09.11.2021 | Redaktion | WZB

Wohnort prägt Jobwünsche

WZB analysiert Berufswahl im Kontext regionaler Arbeitsmärkte

Was will ich werden? Welcher Beruf könnte mir gefallen? Wunsch und Wirklichkeit gehen bei vielen Jugendlichen beim wichtigen Entwicklungsschritt der Berufswahl auseinander. Sie entwickeln ihre konkreten Berufswünsche in den sozialen Kontexten, in denen sie sich bewegen. Wie eine Studie des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB) zeigt, ist die regionale Herkunft ein wichtiger Hintergrund für die Berufswahl. Insbesondere für Jugendliche mit Hauptschulabschluss wird die Berufswahl aus Sicht der Autorinnen und Autoren so bis zu einem gewissen Grad zufällig, ähnlich einer "Lotterie" durch ihren Wohnort geprägt.

Klick zum VergrößernAnteil der Beschäftigten in Berufen in Maschinenbau und Betriebstechnik an allen Beschäftigten in der Region - Grafik: WZB

Auf der Basis von Daten des Nationalen Bildungspanels (NEPS) untersuchten Matthias Flohr, Laura Menze und Paula Protsch die Bedeutung der regionalen Berufsstruktur für das Berufswahlverhalten von Jugendlichen an nicht gymnasialen Schulen. Diese erwarteten zum Befragungszeitpunkt in der 9. Klasse, die Schule mit maximal einem mittleren Schulabschluss zu verlassen - mussten sich also zum Zeitpunkt der Befragung tatsächlich schon mit der Frage befassen, welchen Beruf sie gerne ergreifen würden. Die beruflichen Erwartungen und Wünsche der Jugendlichen wurden über folgende Frage erhoben: "Denken Sie einmal an alles, was Sie gerade wissen. Welchen Beruf werden Sie wohl später tatsächlich haben?" Die so gemessenen realistischen Berufsaspirationen unterscheiden sich damit von idealistischen Berufswünschen, die frei von institutionellen und sozialen Einschränkungen sind.

Um zu untersuchen, inwiefern die regionale Präsenz eines Berufs die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass dieser Beruf angestrebt wird, wurden die Befragungsdaten durch regionale Arbeitsmarktindikatoren auf Basis von Statistiken der Bundesagentur für Arbeit ergänzt. Die regionale Berufsstruktur wurde detailliert über die Anteile der Beschäftigten in einzelnen Berufen erfasst. Die Analyse berücksichtigte auch die Berufe der Eltern und die Tatsache, dass einzelne Berufe generell beliebter sind als andere und dass für Jugendliche mit mittlerem Schulabschluss andere Berufe erreichbar sind als für Jugendliche mit maximal Hauptschulabschluss. Betrachtet wurden also regionale Unterschiede innerhalb gleicher Berufe und innerhalb des gleichen, nach Schulabschlussniveau und Geschlecht vordefinierten Berufsspektrums.

Einfluss der regionalen Berufsstruktur

Die Ergebnisse bestätigten die theoretische Erwartung: Je höher der Anteil eines Berufs an der regionalen Berufsstruktur ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass Jugendliche erwarten, diesen Beruf einmal selbst auszuüben. Damit ziehen sie je nach Ausprägung der regionalen Berufsstruktur unterschiedliche Berufe für sich in Erwägung. Dieser Zusammenhang entsteht nicht allein daraus, dass die Eltern der Jugendlichen häufiger Berufe ausüben, die regional auch häufiger vertreten sind. Er wird darüber hinaus nicht von spezifischen Merkmalen der Berufe wie dem Berufsprestige oder dem Anteil an weiblichen und männlichen Beschäftigten beeinflusst und ist auch von dem Ausmaß der regionalen Arbeitslosigkeit unberührt.

Die regionale Berufsstruktur ist demnach ein wichtiger sozialräumlicher Faktor, der über die Barrieren hinaus, die durch das Niveau des Schulabschlusses und das Geschlecht bestehen, den Berufsfindungsprozess prägt. Dieser Befund kann als eine indirekte Einschränkung der laut Grundgesetz geforderten Berufswahlfreiheit betrachtet werden. Angebote und Maßnahmen der Berufsorientierung und Beratung in Schulen und Arbeitsagenturen beziehen sich aber auch nicht ohne guten Grund auf die regionalen Gegebenheiten. Aus Sicht der Autorinnen und Autoren kann der Berufseinstieg letztlich nur dort erfolgreich sein, wo es auch passende Ausbildungs- und Arbeitsplätze gibt.

Weitere Informationen

  • WZB: Wohnort prägt Jobwünsche
    Bei der Studie des Wissenschaftszentrums Berlin handelt es sich um eine repräsentative Befragung von Jugendlichen aus ganz Deutschland.