Regionales Übergangsmanagement

Vom Modellversuch zur Kommunalen Koordinierung

von Birgit Reißig

Der Übergang von der Schule in Ausbildung und Erwerbsarbeit stellt eine zentrale Anforderung für Jugendliche dar. In den letzten Jahrzehnten hat sich eine große Optionsvielfalt für diese Übergänge entwickelt. Dies eröffnet einerseits Chancen, kann aber auch die Risiken misslingender Übergänge erhöhen. In jedem Fall sind die jungen Menschen immer stärker gefordert, ihre Biographien individuell zu gestalten, zu managen. Jedoch stehen auch die Akteure und Institutionen, die diese Übergänge begleiten, zunehmend in der Verantwortung, entsprechende Strukturen aufzubauen und zu verbessern.

Kompliziertere Wege in Ausbildung und Arbeit

Im Unterschied zur Situation vor drei oder vier Jahrzehnten befinden sich junge Menschen heute wesentlich länger in Bildungsinstitutionen, sie gehen häufiger Zwischenschritte zwischen Schule und Ausbildung und beginnen so später eine Ausbildung und eine Erwerbsarbeit. Zum einen macht dies die neuen Anforderungen seitens der Ausbildung und Erwerbsarbeit sichtbar, allerdings können zum anderen die beobachteten Verzögerungen auch als eine Reaktion auf unübersichtlicher gewordene Übergangswege gedeutet werden. Es wird versucht, die eigenen Chancen auf gelingende Wege in Ausbildung und Arbeit über die Investition in Bildung zu erhöhen.

Im Zusammenhang mit den veränderten Bedingungen des Aufwachsens junger Menschen steht auch die Frage nach der Chancengerechtigkeit bei der Bewältigung von Übergängen in das Erwachsenenalter. Die erste PISA-Studie stellt dabei eine wichtige Zäsur zu Fragen von benachteiligenden Einflüssen auf Übergangsverläufe dar. Sie hat der Debatte um Übergangs- und Bildungsprozesse sowie deren Einflussfaktoren eine neue Dynamik verliehen. Die dort referierte Tatsache, dass in Deutschland Bildungserfolg unmittelbar mit der sozialen Herkunft verknüpft ist, hat den Fragen sozialer Ungleichheit im Kontext von Bildungsübergängen neuen Auftrieb verliehen.

Die Folge war eine verstärkte Aufmerksamkeit von Politik und Forschung darauf, wie Benachteiligungen im schulischen Bildungssystem und dem weiteren Ausbildungs- und Erwerbsverlauf verringert werden können. Dennoch muss aktuell immer wieder festgestellt werden, dass es vor allem Jugendlichen mit fehlenden oder niedrigen Bildungsabschlüssen sowie jungen Migrantinnen und Migranten schlechter gelingt, (direkt) in eine Ausbildung zu münden. Die alle zwei Jahre veröffentlichten Bildungsberichte verweisen regelmäßig auf die genannten Gruppen von Jugendlichen.

Reaktion auf soziale Ungleichheit am Übergang

Als Reaktion auf die Erkenntnis, dass vielen der Übergang nur schlecht gelingt, wurden Modelle und Angebote entwickelt, die gezielt diesen Jugendlichen über Zwischenschritte den Zugang zu Ausbildung und Arbeit ermöglichen sollen. Unterschiedliche Akteure initiieren derartige Maßnahmen und Angebote, so die Arbeitsagenturen, verschiedene Bundesministerien, die Länder oder auch die Kommunen. Spätestens im Zuge des Ausbildungsplatzmangels in den 2000er-Jahren stieg die Anzahl solcher Maßnahmen und Angebote noch einmal sprunghaft an. Im Jahr 2004 lagen die Eintritte in diese Maßnahmen zahlenmäßig auf fast dem gleichen Niveau wie die Eintritte in die duale Ausbildung (duale Ausbildung: 535.322 Personen, Übergangssystem 488.073, Konsortium Bildungsberichterstattung 2006; S. 80). Diese Angebote im Übergangssystem, die "unterhalb einer qualifizierten Berufsausbildung liegen bzw. zu keinem anerkannten Ausbildungsabschluss führen" (Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, S. 79) rückten nun zunehmend in den Blick.

