: mit all ihren Fragen und Problemen. Die Zielgruppe von Produktionsschulen hat in anderen Umfeldern häufig Schwierigkeiten anzukommen – und vor allem: zu bleiben. Schulabbrüche und kurze Beschäftigungsverhältnisse kennzeichnen den Weg der Teilnehmenden, weil nicht nur fehlende Sprache, sondern auch falsche Ansprache zu Misserfolgserfahrungen führen kann. Oft sind Kompetenzen vorhanden, aber eben nicht die, die regulär benotet werden. Besonders wenn keine offizielle Anerkennung oder Bescheinigung der Fähigkeiten vorliegt, muss den Jugendlichen in Bezug auf ihre Kenntnisse und Talente Wertschätzung, Vertrauen und Offenheit entgegengebracht werden. Diese ganzheitliche Betrachtung oder auch Kompetenzorientierung ist für die Teilnehmenden enorm wichtig. Das erfordert, dass beide Seiten, Pädagoginnen und Pädagogen sowie Jugendliche, sich auf ein etwas anderes Miteinander einlassen: Vormachen und zeigen, einander zusehen, nachmachen und selbst erfahren.

Es geht auch anders

Bei Produktionsschulen handelt es sich also nicht um Schulen im klassischen Sinn, sondern um Angebote im Übergangsbereich. Ihr Mehrwert lässt sich aber gut im Kontrast zu regulären Schulen herausstellen. Es gibt Parallelen, weshalb der Wortteil "Schule" grundsätzlich zutreffend ist. Zum Beispiel gibt es häufig Hauptschulabschlussklassen oder die Möglichkeit, sich auf eine externe Abschlussprüfung vorzubereiten. Daher gibt es auch einen Stundenplan, zum Beispiel mit Deutscheinheiten. In einer Produktionsschule wird jedoch viel stärker Binnendifferenzierung praktiziert, wodurch auf die jeweiligen Wissensstände der Teilnehmenden Rücksicht genommen werden kann. Das erfordert einerseits eine Doppelbesetzung im Unterricht, andererseits werden unterschiedliche Lehrwerke herangezogen, damit möglichst passgenau an das Vorwissen angeknüpft werden kann und Überforderungssituationen vermieden werden. Da ein Großteil der Jugendlichen vorrangig eine Arbeitsaufnahme anstrebt, liegt ein besonderer Schwerpunkt dabei auf berufsbezogener Sprache – unabhängig von Muttersprache und Sprachniveau. Um dauerhafte Arbeitsverhältnisse zu etablieren, ist es erforderlich, Ausdrucksvermögen und das entsprechende Kommunikationsverhalten zu erlernen und zu üben, denn berufliche Integration setzt auch soziale Integration voraus.

"Es geht um Be-greifen, nicht um verkopftes Lernen." – Cortina Gentner, HIBB


Cortina Gentner ist Fachreferentin am Hamburger Institut für Berufliche Bildung (HIBB). Im Interview spricht sie darüber, warum das Konzept "Produktionsschule" für junge Menschen funktioniert und inwieweit Produktionsschulen inklusiv wirken können. Das Interview wurde in einer Videokonferenz aufgezeichnet.

Die Verbindung von Lern- und Arbeitswelt

Die Nutzung vielfältiger Methoden bietet die Möglichkeit, Lernprozesse nach individuellen Bedürfnissen zu gestalten. So werden für berufsfachliche Inhalte zum Beispiel digitale Lehrmaterialien eingesetzt; besonders, wenn dadurch anschauliche Modelle und Simulationen, beispielsweise von Motoren, bereitgestellt werden können. Anders als in der Regelschule stehen die "Fächer" in einer Produktionsschule aber nicht losgelöst nebeneinander, sie fließen ineinander. Bei der Arbeit an der Werkbank oder im Garten geht beispielsweise das Deutschlernen einfach weiter. Vokabeln werden so mit realen Gegenständen und Handlungen verknüpft, was sinnstiftende Lernerfahrungen zur Folge hat. Diese einzigartige Verbindung von Lern- und Arbeitswelt ermöglicht Flexibilität in neuen Situationen. Es werden nicht nur sprachliche und theoretische, fachliche Inhalte vermittelt; gefördert wird auch der Erwerb und Ausbau sozialer Kompetenzen durch reale Erfahrungen: Teamwork, Problemlösungskompetenzen, Kundenkommunikation, Zeitmanagement – Soft Skills, die berufsübergreifend nötig und hilfreich sind.

