23.05.2018

Berufschance Bau - Baugewerbe trifft Jugendsozialarbeit

Assistierte Ausbildung im bayerischen Baugewerbe

von Elisabeth Meßner und Elsa Schumacher

In Bayern haben sich Träger der Evangelischen Jugendsozialarbeit und das Baugewerbe für ein Pilotprojekt zusammengetan und dabei die Assistierte Ausbildung um einen jugendhilfeorientierten Ansatz erweitert. Von den Erfahrungen berichtet Elisabeth Meßner von der ejsa Bayern e. V. Die an der Jugendhilfe orientierte Arbeitsweise ist eine Besonderheit der AsA Bau: Die jungen Leute sollen nicht nur den Ausbildungsabschluss erreichen, sondern sich durch die Unterstützung in der AsA Bau zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten entwickeln.

Bild: Erwin Wodicka / fotolia

Die Assistierte Ausbildung im bayerischen Baugewerbe wurde von der Evangelischen Jugendsozialarbeit Bayern e. V. (ejsa Bayern) und dem Landesverband der bayerischen Bauinnungen (LBB) ab 2015 initiiert und entwickelt. Die ejsa Bayern wollte einerseits erproben, inwieweit die Assistierte Ausbildung nach §130 SGB III mit einem ganzheitlichen und persönlichkeitsbildenden Jugendhilfeansatz kompatibel ist und welche Effekte dadurch erzielt werden können. Andererseits sollten neue Wege für die gleichbleibend hohe Zahl sozial benachteiligter junger Menschen, die keinen Zugang zum Ausbildungsmarkt finden, entwickelt werden.

Für den LBB stellte sich die Ausbildungssituation im Baugewerbe 2015 besorgniserregend dar. Seit 2012 war ein gravierender Rückgang an Auszubildenden zu verzeichnen. Zudem stellten viele Bauunternehmungen fest, dass nur wenige Bewerber ihre Erwartungen erfüllten, sie aber die besonderen Förderbedarfe betriebsintern nicht abdecken konnten. Die Assistierte Ausbildung, die im "Dreiergespann" Auszubildender-Ausbilder-Ausbildungsbegleiter arbeitet und dabei auch die Eltern, Berufsschulen und überbetrieblichen Ausbildungszentren mit berücksichtigt, schien für den Branchenverband generell ein erfolgversprechender Ansatz, um mehr Jugendliche erfolgreich durch die Ausbildung zu bringen. Aber auch das speziell jugendhilfeorientierte Pilotprojekt, das eine besonders bedarfsgerechte Unterstützung in Aussicht stellte, stieß auf Interesse des Branchenverbands, so dass sich der LBB finanziell beteiligte.

Assistierte Ausbildung nach §130 SGB III beinhaltet auch die Unterstützung von Ausbildungsbetrieben. Dass diese Aufgabe besondere Kompetenz bei den Trägern und eine Selbstreflektion bei den Betrieben fordert, zeigte sich im Laufe des Pilotprojekts. In einem intensiven Verständigungsprozess näherten sich ejsa Bayern und LBB an: Gespräche über eine jugendhilfeorientierte AsA und Fachkräftesicherung wurden geführt, die Bedarfe der Baubranche mit den Bedürfnissen benachteiligter junger Menschen abgeglichen; unterschiedliche Denk- und Arbeitsweisen wurden dabei deutlich. Letzten Endes konnte die Zusammenarbeit auf der Basis gemeinsamer Wertschätzung für die jeweils andere Sichtweise und zu erwartender Win-Win-Effekte gestartet werden.

Die Kooperation mit einem Branchenverband und damit die Spezialisierung der Assistierten Ausbildung auf eine Branche wurde von der ejsa nicht zuletzt deshalb forciert, weil die im Stützunterricht zu vermittelnden Fachinhalte für die Lehrkräfte überschaubar gehalten werden sollte. Der Schwerpunkt des Ressourceneinsatzes wurde in der AsA-Bau auf die persönliche Ausbildungsbegleitung für eine sehr heterogene Gruppe gelegt. Neben einer hohen sozialpädagogischen Kompetenz ist eine professionelle Performance im Umgang mit Ausbildungsbetrieben bei den Ausbildungsbegleitern erforderlich. Die Bereitschaft und Fähigkeit auf Augenhöhe mit betrieblichen Ausbildern, aber auch mit Berufsschullehrern zu kooperieren, Konflikte zu bearbeiten und hinsichtlich betrieblicher Ausbildungskonzepte und Ausgestaltungsmöglichkeiten zu beraten, ist notwendig.

