15.06.2020

Andocken im Jerichower Land

Das Projekt "Docking Station" in Burg arbeitet mit schwer erreichbaren Jugendlichen

von Michael Gräf

Am 1. August 2016 hat der Gesetzgeber den neuen Paragraphen 16h in das SGB II aufgenommen. Mit ihm sollen Jugendliche und junge Erwachsene gefördert werden, die schwer erreichbar für die Hilfe- und Sozialsysteme sind, oft auch für das Bildungssystem. Sie haben sich selbst abgewendet oder wissen nicht, welche Unterstützung sie erhalten könnten. Es sind in der Regel multiple Problemlagen und prekäre Familienverhältnisse, die zur Abkopplung geführt haben. Diese jungen Menschen wieder in das Hilfesystem einzugliedern und ihnen dadurch langfristig eine berufliche Qualifikation und eine Integration in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen, das ist das Ziel des Projekts "Docking Station" des Jugendwerks Rolandmühle in Burg in Sachsen-Anhalt.

Klick zum VergrößernV.l.n.r.: Sven Heinrich, Elke Häntsche, Julia Albert (Docking Station)

Durch die Regelsysteme der Arbeitsförderung werden viele junge Menschen nicht erreicht. Eine systematische Erfassung ihrer Anzahl in Deutschland gibt es leider nicht. Im Jahr 2015 galten 21.000 junge Menschen als schwer erreichbar oder "entkoppelt" – neuere Berechnungen liegen nicht vor. Die Einführung des § 16h SGB II ermöglichte es, neue Formen und Instrumente der Hilfe für diese spezielle Zielgruppe zu etablieren. Dabei stehen die aufsuchende Arbeit und eine intensive individuelle Begleitung im Mittelpunkt, verbunden mit Chancen und Ansätzen einer rechtskreisübergreifenden Kooperation, vor allem der Jugendhilfe und der Jobcenter. Seither wurden im gesamten Bundesgebiet Projekte initiiert, die unter ihren spezifischen regionalen Voraussetzungen "Aufbauarbeit" leisten. Hier geht es in der Regel um niedrigschwellige Ansätze, die – auch bezüglich der Förderdauer - flexibel auf den persönlichen Bedarf angepasst sind und auf die Partizipation der Jugendlichen und jungen Erwachsenen setzen. Am Ende der Förderung sollen konkrete Anschlussperspektiven stehen und möglichst über Zielvereinbarungen verbindliche weitere Schritte festgehalten werden.

Die "Docking Station" des Jugendwerks Rolandmühle in Burg setzt auf die Entwicklung der gesamten Persönlichkeit der teilnehmenden jungen Menschen. Mithilfe eines "sicheren Ortes", der Geborgenheit und Vertrauen gibt, soll eine Stabilisierung ihrer sozialen und psychischen Situation erreicht werden, die eine wesentliche Grundvoraussetzung für die Integration in die Hilfesysteme ist, um letztlich "eine schulische, ausbildungsbezogene und berufliche Qualifikation abzuschließen oder anders ins Arbeitsleben einzumünden" – so der Wortlaut des Paragraphen. Der bestimmende Handlungsansatz ist eine intensive Bezugsbetreuung, also eine ganzheitliche Begleitung und Förderung durch eine konstante Vertrauensperson. Diese wird durch Case Management und aufsuchende Arbeit ergänzt. Ziel ist es, jungen Menschen im Alter von 15 und 25 Jahren zu ermöglichen, wieder in Kontakt und Beziehung zu treten - "anzudocken", um möglichst eigenständig einen neuen Weg zu gesellschaftlicher Teilhabe zu finden. Das Jugendwerk Rolandmühle ist als Jugendhilfeträger auch in der Lage, die Jugendlichen weiter zu begleiten, falls sich herausstellt, dass kein Leistungsanspruch aus dem SGB II besteht. Bildungsträger ohne diesen Vorteil müssten die Kooperation mit einem Jugendhilfeträger erst sicherstellen.

