Gemeinsam Zukunftschancen sichern - neue Formen kooperativer Ausbildung

Dokumentation eines Expertenworkshops des Good Practice Centers (GPC) und des Kooperationsverbundes Jugendsozialarbeit im Dezember 2012

Die assistierte Ausbildung

Die duale Ausbildung sichert für einen großen Teil der Jugend in Deutschland Bildung und Beschäftigung. Die bestehenden Strukturen ermöglichen aber nicht allen jungen Menschen den erfolgreichen Abschluss einer betrieblichen Ausbildung. Für junge Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen Unterstützung oder flexible Bedingungen brauchen, blieb in der Vergangenheit oft nur der Sonderweg der außerbetrieblichen Ausbildung oder anderer Maßnahmen.

Der Ausbildungsmarkt entspannt sich, allerdings kommt die Entspannung bei Jugendlichen mit ungünstigen Startchancen nicht unbedingt an. Viele Betriebe besetzen ihre Ausbildungsplätze nicht oder bilden nicht mehr aus, weil die Bewerberinnen und Bewerber den Anforderungen an das Leistungs- und Persönlichkeitsprofil nicht entsprechen. Viele Jugendliche bleiben als "nicht ausbildungsreif" zurück.

Aus dem Bedarf der Betriebe und vor dem Hintergrund der Zielgruppenkompetenz der Bildungsträger entstehen neue kooperative Formen von Ausbildung. Die "assistierte Ausbildung" versucht, die Kluft zwischen den Anforderungen der Betriebe und den Voraussetzungen der Jugendlichen zu überwinden, indem sie eine betriebliche Berufsausbildung mit umfassenden Vorbereitungs- und Unterstützungsfunktionen flankiert. Neben Betrieb und Berufsschule kommt ein dritter Partner hinzu: Bildungsträger übernehmen die Rolle eines Dienstleisters für beide Seiten - für die Jugendlichen wie für die Betriebe. Jugendliche werden auf ihrem Weg in und durch eine betriebliche Ausbildung hindurch betreut und erhalten dabei die im Einzelfall notwendige persönliche und fachliche Unterstützung. Andererseits steht der Bildungsträger auch im Dienste der Betriebe: Er berät bei Bedarf oder qualifiziert das Ausbildungspersonal, z. B. für eine gezielte Förderung der Auszubildenden.

Das Konzept der assistierten Ausbildung wird in verschiedenen Reformvorschlägen als Modell der Zukunft gewertet. Dabei sind die Formen, die das Modell der "assistierten Ausbildung" in der Praxis annimmt, sehr vielfältig.

Ziel des Expertenworkshops

Der Workshop sollte Expertinnen und Experten aus Praxis, Wissenschaft und Politik ins Gespräch bringen und Impulse für die weitere Entwicklung der beruflichen Bildung liefern. Die Fachveranstaltung stellte Erkenntnisse und Erfahrungen aus unterschiedlichen Formen kooperativer Ausbildung zur Diskussion. Im Mittelpunkt stehen dabei die Fragen:

  • Wie kann betriebliche Ausbildung so ergänzt und weiterentwickelt werden, dass mehr Jugendliche erfolgreich zum Ausbildungsabschluss gelangen?
  • Für welche Jugendlichen, für welche Betriebe kommen kooperative Modelle in Frage?
  • Welche Aufgaben und Rollen übernehmen dabei die Partner Betrieb, Berufsschule und  Bildungsträger?
  • Welcher Rahmenbedingungen bedarf es dazu?

Tagesablauf

10:00  Uhr*Begrüßung und Einführung*
Klaus Weber, Arbeitsbereichsleiter 3.1 im BIBB
Jürgen Döllmann, Kolpingwerk Deutschland
Dr. Petra Lippegaus-Grünau, Good Practice Center
10:30 Uhr*Vom Bildungsträger zum Bildungsdienstleister - die Auftragsausbildung im Wuppermann Bildungswerk*
Joachim Pfingst, Wuppermann Bildungswerk Leverkusen
11:15 Uhr*Von der Maßnahme zur Normalität - die assistierte Ausbildung im Projekt Carpo*
Berndt Korten und Ralf Nuglisch, Der Paritätische Baden-Württemberg
12:00 Uhr*Begleitete Ausbildung im Rahmen der Ausbildungsinitiative der Stadt Rüsselsheim*
Gerhard Franke, AVM Rüsselsheim
12:30 Uhr*Diskussion*
13:00 Uhr*Mittagsbuffet*
13:45 Uhr*Assistierte Ausbildung als Neue Wege in das duale System - Beispiele und Entwicklungen im BIBB-Modellversuchsprogramm zur Heterogenität*
Gisela Westhoff, BIBB
Peter Jablonka, SALSS
14:30 Uhr*Erfolgreich gemeinsam ausbilden (Efa) - Chancen eines neuen Modells der assistierten Ausbildung*
Elise Bohlen, Bundesreferentin, IN VIA Deutschland
Julia Schad, Projektleiterin
15:00 Uhr*Diskussion in Arbeitsgruppen*
16:00 Uhr*Ergebnisse, Schlussfolgerungen, Ausblick*
16:45 Uhr*Ende des Workshops*