Die Vielfalt der Jugendlichen muss nicht durch die Vielfalt der zu vermittelnden Fachinhalte getoppt werden.

 

Berufsstart Bau als ausbildungsvorbereitende Phase

Unter den Teilnehmern der Ausbildungsvorbereitung, die im März, also ein halbes Jahr vor Ausbildungsbeginn, anfingen, waren einerseits Jugendliche, die nach dem Verlassen der Schule noch keinen Ausbildungsplatz bekommen hatten. Andererseits wendeten sich zahlreiche Betriebe an den Träger mit dem Bedarf, bestimmte Bewerber auf die Ausbildung vorzubereiten und anschließend zu begleiten.

„Berufsstart Bau“ wurde die ausbildungsvorbereitende Phase im Pilotprojekt genannt: Junge Menschen machen eine Einstiegsqualifizierung in einem Bauberuf und lernen dabei ihren Ausbildungsbetrieb kennen. Zusätzlich werden sie von einem Ausbildungsbegleiter in persönlichen und Ausbildungsfragen unterstützt und nehmen an überbetrieblichen Ausbildungseinheiten teil. Rund sechs Monate haben die Teilnehmenden Zeit, um zu entscheiden, ob der Bauberuf für sie passt.

Doch nicht alle Teilnehmenden der AsA Bau durchliefen die Vorbereitungsphase. Einige hatten sich direkt bei Betrieben beworben. Aufgrund der engen Kooperation zwischen Bauinnung und Träger vor Ort baten Betriebe häufig die Träger um eine Einschätzung der Bewerber hinsichtlich der AsA Bau. Hier zeigte sich in besonderer Weise, dass Betriebe die AsA Bau als „Ausbildung aus einer Hand“ begreifen.

Während der Ausbildung rundum versorgt

Im September 2016 starteten die Teilnehmer in ihr erstes Ausbildungsjahr. Erwartungsgemäß ergaben sich viele To-dos für die Ausbildungsbegleiter/innen, wie Simone Poppe von Die Junge Werkstatt in Augsburg berichtet: "Bei den Anträgen zur Berufsausbildungsbeihilfe, die bei der Arbeitsagentur gestellt werden, brauchen die Jugendlichen fast immer Unterstützung. Auch die Ausstattung mit Arbeitskleidung ist ein Aufwand, der von ihnen nicht immer allein bewältigt wird." Nach der Erledigung organisatorischer Aufgaben wurde die Unterstützung bei der Auseinandersetzung mit persönlichen Problemlagen der Auszubildenden zum wichtigen Aufgabenfeld der Ausbildungsbegleitung. Dazu gehörte zum Beispiel die Schwangerschaft der Freundin eines Teilnehmers oder ein Todesfall im engsten Familienkreis. Die ganzheitliche Sicht auf die Teilnehmer ist eine Besonderheit der AsA Bau. Sabine Günther, Ausbildungsbegleiterin bei der EJSA Rothenburg gGmbH meint dazu: "Ich sehe die jungen Männer mindestens zweimal pro Woche, ich baue eine Beziehung auf. Wenn ein Problem auftaucht - egal ob privat, beruflich oder sonstwo, dann bin ich zur Stelle. Meine Aufgabe ist es zuzuhören, Fragen zu stellen und gemeinsam mit dem jungen Menschen Lösungswege zu entwickeln, die er so selbstständig wie möglich gehen kann. Er soll ja nach der AsA nicht nur den Gesellenbrief in der Hand halten, sondern mit seinem ganzen Leben besser klar kommen." Der intensivere Blick auf die Lebenswelt der jungen Menschen macht die Arbeit der AsA Bau personal- und zeitintensiver, als es in einer regulären Assistierten Ausbildung nach §130 SGB III der Fall ist. Gleichzeitig werden dadurch viele mögliche Abbruchgründe frühzeitig erkannt und können bearbeitet werden.

Die jungen Leute sollen nicht nur den Ausbildungsabschluss erreichen, sondern auch fit gemacht werden für ein eigenverantwortlich geführtes Leben.

 

Zentrale Rolle der Ausbildungsbegleiter

Bild: ejsa Bayern e. V.