Unter den Bedingungen einer ländlich geprägten, strukturschwachen Flächenregion wie dem Kreis Jerichower Land ist diese Arbeit eine besondere Herausforderung. Alle drei Jahre ermittelt das Prognos Institut in seinem Zukunftsatlas die Zukunftschancen und -risiken aller deutschen Landkreise und kreisfreien Städte. In die Bewertung gehen vier Indikatorenbereiche ein: Demografie, Arbeitsmarkt, Wettbewerb & Innovation sowie Wohlstand & Soziale Lage. Der Kreis Jerichower Land liegt im Zukunftsatlas 2019 auf Rang 399 von 401, bei der Kategorie Arbeitsmarkt liegt er auf dem letzten Rang. Obwohl die Kreisstadt Burg nur 30 Kilometer nordöstlich der Landeshauptstadt Magdeburg liegt, sind die Unterschiede riesig. Mit nur 57 Einwohnern pro Quadratkilometern ist der Kreis bei einer recht großen Fläche zudem einer der am dünnsten besiedelten der gesamten Republik.

Lange Wege: die aufsuchende Arbeit

Natürlich können solche Zahlen nicht die Lebenswirklichkeit in ihrer ganzen Vielschichtigkeit abbilden, aber sie sagen trotzdem etwas über die Bedingungen aus, unter denen das Projekt "Docking Station" täglich arbeitet. Das zeigt sich schon angesichts der Notwendigkeit, dass bei vielen Einsätzen der aufsuchenden Arbeit lange Strecken zurückzulegen sind: "Es kommt nicht selten vor, dass wir drei bis vier Stunden pro Tag mit unserem Kleinbus unterwegs sind", sagt der Sozialpädagoge Sven Heinrich, einer der drei Projektmitarbeitenden. Und es zeigt auch eines der Probleme der jungen Menschen, die sie betreuen: die Einschränkung ihrer Teilhabemöglichkeiten durch mangelnde Mobilität. Wer auf den Regionalbus angewiesen ist, der nicht allzu oft fährt und je nach Abfahrtsort mehr als eine Stunde für die Fahrt nach Genthin oder Burg braucht, für den ist Abgehängt-Sein kein diffuses Gefühl, sondern Alltag.

Diese besondere Situation verschärft für die Jugendlichen, die auf dem Dorf wohnen, noch einmal ihre individuellen Problemlagen. Das macht die aufsuchende Arbeit - neben der Anlaufstelle der Projektwohnung in Burg ("Dock W") einer der tragenden Säulen der Projektarbeit - umso wichtiger. "Oft gibt es in den Dörfern nur drei oder vier Jugendliche, und die hängen isoliert und gelangweilt herum, weil viele Jugendclubs wegen Sparmaßnahmen geschlossen wurden", erläutert Elke Häntsche, Leiterin des Bereichs Berufliche Bildung, die Situation. Mit ihrem Kleinbus ("Dock B") besuchen die Sozialpädagogen und –pädagoginnen die Teilnehmenden nach einem verbindlichen Fahrplan. Der Bus ist so ausgestattet, dass Beratungsgespräche an Bord geführt werden können.

Komplexe Problemlagen

In einem kleinen Straßendorf, eine halbe Stunde Autofahrt von der Rolandmühle entfernt (der "Basisstation" des Projekts) lebt Susanne Peters (Name geändert). Die junge Frau, Anfang/Mitte 20, wohnt in zwei großen, etwas dunklen Zimmern bei ihren Eltern. Ihre bisherige Lebensgeschichte könnte man als eine einzige Folge von Katastrophen erzählen. Hier geht es nur darum, anschaulich zu machen, wie komplex die Problemlagen vieler junger Menschen sind. Susanne ist von der Kreisstadt Burg zu ihren Eltern zurückgekehrt, weil sie sich von ihrem „Ex“ getrennt hat, gegen den sie Strafanzeige wegen Körperverletzung erstattete. Sie trank, nahm Drogen, bekam trotzdem ein Kind, das nun nicht mehr bei ihr leben darf. Sie hat keine Arbeit, ist verschuldet.

