04.04.2017

Pferdepflege und Selbstbestimmung auf dem Stundenplan

Die BvB-Reha-Maßnahme "Pferdepflege" des Fördercentrums Mensch & Pferd

von Michael Gräf

Pferde sind gute Therapeuten. Diese Erkenntnis ist nicht neu, und auch das Fördercentrum Mensch & Pferd in Bielefeld macht sie sich - und den teilnehmenden Jugendlichen - in ihrer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme "Pferdepflege" zunutze. Seit über 15 Jahren erzielen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dabei beachtliche Erfolge. Die hohe Vermittlungsquote geht auf ein ausgereiftes, durchdachtes Konzept und eine gute Vernetzung zurück - und auf das wachsende Selbstwertgefühl der meist lernbeeinträchtigten Jugendlichen, das sie in ihrer täglichen Arbeit gewinnen: "Ich kann etwas, ich werde gebraucht, ich bin etwas wert."

Klick zum VergrößernBild: ©LvKorff - FCM&P e.V.

Therapie im Sinne von heilender Zuwendung benötigen viele der jungen Frauen und Männer, die aus dem gesamten Bundesgebiet in das Fördercentrum Mensch & Pferd e.V. in Bielefeld-Eckardtsheim kommen: "Zu uns kommen Jugendliche mit unterschiedlichstem sozialem und kulturellem Hintergrund, mal ist es ein behütetes Umfeld, mal haben problematische Umstände den Jugendlichen geprägt", berichtet die Leiterin des Fördercentrums, Margit Mölder-Ruiz. "Einige Jugendliche kommen aus Jugendhilfeeinrichtungen oder Pflegefamilien, zum Teil haben die Jugendlichen leider auch Vernachlässigung oder Gewalt erlebt." Fast alle haben Förderschulen besucht, sie benötigen eine besondere Art des Zugangs und der Förderung. Gefördert werden sie im Rahmen einer rehaspezifischen Berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme (BvB) der Bundesagentur für Arbeit.

Alle Jugendlichen sind für die Zeit der BvB-Maßnahme in einem Internat untergebracht, das Platz für 22 Teilnehmerinnen und Teilnehmer bietet und nicht weit vom Ausbildungsort entfernt liegt. Das sozialpädagogische Personal ist dort täglich von morgens bis spätabends ansprechbar, nachts gibt es eine Schlafbereitschaft.

Pferdepflege lernen: Vom Leichten zum Schweren

Im Fördercentrum werden die Jugendlichen zum einen für den Beruf des Pferdepflegers qualifiziert. In der sechsmonatigen Grundstufe stehen Füttern, Putzen, Stall ausmisten und der Umgang mit den Tieren auf dem Stundenplan. Nach dem Motto "Vom Leichten zum Schweren" kommen in der fünf Monate dauernden Förderstufe die Beschäftigung mit Sattel und Zaumzeug, das Longieren, das sichere Verladen und der Transport eines Pferdes hinzu. In der letzten Qualifizierungsstufe, die sieben Monate dauert, wird das bereits erworbene Wissen vertieft. Außerdem stehen Mithilfe beim Schmied, Veterinärkunde, Beschlagslehre, Fütterung, der Umgang mit dem Trecker, Instandhaltungsarbeiten und berufsständisches Wissen auf dem Programm.

In der Berufsschule werden einmal in der Woche allgemeinbildende Inhalte vermittelt sowie Berufs- und Pferdekunde gelehrt. Um den Jugendlichen ein anerkanntes Zertifikat mitgeben zu können, setzt das Fördercentrum auf eine enge Anlehnung an die Ausbildungsinhalte der Deutschen Reiterlichen Vereinigung FN (Federation National). Der Basispass Pferdekunde wird als Zwischenprüfung von Prüfern der FN abgenommen. Für die Abschlussprüfung besuchen die Teilnehmenden einen zweiwöchigen Prüfungslehrgang an der Landes-Reit- und Fahrschule Rheinland und legen dort ihre Prüfung vor einem Richtergremium der Deutschen Reiterlichen Vereinigung ab. Das Zertifikat "FN-geprüfter Pferdepfleger" ist für die Mehrheit der Absolventen und Absolventinnen die Eintrittskarte in ein reguläres Arbeitsverhältnis.