Fester Bestandteil der AsA-Bau ist ein wöchentlich stattfindendes Angebot zum Lernen und zum gegenseitigen Austausch. Fachlehrkräfte arbeiten den Berufsschulstoff mit den Teilnehmern nach, sozialpädagogische Einheiten bieten den jungen Menschen Möglichkeiten zur persönlichen Entwicklung. "Wir sprechen über persönliche Ziele und Motivation, erarbeiten, was im Umgang mit Behörden wichtig ist oder thematisieren den Umgang mit Geld. In Einzelgesprächen sind die Themen persönlicher: Stress in der Familie, Umgang mit Verhaltensmustern, die Probleme verursachen und noch vieles mehr", so beschreibt Andreas Buchberger, Ausbildungsbegleiter beim Stadtwerkeprojekt in München, seine Arbeit. Der Stütz- und Förderunterricht wird in enger Absprache mit den Berufsschullehrkräften geplant. Hier werden vermehrt Materialien zum selbstgesteuerten Lernen eingesetzt; unter anderem werden Lernangebote aus der Montessoriarbeit genutzt. Aber auch andere aktive und selbstgesteuerte Lernformen, Kleingruppenarbeiten, Lernvideos oder Kurzreferate helfen den Auszubildenden, den Schulstoff in anderer Weise zu wiederholen, zu vertiefen und zu verstehen.

Auch die Ausbilderinnen und Ausbilder in den Bauunternehmen profitieren von der AsA Bau. Die Ausbildungsbegleiter stehen jederzeit für Gespräche zur Verfügung, kümmern sich um die Rahmenbedingungen für das Ausbildungsverhältnis und initiieren Feedbackgespräche zwischen Azubi und Ausbildern. Ein Ausbilder bringt sein Anliegen an die AsA Bau folgendermaßen auf den Punkt: "In meinem Handwerk bin ich Fachmann und die fachliche Ausbildung bekomme ich gut hin, aber ich bin kein Sozialpädagoge. Mit den Problemen, die in der Lebenswelt der Jugendlichen bestehen, aber auch die Ausbildung beeinflussen, bin ich überfordert. Dafür brauche ich professionelle Verstärkung von außen."

Ausbildende in den Betrieben leisten in der AsA Bau sehr viel zusätzlich und nicht immer sind schnelle Erfolge zu beobachten. Um die Ausbilder zu stärken werden deshalb Ausbildertreffen angeboten, bei denen Themen von allgemeinem Interesse behandelt oder Raum für den Erfahrungsaustausch gegeben werden. Sich mitunter auch mal den Frust von der Seele reden und hören, wie Kollegen mit den Herausforderungen in der AsA Bau umgehen, hilft weiter.

Die Ausbildungsbegleiter der AsA Bau verstehen sich also als die zentrale Vernetzungsstelle: Sie pflegen den Kontakt zu den Berufsschullehrkräften, besuchen die Teilnehmer während der überbetrieblichen Ausbildung, stehen im Austausch mit dem Betrieb und moderieren auf diese Weise das Ausbildungsverhältnis. Sie beziehen Eltern oder andere wichtige Personen mit ein und nehmen Kontakt zu weiteren relevanten Fachstellen auf. In kollegialen Fallbesprechungen beim Träger wird über geeignete Angebote oder Hilfen für junge Menschen diskutiert.

Teilnahme möglich - unabhängig von Herkunft, Religion, Nationalität

Während der Projektentwicklung 2015 erreichte die Zuwanderung von Flüchtlingen in Deutschland einen Höhepunkt. Als direkte Folge entstand eine Fülle von Projekten zur beruflichen Integration junger Geflüchteter. Auch für das Pilotprojekt Berufschance Bau wurde diese Ausrichtung diskutiert.
Zeitgleich war zu beobachten, dass die Zielgruppe der Jugendsozialarbeit – mehrfach benachteiligte junge Menschen – aus dem Blickfeld der öffentlichen Wahrnehmung rutschte. Vermehrt war außerdem von fremdenfeindlichen Aktivitäten in den Medien zu hören und zu lesen. Diese Beobachtungen führten dazu, dass Berufschance Bau als Angebot für alle jungen Menschen konzipiert wurde – „unabhängig von Herkunft, Religion und Nationalität“ wie es in den Grundsätzen der ejsa Bayern heißt. Auf diesem Wege sollte ein Lernraum für interkulturelle Annäherung und Integration geschaffen werden. In den vergangenen beiden Jahren wurde deutlich, dass unterschiedliche Bedürfnisse bei den jungen Menschen vorliegen, die eine Differenzierung in den Angeboten erfordern.  Interkulturelles Lernen braucht Zeit. In der heterogenen Gruppe entstehen natürlich auch Konflikte. Die Chance liegt in der Möglichkeit, diese im geschützten und strukturierten Rahmen der Assistierten Ausbildung zu bearbeiten.