Joachim Pfingst, Wuppermann Bildungswerk Leverkusen: Vom Bildungsträger zum Bildungsdienstleister - die Auftragsausbildung im Wuppermann Bildungswerk

Joachim Pfingst, Geschäftsführer des Wuppermann Bildungswerks Leverkusen (WBL), schilderte die Entwicklung einer kooperativen Ausbildung, die sich vorrangig am betrieblichen Interesse orientiert. Im Auftrag der regionalen Metall- und Elektrounternehmen übernimmt das Bildungswerk Teile der Ausbildung bis hin zur kompletten Ausbildung. So kann die Ausbildung individuell und flexibel gestaltet werden. Das Modell, das bislang vor allem für "marktfähige" Jugendliche genutzt wird, eignet sich - so Pfingst - jedoch auch für die Förderung junger Menschen mit Unterstützungsbedarf, insbesondere wenn erfahrene Träger auf qualifiziertes Personal, Angebote und Erfahrungen aus der Benachteiligtenförderung zurückgreifen und diese in die duale Ausbildung übertragen. Die Erfahrungen zeigen, dass Betriebe bereit sind, sich auf ein solches Modell der "Auftragsausbildung" einzulassen, die Frage der Kosten für Zusatzangebote wie sozialpädagogische Betreuung aber noch zu klären ist.

Ralf Nuglisch, Der Paritätische Baden-Württemberg: Von der Maßnahme zur Normalität - die assistierte Ausbildung im Projekt Carpo

Ralf Nuglisch stellte mit Carpo eine assistierte Ausbildung vor, die in Baden-Württemberg auf eine längere Entwicklungsgeschichte zurückblickt. Hier wurde ein Ausbildungsmodell konzipiert, das auf eine echte Teilhabe am Ausbildungssystem anstelle stigmatisierender Sondermaßnahme setzt. Zielgruppe sind insbesondere Altbewerber/innen, junge Eltern, Jugendliche mit genderuntypischen beruflichen Interessen und Jugendliche mit Migrationshintergrund. Großen Wert legt das Konzept auf die individuelle und vor allem kontinuierliche Betreuung der Jugendlichen in einer sechs bis neun Monate langen Vorbereitungsphase sowie während der kompletten Ausbildung, die sich passgenau an den unterschiedlichen Bedürfnissen der Jugendlichen orientiert. Ralf Nuglisch ordnet die assistierte Ausbildung zwischen einer betrieblichen und einer außerbetrieblichen Ausbildung ein. Er betont als Kennzeichen den Ausbildungsvertrag mit dem Betrieb, die betriebliche Ausbildungsvergütung, die Kooperationsvereinbarung zwischen Betrieb und Träger sowie die Dienstleistungen für Jugendliche wie für den Betrieb. Carpo wird in Baden-Württemberg an zahlreichen Standorten umgesetzt und befindet sich auf dem Weg von der Maßnahme zur Normalität.

Gerhard Franke, AVM Rüsselsheim: Begleitete Ausbildung im Rahmen der Ausbildungsinitiative der Stadt Rüsselsheim

Die von Gerhard Franke präsentierte begleitete Ausbildung des AVM findet im Rahmen der Ausbildungsinitiative der Stadt Rüsselsheim und der Ausbildungsoffensive des Kreises Groß Gerau statt. In diesem Projekt wird mit kommunalen Mitteln eine Begleitstruktur finanziert. Der Ansatz beginnt bereits in der Schule und kooperiert eng mit der Berufswegeplanung und der Schulsozialarbeit. Die Auszubildenden bekommen bei Bedarf sozialpädagogische und/oder fachbezogene Unterstützung; betriebliche Ausbilder/innen erhalten Beratung z. B. bei Konflikten. Auch die Lehrkräfte der Berufsschule werden einbezogen. Gerhard Franke blickt auf 14 Jahre Erfahrung mit gutem Erfolg zurück, denn 90 Prozent der Auszubildenden konnten bislang übernommen werden. Der Schwerpunkt liegt heute im Handwerk.

Gisela Westhoff, BIBB; Peter Jablonka, SALSS: Assistierte Ausbildung als Neue Wege in das duale System - Beispiele und Entwicklungen im BIBB-Modellversuchsprogramm zur Heterogenität

Gisela Westhoff und Peter Jablonka gaben Einblicke in das BIBB-Modellversuchsprogramm "Neue Wege in die duale Ausbildung - Heterogenität als Chance für die Fachkräftesicherung". Gefördert werden Modellversuche, in denen gerade die zunehmende Heterogenität der Jugendlichen mit ihren individuellen Lebensläufen und sozialen Hintergründen als Chance genutzt wird, neue Potenziale in der betrieblichen Ausbildung nutzbar zu machen. Weil aber der Umgang mit einer großen Heterogenität gerade für kleine und mittlere Unternehmen zur Herausforderung werden kann, sollen die Betriebe unterstützt werden. Zu den erprobten Handlungsansätzen, Instrumenten und Modellen gehören auch Formen assistierter Ausbildung. Der Vortrag  gliedert die assistierte Ausbildung in eine lange Entwicklung unterschiedlicher Instrumente zur Unterstützung der betrieblichen Ausbildung ein und zeigte Schnittstellen z. B. zum Ausbildungsmanagement auf.

