28.04.2021 | Redaktion

"Germans first" oder Teilhabe?

Studie untersuchte Folgen der Corona-Pandemie für Integration in Deutschland

Das COVID-19-Virus hat Auswirkungen auf nahezu alle Lebensbereiche. Die Folgen der Pandemie für die Integration von zugewanderten Menschen wurden bislang jedoch kaum beleuchtet. Ein Forschungsprojekt der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) hat nun die Ergebnisse einer von der Stiftung Mercator geförderten Untersuchung veröffentlicht, die auch die unmittelbaren Auswirkungen auf Bildung und Ausbildung deutlich macht. Darin entwickelten die Autorinnen mögliche Szenarien für die Zukunft des Einwanderungslandes Deutschland im Jahr 2030.

Bild: Thomas Reimer/Adobe Stock

Mithilfe der Technik des Scenario-Buildings, einer probaten Methode in Fällen großer Unsicherheit und mangelhafter Datenlage, analysierte ein interdisziplinäres Forschungsteam aus ganz Deutschland kurz- und mittelfristige Auswirkungen der Pandemie. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erarbeiteten auf diese Weise drei mögliche Szenarien, auf die sich Gesellschaft, Wirtschaft aus ihrer Sicht einstellen sollten: Nach dem Szenario der Exklusionsgesellschaft ("Germans First") führt Covid-19 zu einer Gesellschaft, in der Menschenrechte hintangestellt werden und rassistisch-nationalistische Haltungen die Politik dominieren. Für die Migrationspolitik spielt Solidarität kaum noch eine Rolle, sie wäre vor allem sicherheitsfixiert und würde Minderheiten ausschließen.

Im Szenario der utilitaristischen Gesellschaft ("Deutschlands neue Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter") spielen Menschenrechte eine untergeordnete Rolle. Da allerdings die Wirtschaft weiterhin auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen ist, würde an einer selektiven Migrationspolitik mit überwiegend kurzfristig angeworbenen Arbeitsmigrantinnen und -migranten festgehalten. Integration würde höchstens für berufsspezifische Zwecke gefördert.

Nur beim Szenario der teilhabeorientierten Gesellschaft ("Stärker als Viren") erhöht die COVID-19-Pandemie bis 2030 das Bewusstsein dafür, dass Migrantinnen und Migranten in vielen Bereichen systemrelevant sind. Die Corona-Krise würde ihre Benachteiligungen stärker sichtbar machen – das Ziel wäre, diese von nun an abzubauen. Eine progressive Mehrheit würde die Bundespolitik bestimmen. Migrationspolitik wäre zwar weiterhin selektiv, aber nicht nur nach ökonomischen Überlegungen reguliert. Anstelle von Integration der Eingewanderten wäre gesellschaftlicher Zusammenhalt aller in der Diversitätsgesellschaft Deutschland das Ziel.

Schwieriger Zugang zu Sprach- und Integrationskursen

Neben den Szenarien zeigt die Studie auch erste empirische Tendenzen zu den Pandemie-Folgen im Bereich Bildung und Ausbildung. So erwies sich für Eingewanderte und ihre direkten Nachkommen der Zugang zu Schulbildung und zu Sprach- und Integrationskursen infolge von Home-Schooling als schwierig, zumal es vielfach an WLAN und/oder an Endgeräten fehlte, die Unterstützung durch Ehrenamtliche zurückging oder sogar ausblieb. Mangelnde Sprachkenntnisse oder unterschiedliche Zugangsvoraussetzungen der Eltern von Kindern und Jugendlichen mit Migrationserfahrung erschwerten es, Kinder im Online-Unterricht zu unterstützen.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) investierte 40 Millionen Euro, um Lehrkräfte und Kursträger für digitale Angebote der Integrationskurse anzuwerben. 7.000 Online-Tutorien und Klassenzimmer konnten im Rahmen des ersten Lockdowns genehmigt werden, in denen fast 83.000 Einwanderinnen und Einwanderer lernen. 220.000 Teilnehmende brachen dennoch ihren Integrationskurs ab.

Den Zugang zu Ausbildungsplätzen erschwerten unsichere Geschäftsprognosen, eingeschränkte Bedingungen für Praktika und begrenzte Beratungsstrukturen sowie Ausbildungsmessen prinzipiell für alle Ausbildungswilligen – besonders aber für Personen mit Fluchtgeschichte, die noch nicht über Netzwerke verfügen und meist über Praktika einen Zugang zum deutschen Ausbildungs- und Arbeitsmarkt erhalten.

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