Verglichen mit dem dualen Ausbildungsberuf "Pferdewirt/in" liegt der Schwerpunkt beim Pferdepfleger (FN) auf der praktischen Tierhaltung. Es werden also keine vertieften Kenntnisse und Fähigkeiten in den Bereichen Pferdezucht, Pferderennen und Spezialreitweisen vermittelt, sondern die "Basics", die in jedem Pferdebetrieb unerlässlich sind. Neben der Einzelarbeit mit den Jugendlichen (etwa in der Anleitung am Pferd) umfasst der Unterricht auch die Arbeit in kleinen Teams, zum Beispiel in der Küche und im Reinigungsdienst, oder auch in der Gesamtgruppe, etwa beim theoretischen Unterricht oder gemeinsamen Reflexionen zu Gruppenthemen. Dabei fördern die Pädagogen und Ausbilder die Jugendlichen so individuell wie möglich: In der Sozialpädagogik, im Betrieb und in den Unterrichtsgruppen des Stützunterrichts gehen sie immer auf das besondere Leistungsvermögen und den Lernstand der Teilnehmenden ein.

Leben lernen: Förderung der Alltagskompetenzen

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Einkaufen, Kochen, Waschen, Putzen, Umgang mit Geld – was manchen Jugendlichen ohnehin nicht leicht fällt, spielt für junge Menschen mit Lernschwierigkeiten eine umso größere Rolle. Neben Praxis und Theorie der Pferdepflege erwerben sie im Rahmen der Bildungsmaßnahme deshalb auch Alltagskompetenzen, die ihnen helfen, ein selbständiges und selbstbestimmtes Leben zu führen. Dazu gehört zum Beispiel auch ein "Mobilitätstraining". So lernen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, vom etwas abgelegenen Internat zu bestimmten Orten in der Bielefelder Innenstadt zu gelangen - erst mit dem Bus zum Bahnhof, dann mit dem Zug und schließlich mit der Straßenbahn. "Zuerst begleiten wir die Jugendlichen", berichtet die Sozialpädagogin Birgit Gollan, "beim nächsten Mal sind wir noch per Handy für sie erreichbar, und schließlich schaffen sie den Weg ganz alleine."

Auch hier geht es immer um das Erleben des Gelingens. Das stärkt das Selbstwertgefühl und vermittelt den jungen Menschen die Erfahrung, ihr Leben selbst in die Hand nehmen zu können. In diesem Zusammenhang erzählt Birgit Gollan von einer jungen Frau, die zu Beginn der Maßnahme recht kindlich und kränklich erschien, aus einem belasteten Elternhaus kam und durch eine Fehlstellung der Beine körperlich eingeschränkt war: "Bei den Prüfungen waren wir alle überrascht, wie gut sie das Gelernte umsetzen konnte - und vor allem, wie souverän sie dabei wirkte."

Hier zeigt sich, dass die Stärkung der Persönlichkeit im Sinne eines ganzheitlichen Ansatzes wesentlich zum Erfolg der Maßnahme beiträgt. Die Kombination von fachlicher Qualifizierung und lebenspraktischen Kompetenzen ist eine besondere Stärke des pädagogischen Konzepts.

„Die Jugendlichen sollen bei uns nicht anders sein, als sie sind. Wir bauen auf den bereits vorhandenen Stärken auf."

 

Es klingt Freude an der Arbeit durch, wenn Birgit Gollan von ihrer Arbeit mit den jungen Menschen erzählt, und manchmal auch Begeisterung. Da gibt es Jugendliche, die nach langen Maßnahmekarrieren durch verschiedene Raster gefallen sind, sagt sie: "Bei denen wussten die Arbeitsagenturen allem Anschein nach nicht mehr recht, wohin sie sie vermitteln sollen." Dabei gehe es doch eigentlich darum, was die Jugendlichen mit dem richtigen Maß an Unterstützung und Förderung aus sich selbst machen können: "Die Jugendlichen sollen bei uns nicht anders sein, als sie sind. Gemeinsam bauen wir auf den bereits vorhandenen Stärken auf, die wir in der Eingangsphase in einer Kompetenzfeststellung ermitteln." Der tragende Gedanke, auf den das pädagogische Konzept sich stützt, lautet "Auf dem Weg zu neuen Fähigkeiten". Er orientiert sich an den Stärken, nicht an den Schwächen der Jugendlichen.