Das ist ein attraktives Angebot für schulmüde Jugendliche, die so eher erreicht werden können und am Übergang Schule – Beruf nicht verloren gehen. "Manche brauchen einfach nur eine kleine Auszeit von der Schule", sagt Retty Paruntu, Koordinatorin der ProLand-Produktionsschule. Nicht selten habe sie erlebt, dass Jugendliche sich nach der Schleife in der Produktionsschule doch wieder für einen regulären Schulbesuch zum Erwerb der Mittleren Reife entscheiden.

"Manche brauchen einfach nur eine kleine Auszeit von der Schule." Retty Paruntu, Koordinatorin der ProLand-Produktionsschule

 
Keine Produktionsschule ohne Holzwerkstatt. Hier wird ein Gartenhaus gebaut. Bild: ProLand

Produktionsschulen sind in ihrer Ausgestaltung frei, solange bestimmte verbindliche Qualitätsstandards eingehalten werden. Sie entstehen aus dem Zusammenspiel von Bedarfen potenziell Teilnehmender und dem Arbeitsmarkt. Viele Produktionsschulen bieten handwerkliche Einsatzfelder mit den Schwerpunkten Metall und Holz oder verschiedene Dienstleistungen an. Das Herzstück ist – auch in der Jugendwerkstatt – die Holzwerkstatt. Aus dem Grundkonzept werden in Felsberg jedoch immer wieder neue Produktionsschullinien mit unterschiedlichen Ausrichtungen abgeleitet. Zuletzt die "Internationale Produktionsschule", die sich an den besonderen Bedürfnissen Geflüchteter orientierte. Und im Jahr 2021 wurde die Produktionsschule der JUWESTA grün: die ProLand-Produktionsschule wurde ins Leben gerufen. Die ProLand-Produktionsschule ist eine grüne Form der Berufsvorbereitung mit ökologischem Land- und Gartenbau sowie grünen technischen Berufsfeldern. Dabei lernen die Teilnehmenden auch, wie der ökologische Fußabdruck möglichst klein bleibt.

Grüne Berufe und Nachhaltigkeit

In den Jahren 2020 und 2021 stand sicher die Corona-Pandemie im Vordergrund der Krisenwahrnehmung. Sie brachte ihre ganz eigenen Herausforderungen für Jugendliche mit, die es nun abzufedern gilt. Die Klimakrise jedoch bildet über die nächsten Jahrzehnte hinweg eine Bedrohung, der gesamtgesellschaftlich und global begegnet werden muss. Bekannte Nachhaltigkeitsmodelle berücksichtigen stets Soziales, Ökonomie und Ökologie. Die JUWESTA hat in ihren vorherigen Umsetzungen der Produktionsschulen bereits die Aspekte Soziales und Ökonomie berücksichtigt. Durch die Ergänzung um die ökologische Perspektive wird der Nachhaltigkeitsansatz nun umfassend abgebildet. Ziel der ProLand-Produktionsschule ist es, jetzt selbst Beiträge zum Klimaschutz zu leisten, die zukünftig Handelnden für dieses Thema zu sensibilisieren und für in diesem Zusammenhang relevante Berufe der Zukunft zu qualifizieren.

Das Ziel ist, die zukünftig Handelnden für das Thema Nachhaltigkeit zu sensibilisieren und sie für in diesem Zusammenhang relevante Berufe der Zukunft zu qualifizieren.

 
Arbeiten mit vollem Einsatz; hier wird Mulch zwischen den Beeten verteilt. Bild: ProLand

Berufliches Lernen und Klima schützen gehören hier also zusammen. Praktische Tätigkeiten, verbunden mit ökologischen Leitgedanken, finden sich im Beruf der Gartenlandschaftsbauerin, des Gartenlandschaftsbauers wieder, denn sie werden als Allrounder verstanden, die auch Geschick in verschiedensten handwerklichen Fachgebieten benötigen. Der Beruf bewegt sich in einem interessanten Spannungsfeld: Einerseits ist Landwirtschaft auf die Unterstützung durch Maschinen, Technik und Digitalisierung angewiesen. Andererseits wird vor allem im biologischen Landbau noch viel mit den Händen gearbeitet. Beide Varianten werden wohl auch in Zukunft praktiziert werden. Auf jeden Fall ist die Landwirtschaft eine stark physisch geprägte Arbeit, bei der man sich und seine Handlungen spürt und am Ende eines Arbeitstages sieht, was man geschafft hat. Das ist für viele Menschen ein wichtiger Aspekt ihrer Arbeit und Kriterium bei der Berufswahl. Sie ist dadurch auch ein geeigneter Einsatzbereich für den produktionsschulpädagogischen Ansatz.