"Es ist so cool, dass ihr mich einfach so annehmt, wie ich bin!" - Eine Teilnehmerin des Projekts

 

Im Gespräch ist sie freundlich, lacht viel. Das irritiert zunächst, aber dann merkt man, dass sie eigentlich – trotz allem – positive Zukunftserwartungen hat. Sven Heinrich fragt sie, ob sie demnächst zu einem Treffen in der Projekt-Wohnung kommen möchte. "Ja, klar!" – "Um halb zehn holen wir dich ab." Er und seine Kollegin Julia Albert helfen ihr, wieder auf die Beine zu kommen und sich zu stabilisieren. Sie unterstützen sie bei "Behördenkram", der sie überfordert und  beim Kontakt zum Jobcenter und anderen Einrichtungen der Hilfe und Beratung.  Susanne ist dankbar dafür, sagt mitten im Gespräch: "Es ist so cool, dass ihr mich einfach so annehmt, wie ich bin!" Ihr Ziel ist, eine Arbeit zu finden, für sich selbst sorgen zu können und irgendwann auch wieder ihr Kind bei sich zu haben.

Orientierung und Struktur

Klick zum VergrößernDie Rolandmühle, vom Bahnhof aus gesehen

Ob die Jugendlichen und jungen Erwachsenen nun vor Ort aufgesucht werden oder in die projekteigene Wohnung in Burg ("Dock W") kommen – immer geht es darum, ihnen eine Anlaufstelle zu bieten, einen festen Punkt, an dem sie finden, was sie in ihrem Leben bisher viel zu wenig erfahren haben: Orientierung und Struktur, vor allem aber das Gefühl, angenommen zu werden, wichtig zu sein. Sie kommen in der Regel aus prekären Verhältnissen: Ihre Eltern sind meist selbst hilfebedürftig und überfordert, oft arbeitslos, verschuldet, krank oder süchtig. Das wirkt sich in vielen Formen auf die jungen Menschen aus: Sie sind psychisch instabil und orientierungslos, verweigern den Schulbesuch oder versagen in der Schule, leiden unter Angststörungen oder Süchten – und verlieren dadurch irgendwann den Anschluss an die Regel- und Fördersysteme. Die Sozialpädagogin Julia Albert beschreibt dieses Phänomen als eine Form sozialer Vereinsamung: "Sie verlieren ganz einfach den Draht zu allem."

Aus dieser Isolation sind sie nicht leicht zu befreien. "Die Jugendlichen sind oft erst skeptisch, wenn ihnen jemand Interesse entgegenbringt", erklärt Elke Häntsche. "Am Anfang muss man einfach nur zuhören und Fragen stellen, um sich so langsam zu nähern." Die Teilnehmenden kommen schließlich nicht immer aus ureigenem Antrieb zur Docking Station, sondern werden oft durch das Jobcenter, das Jugendamt oder Familienangehörige vermittelt und müssen erst einmal "aufgeschlossen" werden, bevor sie andocken können.

Fester Bezugspunkt: die Wohnung

In der Andockstation der Wohnung in Burg finden die Jugendlichen einen sicheren Ort, an dem es Gruppenangebote und gemeinsame Rituale gibt. "Das gemeinsame Essen ist ein Türöffner", erklärt Sven Heinrich, "man kann schon sagen, dass für die Jugendlichen so etwas wie Familie nachgebildet wird." Ausgestattet ist die Wohnung mit einem Notschlafplatz, Dusche und Badewanne, einer Waschmaschine. Das langfristige Ziel des Projekts ist, von Geh-Strukturen (Bus) immer mehr zu Komm-Strukturen (Wohnung) überzugehen.

"Das gemeinsame Essen ist ein Türöffner. Man kann schon sagen, dass für die Jugendlichen so etwas wie Familie nachgebildet wird." - Sven Heinrich, Sozialpädagoge der "Docking Station"

 

Um die jungen Menschen langsam wieder an bestehende Hilfesystem heranführen zu können, ist viel Beziehungsarbeit nötig. In Einzelcoaching und Gruppenangeboten geht es um den Aufbau von Selbstvertrauen und sozialen Kompetenzen, Lösungen für individuelle Problemlagen, Förderung von Selbstwahrnehmung ("Wie wirke ich auf andere?") und schließlich der Selbständigkeit mit dem Ziel einer erhöhten Handlungsmächtigkeit. Die Arbeitsweise des Projekts ist systemisch ausgerichtet. Durch die Anwendung von Methoden wie Genogramm, Timeline, Fragetechniken, Reflecting Team und Perspektivwechsel werden die Teilnehmenden motiviert, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Für die Jugendlichen sind das meist neue Erfahrungen, die ihre oft festgefahrenen Rollen- und Denkmuster aufweichen und verändern.