Dabei musste konstatiert werden, dass es sich beim Übergangssystem kaum um ein System handelt. Welcher Jugendliche in welches Angebot mündet, war häufig eher vom Zufall bestimmt als an den individuellen Bedarfen ausgerichtet. Für einzelne junge Frauen und Männer verband sich damit die Gefahr einer "Maßnahmekarriere", die eher vom Ausbildungs- und Arbeitsmarkt wegführte als sinnvolle Unterstützungsschritte zu beinhalten. Weder die Jugendlichen noch die Fachkräfte vor Ort waren oftmals in der Lage, die Angebote zu überblicken. Statt von einem Übergangssystem wurde vielmehr von einem Angebotsdschungel gesprochen.

Aufbau kooperierender Strukturen vor Ort

Nach und nach wurde sichtbar, dass es des Aufbaus lokaler Abstimmungsstrukturen bedarf, um Übergangsprozesse und die entsprechenden Angebote und Maßnahmen besser koordinieren zu können. Die Kommunen nehmen hier eine besondere Stellung ein, auch wenn die Zuständigkeiten in den meisten Fällen nicht bei der Kommune liegen. Ein Ausgangspunkt für ein bildungspolitisches Engagement der Kommunen ist die Beobachtung, dass die negativen Folgen des Misslingens der beruflichen Integration von Jugendlichen – insbesondere Dauerarbeitslosigkeit, Armut und soziale Ausgrenzung – auf kommunaler Ebene sichtbar werden und dort auch bearbeitet werden müssen. Insofern ist die Motivation groß, diesen Risiken durch ein Engagement zur Verbesserung der Übergänge in Ausbildung präventiv zu begegnen. Dass die Kommunen und Landkreise hierbei ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt sind, machen auch Begriffe wie lokales/regionales Übergangsmanagement oder kommunales Bildungsmanagement deutlich. Jedoch muss der Prozess des regionalen Übergangsmanagements immer als gemeinsame, partnerschaftliche Aufgabe der beteiligten Akteure verstanden werden. Insofern ist Kommune weniger die steuernde, vielmehr die koordinierende Instanz in diesem Prozess.

Von unterschiedlicher Seite gingen in der Folge Initiativen aus, verbesserte Netzwerk- und Kooperationsstrukturen aufzubauen. Erste Schritte gingen zum Beispiel der Bund, so etwa das BMFSFJ  mit dem ESF-Programm "Kompetenzagenturen" oder das BMBF mit "Lernende Regionen" und später mit "Lernen vor Ort" und „Regionales Übergangsmanagement“ und die Länder. Auch die Kommunen selbst sehen sich nun vermehrt als Initiatoren von kommunaler Koordinierung im Bereich Übergang Schule – Beruf (vgl. die Weinheimer Initiative). Insofern kann man konstatieren, dass mit dem Blick auf die Strukturen statt auf immer neue einzelne Modellprogramme ein Paradigmenwechsel stattgefunden hat. Unter der Überschrift des regionalen Übergangsmanagements wird seither versucht, auf Basis belastbarer Monitoringdaten übergangs- und bildungspolitische Netzwerkstrukturen auf- und auszubauen.