Die regionale Produktion von Lebensmitteln ist allerdings nur der erste Schritt, eine ökologisch vertretbare Verwertung – inklusive Kompostierung im Sinne der Kreislaufwirtschaft – der zweite. Übersetzt in einen weiteren Beruf wird die Summe dieser Tätigkeiten am besten durch das Fachgebiet Hauswirtschaft abgebildet. In der ProLand-Produktionsschule hat sich ein Drittel der Teilnehmenden für diesen Bereich entschieden. Die Produktionsschule legt viel Wert darauf, dass das Interesse für die Tätigkeit das einzige Zuweisungskriterium ist.

Orientierung und Qualifizierung

In einer Orientierungsphase erhalten die Jugendlichen die Möglichkeit, sich in allen Arbeitsbereichen auszuprobieren, die die ProLand-Produktionsschule anbietet, um dann ihren Schwerpunkt für die folgende Qualifizierungsphase auszuwählen. In der Qualifizierungsphase findet zunächst eine allgemeine Vorbereitung auf den Arbeitsmarkt im Hinblick auf Wissen und Verhaltensregeln statt. Im Anschluss werden die Arbeitsinhalte vermittelt, die so weit wie möglich denen des ersten Ausbildungsjahrs der jeweiligen Berufe entsprechen. Dabei wird eine handlungsorientierte Herangehensweise gewählt, die dem Vorgehen in Ausbildungen gleicht. Dem Modell der vollständigen Handlung nachempfunden, geht es um die schrittweise Lösung einer Arbeitsaufgabe, die mit einer Reflexion des eigenen Handelns endet.(3) Den Jugendlichen wird dabei Raum für Eigeninitiative gegeben – Fehler sind erlaubt und werden zur Förderung genutzt. Neben dem jeweils hergestellten Produkt sind Selbständigkeit und Selbstwirksamkeitserfahrung weitere Ergebnisse dieses Vorgehens.

Oft sind Kompetenzen vorhanden, aber eben nicht die, die regulär benotet werden.

 

Über die täglichen Arbeiten in den Berufsfeldern hinaus können Jugendliche bei Eignung auch Maschinenlehrgänge, Erste-Hilfe-Kurse und weitere Zusatzqualifikationen absolvieren, die ihnen gemeinsam mit ihren Soft Skills in differenzierten und aussagekräftigen Arbeitszeugnissen bestätigt werden. Die bescheinigten Erfahrungen und Kompetenzen ermöglichen Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern, sich ein Bild von der sich bewerbenden Person zu machen und, helfen so dabei mit, den Start ins Berufsleben erleichtern.

Stärkung der Region und stark durch die Region

Durch Betriebspraktika außerhalb der Produktionsschule haben die Jugendlichen die Möglichkeit herauszufinden, in welche berufliche Richtung es neben den in der Produktionsschule angebotenen Berufsfeldern auch gehen könnte. Und sie erleben in Betriebspraktika unmittelbar, welche Ansprüche in der Arbeitswelt an sie gestellt werden.