Methoden der Systemischen Beratung

Fragetechniken

Das Ziel der systemischen Gesprächs- und Fragetechnik ist, Informationen zu erlangen und zu verdeutlichen, wie bestimmte Situationen und Erlebnisse unterschiedlich wahrgenommen und bewertet werden. Hierbei können die Jugendlichen angeregt werden, neue Lösungsansätze zu finden und umzusetzen.

Genogramm

Ein Genogramm ist eine Darstellungsform verwandtschaftlicher Zusammenhänge, die verwendet wird, um Familienbeziehungen, und wiederkehrende Konstellationen darzustellen und zu evaluieren. So sollen Verhaltensmuster, beziehungsbestimmende psychologische Faktoren und sich innerhalb einer Familie wiederholende Verhaltensweisen visualisiert und anschließend analysiert werden.

Perspektivenwechsel

Perspektivenwechsel ist als ein kognitiver Prozess zu verstehen, bei dem eine Person sich die Welt aus dem Blickwinkel einer anderen Person vorstellt oder sich selbst gedanklich in die Lage einer anderen Person versetzt, um deren visuelle Sichtweise, Gedanken, Motivation Intention und/oder Emotionen zu verstehen.

Reflecting Team

Das Reflecting Team ist eine Methode des Reflexionsgesprächs in der Systemischen Therapie. Dabei geht es um eine angeleitete Reflexion durch mehrere zusätzlich anwesende Therapeuten. Es geht darum, neue Sichtweisen zu ermöglichen und vor allem eigene Ressourcen und Handlungsoptionen wieder wahrzunehmen.

Timeline

Bei der Arbeit mit der TimeLine-Methode geht es darum, belastende Erlebnisse aus der Vergangenheit zu erkunden und das Erleben positiv zu verändern. Durch die zeitliche Ordnung der Erlebnisse gelingt es besser, Ordnung und Struktur in die eigenen Erfahrungen zu bringen.

Vorrangiges Arbeitsinstrument ist die Zusammenarbeit im Einzelcoaching. Dabei geht es etwa um die Beantragung von Leistungen und das Überwinden von herausfordernden Situationen. In diesem Zusammenhang werden soziale Kompetenzen trainiert:

  • Wie telefoniere ich mit einer Behörde?
  • Kommunikation – zielführend und für alle verständlich
  • Mein neuer Wohnraum
  • Haushalten – Wie geht das?
  • Meinen Mietvertrag richtig verstehen (Rechte und Pflichten)
  • Tipps im Umgang mit Geld

Beim Bewerbungstraining geht es um Themen wie das Anfertigen von aussagekräftigen Bewerbungsunterlagen, das Üben von Vorstellungsgesprächen und Einstellungstests, die Typ- bzw. Outfitberatung und die Betriebsrecherche.

Partizipation und Selbstverantwortung

Klick zum VergrößernDie Teilnehmerin Vanessa Wieland und Julia Albert (Docking Station)

Freizeit- und erlebnispädagogische Angebote wie Bogenschießen, Geocaching, aber auch Ausflüge zu einem Trampolinpark oder einer Wanderung auf den Brocken sollen die Prozesse der Selbsterfahrung und Selbstpositionierung verstärken, Gruppenbindung schaffen - und bieten nebenbei die Möglichkeit, einzelne Teilnehmende und die Gruppenstruktur zu beobachten. Elke Häntsche: "Zum einen wollen wir den Jugendlichen positiv besetzte (Lern-) Erfahrungen ermöglichen, die wiederum Auswirkungen auf ihre Eigenmotivation und ihren Antrieb haben. Zum anderen können wir die Teilnehmenden in der Interaktion erleben, ihre individuellen Bedarfe und Kompetenzen feststellen." Für die Jugendlichen sind solche Erlebnisse Höhepunkte im Alltagsleben, darüber hinaus können sie aber auch regelrechte Katalysatoren im Prozess der Erlangung von Selbstwirksamkeit sein.