Aufgaben im regionalen Übergangsmanagement

Regionales Übergangsmanagement (RÜM) setzt sich schwerpunktmäßig mit den folgenden Anforderungen auseinander:

  • Es werden Strukturen und Prozesse einer akteursübergreifenden Koordination und Kooperation entwickelt. Dabei werden auch Kooperationen zwischen der regionalen und der Landesebene angestoßen und verbessert. Zudem ist zu klären, wie durch bundeszentrale Vorgaben gesteuerte Akteure (zum Beispiel die Arbeitsagenturen) ihre Aktivitäten und Leistungen in eine abgestimmte lokale Leistungsstruktur einbringen können.
  • RÜM klärt, welcher Handlungsbedarf in der Kommune oder im Landkreis sich aus den Übergangsverläufen Jugendlicher zwischen Schule und Ausbildung ergibt und entwickelt Verfahren, Übergangsmanagement systematisch durch Daten über Übergangsverläufe zu unterfüttern.
  • RÜM schafft Transparenz über lokale Angebotsstrukturen. Es bietet damit eine Stelle, an der ein Überblick über die Gesamtheit der Angebote geschaffen werden kann. Dem Feld der Angebote im Übergang Schule - Berufsausbildung (Angebote der allgemeinbildenden und beruflichen Schulen, der Berufsberatung, der Jugendhilfe und aus Programmen von Bund, Ländern, der Bundesagentur für Arbeit, der Kommunen, Stiftungen und anderen Akteuren) fehlt ansonsten eine solche Zusammenführung.
  • Es werden Interventionen zur Verbesserung der Angebotsstruktur implementiert, teils durch die Fortentwicklung vorhandener Angebote, teils durch Füllung von Lücken im Angebotssystem, teils durch eine systematische Vernetzung von Angeboten.

Konkret wird mit einem regionalen Übergangsmanagement versucht, die Zusammenarbeit der zahlreichen Institutionen und Anbieter am Übergang von der Schule in die Ausbildung zu optimieren. Ein wesentliches Ziel ist die Verbesserung der Berufsorientierung innerhalb der Schule und eine rasche Einmündung in die betriebliche Ausbildung oder in ein geeignetes weiterführendes Bildungsangebot. Darüber hinaus sollen Warteschleifen, Bildungsabbrüche und Orientierungslosigkeit reduziert werden – nicht zuletzt, um den Fachkräftenachwuchs zu sichern. Das Regionale Übergangsmanagement arbeitet hierzu mit Schule (Schulverwaltung, Schulaufsicht und auch einzelnen Schulen), dem Jugendamt, der Arbeitsagentur, dem Jobcenter, den Kammern sowie Vertretern und Vertreterinnen der Migrantenorganisationen zusammen.

Von einer besseren Abstimmung der Personen und Institutionen, die den Übergang begleiten, sollten die Schülerinnen und Schüler – insbesondere der Haupt- und Förderschulen –, die Lehrkräfte, die Eltern und die Betriebe der Region profitieren. Es ist an vielen Stellen auch gelungen, wichtige Akteure am Übergang, die bisher zu sehr "am Rande standen" und nicht systematisch in die Abstimmungs- und Qualitätsentwicklungsprozesse einbezogen waren, zu beteiligen: Eltern, Migrantenorganisationen, lokale Wirtschaftsorganisationen und kleine und mittlere Unternehmen (KMUs).

Es lässt sich festhalten, dass regionales Übergangsmanagement Arbeitsfelder sowohl auf der strukturellen als auch der operativen Ebene in den Blick nimmt. Verbesserte Abstimmungsstrukturen zwischen den Akteuren vor Ort müssen irgendwann Wirkungen für Übergangsprozesse junger Menschen zeigen. Anstrengungen auf der operativen Ebene verpuffen, wenn sie nicht durch entsprechende Strukturen gerahmt sind. Ein Beispiel dafür ist das Themenfeld der Berufsorientierung. So geht es dort auf der einen Seite darum, auf der operativen Ebene sehr konkret Ansätze so zu konzipieren, dass Schülerinnen und Schüler eine qualitativ gute berufliche Orientierung erhalten. Dabei geht es um Fragen, wie diese Angebote inhaltlich ausgestaltet sind (zum Beispiel an individuellen Abläufen beruflicher Orientierung ausgerichtet, mit Praxisphasen in der Schulzeit versehen).