Durch die Arbeit werden nicht nur die Muskeln gestärkt. Bild: ProLand

Die JUWESTA kooperiert mit regionalen Betrieben – das schafft realistische Perspektiven und stärkt die Region, denn nach wie vor existiert ein Ungleichgewicht bezüglich Ausbildungsnachfrage und -angebot. Besonders die Schwerpunktberufe der ProLand-Produktionsschule werden immer noch nicht ausreichend nachgefragt, auf der anderen Seite besteht aber auch die Tendenz, dass eine Einstellung als ungelernte Kraft selten über eine Helfertätigkeit hinausgeht. Durch die Erfahrungen innerhalb der ProLand-Produktionsschule kann eine Öffnung beider Seiten gegenüber einer Ausbildung  erfolgen, von der sowohl Jugendliche als auch regionale Landwirtschaftsbetriebe profitieren: Schulschwache Jugendliche können in Praxiseinsätzen eher von sich überzeugen und erhalten so möglicherweise eine Zukunftsperspektive; Betriebe können sich von möglichen Bewerberinnen und Bewerbern ein Bild machen, das mehr umfasst als Zeugnisse es zeigen.
Je nach Bedarf begleiten die Pädagoginnen und Pädagogen sowie die Deutschlehrkräfte die Teilnehmenden in die Betriebe vor Ort, um Startschwierigkeiten und Verständnisprobleme gemeinsam zu bewältigen. Die Jugendlichen werden individuell und engmaschig betreut und können so die wichtige Erfahrung machen, dass das Unterstützungsangebot auch über die Grenzen der Jugendwerkstatt hinaus gilt. ProLand ist also auch auf einer zweiten Ebene zu verstehen: "Für das Land" ist nicht nur eine wörtliche Übersetzung, sondern tatsächlich so gemeint.

Kreative Pause zwischendurch. Bild: ProLand

Das Landleben wird von jungen Menschen oft negativ wahrgenommen. Ihnen fehlen die vielen Möglichkeiten der Stadt. Umso wichtiger ist es, Vorteile zu benennen,  (Mobilitäts-)Probleme zu beseitigen, positive Erfahrungen zu ermöglichen und wertvolle Kontakte vor Ort zu knüpfen. Dies geschieht, neben den Praktika, beispielsweise auf regionalen Märkten, wo die Teilnehmenden aus der Produktionsschule die erwirtschafteten Produkte anbieten und auf echte Kundinnen und Kunden treffen. Diese fungieren dann als sogenannte pädagogische Dritte und nehmen eine zentrale Rolle im Lernprozess ein. Sie bringen echtes Kaufinteresse mit und vermitteln dadurch authentisch Anerkennung. Auf diese Weise entsteht ein realistisches (Lern-)Setting, das ein Sinnerleben fördert, das sich in Simulationen nicht nachahmen lässt.
Das hat einen starken positiven Effekt auf die Jugendlichen, denn die erlebte Wertschätzung ist im Hinblick auf das Selbstbewusstsein im Arbeitskontext essentiell. Der Kundenkontakt ermöglicht darüber hinaus auch das Einüben von Umgangsformen und Kundenorientierung. Direkte Rückmeldungen der Kundinnen und Kunden während des Kaufvorgangs sind eine hilfreiche Ergänzung bei der beruflichen Orientierung, da der Abgleich von Selbst- und Fremdeinschätzung im beruflichen Kontext eine wichtige Informationsquelle ist, um den eigenen Platz in der Arbeitswelt zu finden.

Multiprofessionelles Arbeiten

In der ProLand-Produktionsschule betreuen Fachkräfte sowie Honorarkräfte aus den Bereichen Imkerei und ökologische Landwirtschaft, Elektro- und Metalltechnik die Jugendlichen. Wichtig ist die Vielfalt der Professionen, die zusammen arbeiten: Sozialpädagoginnen und -pädagogen, Deutschlehrkräfte, Fachanleiterinnen und -anleiter. Aber auch dieses Verständnis von Multiprofessionalität bildet die Qualifikationen der Fachkräfte in bei ProLand noch nicht vollständig ab, denn hier sind Aufgabenbereiche nicht separat auf einzelne Mitarbeitende verteilt, sondern oftmals innerhalb einer Person verschränkt.

Mit Schutzkleidung kein Problem: der Umgang mit Bienen. Bild: ProLand

Die Fachkräfte bringen neben ihrem gelernten Beruf teils auch umfassende Erfahrungen im Umgang mit jungen Menschen mit – sei es über ein zusätzliches Studium der Sozialpädagogik oder eine langjährige Tätigkeit als Ausbilderin oder Ausbilder im eigenen Betrieb. Diese Personalunion stellt eine Bereicherung dar, denn pädagogisch arbeitende Handwerkerinnen und Handwerker können die jeweiligen Arbeitsprozesse angemessen für die Jugendlichen vermitteln und auf Schwierigkeiten reagieren. So entsteht eine förderliche Lernsituation, in der Entwicklung stattfinden kann und die Begeisterung für ihre Fachgebiete wird für die Jugendlichen an ihren Arbeitsplätzen erfahrbar.