Da es neben Fortschritten bei den Teilnehmenden immer wieder auch Rückschritte geben kann, ist die Aufrechterhaltung eines niedrigschwelligen Angebots wichtig, auch wenn sich einzelne Jugendliche mal zurückziehen sollten. Eine grundsätzliche Zugewandtheit auch in problematischen Situationen, die immer wieder neue Handlungsstrategien erfordern können, ist dabei ebenso wichtig wie Authentizität: "Für ein echtes, nicht vorgetäuschtes Interesse haben die Jugendlichen ausgeprägte Antennen", betont Julia Albert. Entscheidend ist aus ihrer Sicht, auf Augenhöhe mit den Jugendlichen zu sein, um einschätzen zu können, wann sie erreichbar sind und wann nicht. Letztlich entscheiden sie immer selbst, woran sie teilnehmen, denn darum geht es im Kern: Aus Benachteiligung durch Partizipation und Übernahme von (Selbst-)Verantwortung Beteiligungsprozesse entwickeln, die die Jugendlichen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung voranbringen und so die Vorrausetzung schaffen für ein Andocken an die Hilfesysteme und perspektivisch an Qualifizierung und Beschäftigung.

Kleine Fortschritte, große Motivation

Dabei ist die Latte für die Definition von Erfolgen in der Arbeit mit den Jugendlichen und jungen Erwachsenen nicht zu hoch anzusetzen. Fortschritte bei der Alltagsbewältigung und der Gewöhnung an eine Tagesstruktur, die Abkehr vom Konsum von Suchtmitteln – das sind aus Sicht der Sozialpädagogen und –pädagoginnen schon wichtige Etappensiege. Oft ist bereits das Andocken ein wesentlicher Erfolg, aus dem sich weitere Schritte ergeben können: regelmäßig zum Jugendclub zu kommen oder zum Jobcenter-Termin. Für die drei Teammitglieder bedeuten solche kleinen Fortschritte große Motivation, die für die in jeder Hinsicht fordernde Arbeit der Pädagoginnen und Pädagogen unerlässlich ist. "Dienst nach Vorschrift reicht nicht, man muss schon für den Job brennen", sagt Sven Heinrich, "aber man lernt im Kontakt mit den Jugendlichen auch sehr viel für sich persönlich."

Um diese Arbeit bewältigen zu können, ist ein gutes Zeitmanagement nötig. Etwa zwei Drittel der Zeit entfallen auf die direkte Arbeit mit den Jugendlichen - ein Drittel auf die aufsuchende Arbeit mit dem Bus ("Dock B") und eines auf die Präsenz in der Wohnung ("Dock W") - und ein nicht weniger wichtiges Drittel auf die organisatorische und Netzwerkarbeit. Daneben bedienen die Teammitglieder der "Docking Station" natürlich auch die Kanäle der sozialen Netzwerke ("Dock M"): So verständigen sie sich mit den Teilnehmenden per Messaging-App und verbreiten aktuelle Informationen und Bilder auf Instagram.

Klick zum VergrößernTeilnehmende auf dem Balkon der Projektwohnung („Dock W“)

Jugendliche, die so auf die "Docking Station" aufmerksam werden und sich hilfesuchend an das Projekt wenden, werden in keinem Fall abgewiesen, auch wenn sie nicht als Teilnehmende aufgenommen werden können – etwa, weil sie keinen Leistungsanspruch nach dem SGB II haben. Auch nach dem Ende der Förderung im Rahmen des § 16h SGB II werden die jungen Menschen weiter begleitet. Das Jugendwerk Rolandmühle verfügt im Bereich "Berufliche Bildung" über drei weitere Anlaufstellen: Das Projekt STABIL bietet Berufsvorbereitung für 18- bis 25-Jährige nach dem Produktionsschulmodell, die Kompetenzagentur Plus ein Coachingangebot für Jugendliche von 15 bis 25 Jahren und die "Aktive Eingliederung" hilft Langzeitarbeitslosen über 27 Jahren bei der beruflichen Integration. Die vier Projekte bilden ein ineinander verzahntes Gesamtangebot, eine Art kreisweites Netz am Übergang in Ausbildung und Beruf.