Regionale Besonderheiten

Berufschance Bau wird an drei Standorten in Bayern durchgeführt. Regionale Besonderheiten prägen die Projekte und Arbeitsweisen vor Ort.

  • München
    In München kooperiert das Stadtwerkeprojekt mit dem Ausbildungszentrum der Bauinnung München. Der Ausbildungsbegleiter hat sein Büro direkt im Ausbildungszentrum; so werden die Wege sehr kurz, eine enge Kooperation mit den Ausbildern im Ausbildungszentrum ist möglich.
  • Augsburg
    Die Junge Werkstatt Augsburg arbeitet mit der Bauinnung Augsburg zusammen. Alle Auszubildenden der Assistierten Ausbildung im Baugewerbe besuchen eine Berufsschule zur sonderpädagogischen Förderung mit dem Schwerpunkt Lernen.
  • Ansbach
    In der Region Ansbach arbeiten die EJSA Rothenburg gGmbH und die Bauinnung Ansbach-Feuchtwangen-Dinkelsbühl zusammen. Die weitläufige ländliche Region macht es notwendig, dass die Lern- und Austauschangebote an mehreren Orten durchgeführt werden. Erprobt wurde in Ansbach auch die Zusammenarbeit mit ehrenamtlichen Mentoren, die die jungen Menschen persönlich begleiten. Insbesondere junge Geflüchtete nutzen die Gespräche mit ihrem Mentor, um sich im Deutschen zu üben.

Im Austausch zwischen den drei Projektstandorten wurden daneben auch große Unterschiede in der Arbeitsweise der Arbeitsverwaltung, der Jobcenter wie der Ausländerbehörden spürbar. Rigide Auslegung der Rechtsvorschriften einerseits und Nutzung der Gestaltungsspielräume andererseits beeinflussten die Projektverläufe vor Ort entscheidend mit.

Besondere Herausforderungen

Das Pilotprojekt war von den Partnern von Beginn an auch als Lernprojekt gedacht, anhand dessen Erfahrungen gesammelt und Lösungsansätze für Anforderungen entwickelt werden sollten.

Als Herausforderung stellte sich an allen drei Standorten die Mobilität der Teilnehmer dar. Egal ob auf dem Land oder im Ballungsraum: Die Anbindung über den ÖPNV ist häufig schlecht, so dass die Teilnehmer nach einem Tag auf der Baustelle abends nicht mehr zu den Lern- und Austauschangeboten kommen können oder keine Rückfahrmöglichkeit besteht. Die Träger planen die Lern- und Austauschangebote deshalb an mehreren Orten, im Anschluss an Berufsschultage oder an Blocktagen.

Der Ansatz wirkt

Die begleitende Evaluation zeigte, dass der branchebezogene und persönlichkeitsbildende Ansatz in Berufschance Bau Wirkung entfaltet:

  • Insgesamt schätzen die jungen Menschen ihre Entwicklung in Bezug auf die Ausbildung und ihr allgemeines Leben als positiv ein.
  • Zwei von drei Plätzen der Assistierten Ausbildung im Baugewerbe wären – ohne diese Unterstützung – nicht anderweitig besetzt worden.
  • Die von den Einrichtungen vor Ort zur Verfügung gestellten Unterstützungsangebote decken sich mit dem Bedarf aus Sicht der Kooperationspartner. Am wichtigsten ist aus deren Sicht die Unterstützung des Auszubildenden beim Verfestigen von Schlüsselqualifikationen (Sprache und Lesen) und bei Problemen im Bereich der Fachtehorie.
  • Konzeptionell besonders hervorzuheben ist, dass das Projekt die Jugendlichen nicht nur in der Ausbildung und in beruflichen Belangen unterstützt, sondern auch bei privaten Problemen, die eine Auswirkung auf die Ausbildung haben (z. B. Wohnungssuche). Dies wird von den Kooperationspartnern positiv gesehen und auch klar als Bedarf benannt.
  • Besonders hervorzuheben ist, dass die Berufsschullehrkräfte das Projekt mit einem Mittelwert von 1,2 als besonders hilfreich ansehen.

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