Auftretende Herausforderungen im Arbeitsalltag werden mit den Jugendlichen gemeinsam bewältigt, denn sie lassen die jungen Menschen auch an komplexen Projekten und Problemlösungen teilhaben.  Solche Begegnungen auf Augenhöhe, aber ohne Überforderung, vermitteln die Art der Wertschätzung, die den Jugendlichen guttut. Rollenvorbilder sind zudem eine wichtige Informationsquelle bei der Berufsorientierung. Das Zusammenbringen von jungen Menschen und Profis fördert den Austausch und weitet den Blick für bislang unbekannte Berufe.

"Wege entstehen beim Gehen." Olaf Rossmann, Mitglied der JUWESTA-Geschäftsführung

 

Auf die Frage, wie sich solches Personal denn finde, antwortet Olaf Rossmann, Mitglied der JUWESTA-Geschäftsführung, "Wir müssen offen bleiben. Und Wege entstehen beim Gehen, so blöd es klingt." Die Visionen und Ziele, die die Jugendwerkstatt für ihre Jugendlichen hat, überzeugten Profis in der Umgebung. Sie wollten dann häufig einen Beitrag leisten und so ziehe das Netzwerk immer weitere Kreise – auch ein Vorteil der ländlichen Region.

Offenheit auf allen Ebenen

Offenheit gegenüber Veränderungen und neuen Wegen

Offenheit ist eine Grundhaltung der JUWESTA, die auf verschiedenen Ebenen gelebt wird. Das umfangreiche Projektportfolio, zu dem stets neue Projekte hinzukommen, spiegelt das Streben nach attraktiven Angeboten für Jugendliche wider. Die gewonnen Erkenntnisse aus allen Projekten und eben auch aus der ProLand-Produktionsschule fließen in neue Konzepte der JUWESTA ein. Das Programm wird dabei an den Bedarfen der Jugendlichen ausgerichtet und innerhalb der laufenden Projekte mit den Teilnehmenden regelmäßig abgestimmt, sodass notwendige Anpassungen erfolgen können.

Offenheit gegenüber Kooperation und Erfahrungsaustausch

Um Praxisnähe für einen reibungslosen Übergang in den ersten Arbeitsmarkt auch im Wandel der Zeit zu ermöglichen, ist eine stetige Anpassung der eigenen Standards erforderlich, wie der Einsatz neuer (digitaler) Methoden und die Verwendung aktueller, qualitätsgesicherter Lehrmaterialien. Da (sprachlicher) Produktionsschulunterricht eine Bandbreite unterschiedlicher Förderbedarfe abdecken muss, ist es wichtig, Lern- und Versuchsfelder für diese neuen, differenzierten Lehrmaterialien zur Verfügung zu stellen. Die ProLand-Produktionsschule kooperiert beispielsweise mit der Universität Kassel-Witzenhausen, um Lehrmaterialien zum Thema Umweltbildung, mit der Zielgruppe förderbedürftiger Jugendlicher auszuprobieren. Bei einer weiteren Kooperation mit der Universität München werden berufsbezogene Sprachszenarien gemeinsam mit den Fachanleiterinnen und -leitern entwickelt und im Produktionsschulalltag getestet. Die JUWESTA steht darüber hinaus als Mitglied des Bundesverbandes für Produktionsschulen in regem Austausch mit anderen Mitgliedern und teilt ihre Good-Practice-Ansätze mit ihnen, um so den bundesweiten Erfahrungspool gemeinsam zu füllen und Erkenntnisse anderer für die eigene, bestmögliche Arbeit mit den Jugendlichen daraus zu schöpfen.

Offenheit gegenüber den Jugendlichen und ihren Entscheidungen

Die JUWESTA ist und bleibt buchstäblich offen: Die Offenheit bezieht sich einerseits auf den Zugang zur Produktionsschule; der Ein- und Austritt ist jederzeit möglich. Und andererseits auf die Ergebnisse, die die jungen Menschen vor dem Hintergrund ihrer multiplen Problemlagen erreichen können.