"Für ein echtes, nicht vorgetäuschtes Interesse haben die Jugendlichen ausgeprägte Antennen." - Julia Albert, Sozialpädagogin des Projekts

 

Austausch im Netzwerk

Bei der Netzwerkarbeit der "Docking Station" mit externen Partnern ist vor allem die enge Kooperation mit dem Jobcenter eine entscheidende Voraussetzung für die Erreichung der Projektziele. Kennzeichnend für die Zusammenarbeit von "Docking Station" und Jobcenter sind schnelle Wege und die unkomplizierte Kommunikation als gleichwertige Partner im Dienst der jungen Menschen. "Wir finden immer eine Lösung, um das Bestmögliche für die Jugendlichen zu erreichen" sagt Marion Pötter. Sie und ihre Kollegin Susanne Richter sind als Integrationsfachkräfte des Jobcenters Jerichower Land die unmittelbaren Ansprechpartnerinnen für das Projekt. Zur Beratung kommen sie auch schon mal in das "Dock W". Umgekehrt begleiten die Projektmitarbeitenden Jugendliche auf Wunsch zum Jobcenter – was zugleich den Vorteil hat, dass Beratungsinhalte oder Vereinbarungen abgestimmt formuliert und bedarfsgerecht entwickelt werden können.

Die "Docking Station" erarbeitet gemeinsam mit dem Jobcenter für jeden Teilnehmenden (und mit jedem Teilnehmenden) einen Strategieplan und Zielvereinbarungen. Diese bilden die Grundlage für die prozesshafte Entwicklungsplanung. Mit den Integrationsfachkräften des Jobcenters gibt es regelmäßige Feedbackgespräche zum Entwicklungsstand und zum Stand der Zielerreichung. Ziel ist immer eine Anschlussintegration oder das Andocken ans Hilfesystem. Bei bisher 16 Austritten aus dem Projekt gelang dies überwiegend:

  • 2 Übergänge in schulische Ausbildungen
  • 2 Eingliederungen in BvB
  • 3 Eingliederungen in das Projekt STABIL
  • 5 Teilnehmende konnten an andere Hilfesysteme andocken: wie z.B. Suchtberatung, Sozial-Psychiatrischer Dienst, Familienintegrationscoach oder andere 16h-Projekte
  • eine Teilnehmerin ging in Elternzeit und wird durch einen Elterncoach vom Jobcenter begleitet
  • 2 Teilnehmende verließen das Projekt wegen Leistungsversagung oder fehlender Eigenmotivation
  • ein Teilnehmer verließ das Projekt wegen eines Umzugs

Dass das Jobcenter der wichtigste Kooperationspartner des Projektes ist, liegt auf der Hand. Sehr eng ist aber auch die Kooperation mit den drei Streetworkern der Städte Burg, Genthin und Gommern, mit denen die "Docking Station" im selben Revier unterwegs ist und sich mit denen sie sich schon deshalb gut abstimmt - und zugleich auch wechselseitig von der Arbeit profitiert. Das Jugendamt, die Jugendgerichtshilfe und der Allgemeine Soziale Dienst unterstützen die Teilnehmerakquise und natürlich die Jugendlichen mit ihren Problemlagen, ebenso – mit ihren spezifischen Themen - die Drogen- und Suchtberatung, die Schwangerschaftskonfliktberatung und die Schuldner- und Insolvenzberatung der Diakonie. Mit der Jugendberatungsstelle der Polizei erarbeitet das Projekt Problemlösungen bei strafrechtsrelevantem Verhalten, regionale Jugendclubs und Freizeiteinrichtungen ermöglichen die flächendeckende Ansprechbarkeit von Akteuren vor Ort. Die Netzwerkstelle Schulsozialarbeit dient der Organisation und Koordinierung der Zusammenarbeit mit den Schulsozialarbeiterinnen und –sozialarbeitern und gibt Unterstützung bei der Reintegration von schulpflichtigen Teilnehmenden im Fall von Schulverweigerung.