Auf der anderen Seite, der strukturellen Ebene, geht es um eine optimale Abstimmung der unterschiedlichen Akteure, die im Feld der Berufsorientierung arbeiten. Wichtige Akteure sind hierbei zum Beispiel die Arbeitsagenturen (als Anbieter verschiedener Programme), Betriebe und Unternehmen (als Anbieter von Praktika, Vermittler von Mentoren), Kammern und Verbände, Jugendämter und Träger von Jugendsozialarbeit, Kommunen und Landkreise als vor Ort koordinierende Einrichtungen. Insbesondere im Rahmen eines regionalen oder lokalen Übergangsmanagements spielt eine koordinierte Umsetzung von Angeboten der beruflichen Orientierung eine wichtige Rolle. Die Erfahrungen vor Ort haben gezeigt, dass es oft nicht an Angeboten in der Berufsorientierung mangelt, das Problem vielmehr darin liegt, dass Aktivitäten teilweise unkoordiniert nebeneinander her laufen, sie in keinem systematischen Zusammenhang stehen und eine inhaltlich-konzeptionelle Abstimmung verschiedener Angebote häufig nicht stattfindet.

Von einer besseren Abstimmung der Personen und Institutionen profitieren alle: Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte, Eltern und die Betriebe der Region.

 

Auf der strukturellen Ebene konnten wichtige Entwicklungen angestoßen werden: So haben sich die Kommunikation der Beteiligten im Übergangsgeschehen und die gemeinsame Verständigung auf Ziele und Maßnahmen deutlich verbessert. Aufgrund des regelmäßigen und koordinierten Austausches, der politischen "Rückendeckung" in der Region, insbesondere durch die Verwaltungsspitzen  sowie der geschaffenen Transparenz wird an vielen Orten konstruktiver zusammengearbeitet als zuvor. Vor allem die Länder haben, etwa im Nachgang zum Programm des BMBF "Regionales Übergangsmanagement", das Thema aufgegriffen und eigene Landesinitiativen ins Leben gerufen, die aktuell noch weiterlaufen (beispielsweise RÜMSA in Sachsen-Anhalt). Dies hat zugleich zu konkreten Verbesserungen der Angebotsstruktur geführt. Inhaltlich auf die Zielgruppe abgestimmte Angebote der Berufsorientierung und Berufswegebegleitung konnten an den entsprechenden Schulen etabliert werden.

Ausblick

Ebenfalls im Zuge des Aufbaus verbesserter Abstimmungs- und Begleitprozesse sind in den letzten Jahren Initiativen entstanden, die unter dem Label Jugendberufsagenturen versuchen, unterschiedliche Akteure und damit verschiedene gesetzliche Leistungen zu bündeln. Dies geschieht nicht nur in gemeinsamen Netzwerken und Gremien, sondern auch örtlich unter einem Dach. Dahinter steht die Idee eines "One-Stop-Angebots", die bereits vor längerer Zeit schon einmal Konjunktur hatte.

Auch wenn diese Entwicklungen noch am Beginn stehen und sich hinter dem gemeinsamen Begriff Jugendberufsagentur jeweils recht unterschiedliche Umsetzungsstrategien verbergen, könnten diese engen rechtskreisübergreifenden Aktivitäten und zum Teil fallbezogenen Abstimmungen wirksame Hilfe für junge Menschen bei ihren Verlaufswegen von der Schule in die Erwerbswelt leisten. Schaffung von Transparenz und Informationsaustausch kann auf kurzem Weg gelingen. Zugleich bieten sie zumindest die Chance eines (wieder) stärkeren systematischen Einbezugs der kommunalen Jugendhilfe. Diese hatte sich nicht selten im Zuge der Neuausrichtung der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik (SGB II und SGB III) aus dem Bereich der Jugendsozialarbeit (insbesondere der Jugendberufshilfe) zurückgezogen.

Wichtig bleibt in jedem Fall das gemeinsame Ziel und die gemeinsame Verantwortung vor Ort, Übergangswege so zu gestalten und zu begleiten, dass alle Jugendlichen die Chance haben, die Herausforderungen des Übergangs Schule – Beruf zu meistern.

Literatur