Hohe Vermittlungsquote

Die Vermittlungsquote der BvB-Maßnahme erscheint angesichts der Ausgangslage der meisten Jugendlichen ungewöhnlich hoch: Von den 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die in den ersten 15 Jahren (2001 bis 2015) das Fördercentrum besucht haben, wurde für 105 Jugendliche eine Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt angestrebt. Eine Reihe von Jugendlichen hatte im genannten Zeitraum die Maßnahme abgebrochen, wechselte in eine Ausbildung, eine Werkstatt oder eine andere Maßnahme. Von den 105 konnten 84 in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden, 73 von ihnen blieben ein Jahr oder länger in Arbeit. Das sind etwa 70 Prozent der vermittelbaren Teilnehmer und Teilnehmerinnen.

Die Gründe für die Vermittlungserfolge sind vielfältig: Zum einen haben Pferdepflegerinnen und Pferdepfleger ohnehin hohe Vermittlungschancen, gut ausgebildete junge Menschen sind in der Regel sehr gesucht. Die Deutsche Reiterliche Vereinigung als zertifizierende Organisation hat einen sehr hohen Bekanntheitsgrad, der Ausbildungsgang zum Pferdepfleger (FN) genießt einen guten Ruf. Zum anderen werden die Jugendlichen pädagogisch gut auf diesen Schritt vorbereitet - sowohl im Hinblick auf ihre Selbstständigkeit im neuen beruflichen Umfeld als auch im Hinblick auf Schlüsselqualifikationen, die im Arbeitsleben unerlässlich sind - wie Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit oder Kommunikationsfähigkeit. Und schließlich ist der Hof Thiesbrummel bundesweit mit vielen Pferdebetrieben sehr gut vernetzt, berichtet Margit Mölder-Ruiz: "Durch konsequente Akquise können wir die Jugendlichen während der Maßnahme in verschiedene Praktika vermitteln und im Anschluss oft direkt in eine Festanstellung." Nicht selten fragen auch Pferdebetriebe, die Pferdepfleger/innen suchen, ihrerseits beim Fördercentrum Mensch & Pferd nach.

Intensive Nachbetreuung

Auch nach Abschluss der Maßnahme hält das Fördercentrum den Kontakt zu den Jugendlichen mindestens ein halbes Jahr lang, bei Bedarf auch darüber hinaus. Um das Ergebnis einer gelungenen Integration in den Arbeitsmarkt abzusichern, wird der Übergang in die neue Umgebung intensiv vorbereitet und begleitet. Auch Jugendliche, die nicht vermittelt werden konnten, werden weiter bei ihrer Arbeitssuche unterstützt.

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Neben der berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme "Pferdepflege" bietet das Fördercentrum neuerdings auch eine berufliche Qualifizierung zum Alltagsbegleiter für Senioren an. In Zusammenarbeit mit dem Fachseminar Altenpflege Sarepta der von Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel können Jugendliche hier hauswirtschaftliche, begleitende und unterstützende Tätigkeiten erlernen, die sie auf eine Abschlussprüfung zum Betreuungsassistent nach §87b Pflegeversicherungsgesetz vorbereitet. Die Qualifizierung dauert ebenfalls 18 Monate und ist ähnlich aufgebaut wie die Maßnahme zur Pferdepflege. Die praktische Qualifizierung findet in Kooperationsbetrieben statt. Auch hier gibt es zum Maßnahmenende einen Prüfungsvorbereitungslehrgang und ein abschließendes Zertifikat. Und auch hier gilt das Motto: "Vom Leichten zum Schweren".

Weitere Informationen

Die Website des Fördercentrums Mensch & Pferd ist derzeit nicht erreichbar. Ein ähnliches berufsvorbereitendes Angebot haben das Berufsbildungswerk Bethel und das Integrative Förderzentrum Mensch und Pferd in Wackernheim im Programm.