Geschafft: Die Beete sind angelegt. Bild: ProLand

Wer beim ersten Versuch keinen Übergang in Ausbildung, Arbeit, gegebenenfalls auch Therapie oder andere weiterführende Angebote schafft und noch keinen Schulabschluss erwerben konnte, kann es ein zweites und unter gut begründeten Umständen auch ein drittes Mal probieren.

Die Offenheit gilt aber auch für alle, die die Produktionsschule erfolgreich absolviert haben. Nach dem Abschluss endet die Begleitung nicht zwangsläufig. Wenn gewünscht, können sich die Absolventinnen und Absolventen noch bis zu einem halben Jahr nach Ende der Teilnahme an die Mitarbeitenden wenden. Die Nachbetreuung ist fester Bestandteil und soll helfen, Erfolge zu sichern. Meist endet der Kontakt jedoch am letzten Tag – oft ein gutes Zeichen.

Weiterentwicklung

Klick zum VergrößernAlles wächst und gedeiht. Bild: ProLand

Die Außenanlage der Jugendwerkstatt Felsberg hat sich seit Anfang des Jahres 2022 verändert: Wo früher eine matschige, brachliegende Pferdekoppel war, blühen jetzt Obstbäume und Gemüse wird geerntet. Auch ein neues Gebäude ist in den letzten Monaten entstanden. Im Sommer 2022 haben vier Jugendliche bereits eine Arbeit aufgenommen oder hatten eine Ausbildungsplatzzusage. Im Herbst gab es ein Erntedankfest mit den und für die Menschen aus der Region. Das Wachstum geht in jeder Hinsicht weiter.

Aktuelle Literatur

  • Arbeiten und Lernen in Corona-Zeiten in den Sprungbrett-Produktionsschulen (PDF)
    Bakker, Peter und Oertel-Sieh, Sabine: Praxis- und Erfahrungsbericht: "Arbeiten und Lernen in Corona-Zeiten in den Sprungbrett-Produktionsschulen". In: Heisler, Dietmar und Meier, Jörg A. (Hrsg.): Berufsausbildung zwischen Hygienemaßnahmen und Lockdown(s). Folgen für die schulische und außerschulische Berufsausbildung in Schule, im Betrieb und bei Bildungsträgern, S. 409 - 422. Bielefeld 2022
    Dateigröße: 1,25 MB
  • Die Produktionsschulen – Konzepte, Handlungsansätze, Forschungsbefunde (PDF)
    Mertens, Martin: Die Produktionsschulen – Konzepte, Handlungsansätze, Forschungsbefunde. In: Stein, Roland und Kranert, Hans-Walter (Hrsg.): Pychische Belastungen in der Berufsbiografie. Interdisziplinäre Perspektiven, S. 169 - 179. Bielefeld 2022
    Dateigröße: 9,69 MB

Weitere Informationen

  • Jeder verdient eine DRITTE CHANCE – Informationsbroschüre (PDF)
    Produktionsschulen sind Bildungseinrichtungen für junge Menschen, die auf anderen Bildungswegen nicht weiterkommen. Zielgruppe sind Jugendliche und junge Erwachsene bis etwa 27 Jahre, oft mit schwierigem sozialen Hintergrund.
  • Qualitätsstandards des Bundesverbands Produktionsschulen e.V. (PDF)
    Die Qualitätsstandards sollen handlungsleitend sein für pädagogische Prozesse und institutionelle Strukturen bei der Neugründung von Produktionsschulen. Zudem sollen sie Hilfestellung bieten und Handreichung sein für die Überprüfung schon bestehender Einrichtungen.
  • bv-produktionsschulen: Produktionsschule?
    Der Bundesverband Produktionsschulen bietet auf seiner Website neben Informationen für Mitglieder auch Links zu Praxisbeispielen und zu einem Imagefilm (in der rechten Spalte).
  • uebergangschuleberuf: Runder Tisch
    Der "Runde Tisch Produktionsschulen und produktionsorientierte Angebote in Jugendwerkstätten" ist eine Arbeitsplattform, an der Vertreterinnen und Vertreter aus verschiedenen Landesministerien, aus den Regionaldirektionen der Bundesagentur für Arbeit sowie den Bundesministerien für Arbeit und Soziales und für Bildung und Forschung teilnehmen, um über den Stand der Produktionsschulentwicklung zu berichten und zu beraten.