Zusammenarbeit mit RÜMSA

Der Projektbeirat als begleitendes Organ unterstützt den Prozess der Implementierung in die regionale Förderstruktur; ihm gehören Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Verwaltung, Arbeitsverwaltung, Wirtschaft und Wirtschaftsverbänden an. Hier erstattet die "Docking Station" bei einem konstruktiv-kritischen Austausch vierteljährlich Bericht.

Gut eingebunden ist das Projekt auch im Kontext des Landesprogramms Regionales Übergangsmanagement (RÜMSA). Die regionale Koordinierungsstelle von RÜMSA bildet das Bindeglied zwischen dem Projekt, dem Fördermittelgeber und den Rechtskreisen SGB II, III und VIII. Alle zwei Monate gibt es Abstimmungsprozesse im Rahmen von Berichterstattungen und Fallbesprechungen. Jürgen Hartmann, Projektmitarbeiter für Öffentlichkeits- und Fachgruppenarbeit bei RÜMSA, zeigt sich über die enge Zusammenarbeit sehr erfreut: "Wir sind in einem stetigen guten Austausch, in dem wir auch gemeinsam Ideen entwickeln." So wurde etwa erörtert, wie man das Problem der mangelnden Mobilität im Jerichower Land besser in den Griff bekommen kann. Eine mögliche Lösung könnten regionale Verbünde von Unternehmen sein, die gemeinsam einen Shuttle-Service finanzieren und bereitstellen.

"Mit der Rolandmühle sind wir in einem stetigen guten Austausch, in dem wir auch gemeinsam Ideen entwickeln" - Jürgen Hartmann, RÜMSA

 

Perspektivisch wird im Jerichower Land die Etablierung einer Jugendberufsagentur anvisiert, allerdings verhalten sich die regionalen Entscheider hier noch sehr zögerlich. Deshalb streben die Akteure als Zwischenschritt zunächst eine "virtuelle Jugendberufsagentur" an - ein Online-Portal, welches Jugendlichen, Netzwerkpartnern, Bildungseinrichtungen, Schulen und anderen Akteuren aktuelle regionale Informationen zum Übergang Schule-Beruf zur Verfügung stellt.

Um die Betriebe für die Zielgruppe der schwer erreichbaren jungen Menschen zu sensibilisieren, hat die "Docking Station" gemeinsam mit weiteren regionalen Trägern, Projekten und Vertretern von Jobcenter und RÜMSA einen "Arbeitskreis Betriebe" ins Leben gerufen. In einem ersten Schritt wurden die Bedarfe der Betriebe erfasst. Über den Arbeitskreis sind für die Jugendlichen bereits Möglichkeiten der praktischen Erprobung entstanden, etwa durch die Akquise von Praktikumsplätzen oder durch Betriebsbegehungen.

Herausforderungen und positive Erfahrungen

In den letzten Wochen und Monaten ist die Corona-Krise natürlich nicht spurlos an der Projektarbeit der "Docking Station" vorbeigegangen. Abbrüche von Teilnehmenden oder andere gravierende Probleme gab es aber nicht, unter Wahrung der Sicherheits- und Hygienemaßnahmen wurde die aufsuchende Arbeit fortgeführt. Mittlerweile sind auch wieder Treffen in der Projekt-Wohnung möglich. In der Überbrückungszeit packten die Sozialpädagogen und –pädagoginnen Care-Pakete, die sie ebenso wie selbst gebackenen Kuchen an die Teilnehmenden verteilten. "Darauf reagierten die Jugendlichen richtig emotional", berichtet Elke Häntsche. Für alle Beteiligten habe es trotz neuer Herausforderungen auch viele positive Erfahrungen gegeben. Dabei erwies sich der erprobte Einsatz digitaler Medien ("Dock M") aus Sicht der Sozialpädagogin zwar als nützlich, aber: "Er ersetzt nicht die persönliche Begegnung."

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