Elise Bohlen, Julia Schad, IN VIA Deutschland: Erfolgreich gemeinsam ausbilden (Efa) - Chancen eines neuen Modells der assistierten Ausbildung

Ein erst im Sommer 2012 angelaufenes Projekt zur Verbreitung und Verstetigung der assistierten Ausbildung stellten Elise Bohlen und Julia Schad von IN VIA Deutschland vor. Das Projekt fußt auf der Erkenntnis, dass ausbildungsbegleitende Hilfen sich häufig auf Förderunterricht beschränken und nicht ausreichen, um Ausbildungsabbrüche zu vermeiden. Der Ansatz von Efa setzt dagegen auf ein individuelles und flexibles Dienstleistungsprogramm, das Jugendliche vor der Ausbildung und während des ersten Ausbildungsjahres begleitet, aber auch Betriebe in Form von Konfliktmanagement und Beratungsangeboten unterstützt. Das Projekt soll an drei Standorten - in Freiburg, Hamburg und Köln - erprobt werden.

Diskussion und Ausblick

Die eingeladenen Fachleute diskutierten angeregt über Möglichkeiten der Weiterentwicklung, über Rahmenbedingungen, Zielgruppen und möglicherweise veränderte Rollen der beteiligten Akteure in Betrieben, Bildungseinrichtungen und Berufsschulen. Das Interesse an diesen neuen Modellen der Ausbildung ist groß, sowohl von Seiten der Bildungsträger als auch von den vertretenen Verbänden des Handwerks und anderen Fachleuten. Man ist sich weitestgehend einig, dass sich mit der assistierten Ausbildung eine Möglichkeit abzeichnet, mit der die Lücke zwischen den Anforderungen der Betriebe und den Voraussetzungen der Jugendlichen geschlossen werden kann. Die Idee bietet Antworten auf wichtige berufsbildungspolitische Fragen, sichert sie doch Zukunftschancen für junge Menschen und Fachkräfte für die Betriebe.

Gleichzeitig zieht die assistierte Ausbildung eine notwendige Konsequenz aus einem sich immer stärker etablierenden Perspektivwechsel: Nicht in den Jugendlichen allein liegt der Grund für das vermeintliche "Mismatch" zwischen betrieblichen Anforderungen und Leistungspotenzial der Bewerber, sondern auch die "Ausbildungsfähigkeit" der Betriebe sollte betrachtet werden.

Die unterschiedlichen Vorträge und die anschließende Diskussion machten deutlich, dass es sich bei dem Begriff "assistierte Ausbildung" keineswegs um eine einheitliche Idee handelt, dass die Vorstellungen und Modelle hinter dem Begriff sehr unterschiedlich sind, angefangen von der fokussierten Zielgruppe der Maßnahmen bis hin zu den Finanzierungsmöglichkeiten.

Entsprechend wurden viele Fragen und Ideen diskutiert, die es in der Zukunft zu klären und auszubauen gilt:

  • Was genau macht die "assistierte Ausbildung" aus? Welche unterschiedlichen Ansätze und Gestaltungselemente gehören dazu und wie lassen sie sich systematisieren?
  • Wie können die Angebote der assistierten Ausbildung trennscharf von anderen Angeboten wie ausbildungsbegleitenden Hilfen oder externem Ausbildungsmanagement abgegrenzt werden? Was unterscheidet sie?
  • Kann das Instrument "assistierte Ausbildung" dazu beitragen, stigmatisierende Zielgruppendefinitionen aufzulösen und Angebote für alle Jugendliche zu machen? Oder soll bzw. muss - z. B. aus förderrechtlichen Gründen - eine Ausrichtung auf "benachteiligte" Zielgruppen beibehalten werden?
  • Wer gilt in diesem Sinne als "benachteiligt"? Kann das Konzept auch für andere Gruppen, z. B. Menschen mit Behinderungen nutzbar gemacht werden?
  • Wie können Regelfinanzierungen geschaffen werden? Unter welchen Voraussetzungen ist es denkbar, dass Mittel, die bisher für die außerbetriebliche Ausbildung genutzt werden, in eine Förderung der assistierten Ausbildung umgewidmet werden?
  • Bildungspolitische Förderprogramme sehen bislang ausschließlich die Förderung der Jugendlichen vor. Welche Möglichkeiten gibt es, Betriebe finanziell bei den Herausforderungen der Ausbildungstätigkeit zu unterstützen?

Als wichtige Zukunftsaufgabe steht an - so ein zentrales Ergebnis des Workshops -, die Konturen der assistieren Ausbildung zu klären, ein einheitliches Bild zu entwickeln und dieses in Praxis, Forschung und Politik einzubringen.