21.09.2021

Warum sich eine Ausbildungsgarantie lohnt

Das österreichische Modell und seine Übertragbarkeit auf Deutschland

von Clemens Wieland

Der deutsche Ausbildungsmarkt leidet seit Jahren unter Passungsproblemen, durch die Pandemie hat sich die Lage nochmal verschärft: die Zahl der Ausbildungsplätze ist rückläufig, gleichzeitig bleiben viele junge Erwachsene ohne berufliche Perspektiven. Auf der Suche nach Lösungen für diese Problematik erhält vermehrt ein Ansatz Einzug in die bildungspolitische Debatte: die Ausbildungsgarantie. Clemens Wieland von der Bertelsmann Stiftung erläutert vor dem Hintergrund einer aktuellen Untersuchung des Instituts für Höhere Studien (IHS), inwiefern diese Ausbildungsgarantie nach österreichischem Vorbild auf Deutschland übertragen werden kann – und welche Mehrwerte er sich für Jugendliche, die Wirtschaft und die Gesellschaft verspricht.

"Der Beruf ist heute nicht nur die wichtigste Erwerbsquelle und das Medium, über das der einzelne an der Gesellschaft und ihrer Entwicklung partizipiert, Berufsausbildung und -ausübung sind gleichzeitig zentrale Voraussetzungen der Persönlichkeitsentwicklung des Menschen." (1) Dieses Zitat des Berufspädagogen Wolf-Dietrich Greinert drückt sehr treffend aus, warum eine Berufsausbildung so wichtig ist: Wem es nicht gelingt, eine Ausbildung zu absolvieren, der hat schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Vielen jungen Erwachsenen aus der Gruppe der Ungelernten fehlt eine berufliche Perspektive. Dies stellt nicht nur für die Betroffenen selbst eine Belastung dar, sondern hat auch negative gesellschaftliche und ökonomische Folgen. Für die Gesellschaft bedeutet das eine gigantische Vergeudung der Fähigkeiten vieler Menschen, die dringend gebraucht würden, wie die Klagen der Betriebe über den Fachkräftemangel zeigen.

Wünschenswert: pro Kopf ein Ausbildungsplatz. Bild: Valeska Achenbach

All dies spricht dafür, jedem jungen Menschen die Chance auf eine Berufsausbildung zu geben. Die Realität sieht leider anders aus. Seit vielen Jahren gibt es in Deutschland einen hohen und sogar leicht ansteigenden Anteil an Jugendlichen, die dauerhaft ohne Ausbildung bleiben. Derzeit haben über zwei Millionen der 20- bis 34-Jährigen keine Berufsausbildung. Dafür gibt es unterschiedliche Gründe: Zunächst folgt der Ausbildungsmarkt einer eigenen Logik, da das Ausbildungsangebot durch unternehmerische Entscheidungen determiniert wird, wohingegen die Ausbildungsnachfrage der Jugendlichen von der demografischen Entwicklung und individuellen Bildungsentscheidungen bestimmt wird. Größen, die selten übereinstimmen – insbesondere nicht bei regionaler und sektoraler Betrachtung.

Passungsprobleme und Corona verschärfen die Situation am Ausbildungsmarkt

Ein in den letzten Jahren wachsendes Phänomen sind dabei die sogenannten Passungsprobleme, das heißt das gleichzeitige Auftreten von unbesetzten Ausbildungsplätzen und unversorgten Bewerberinnen und Bewerbern. Im vergangenen Jahr standen knapp 60.000 unbesetzten Ausbildungsstellen fast 80.000 Jugendliche gegenüber, die entweder völlig unversorgt geblieben waren oder in eine Alternative gemündet sind, dabei aber ihren Ausbildungswunsch aufrechterhalten haben. (2) Selbst bei vollständiger Auflösung der Passungsprobleme hätte die Zahl der Ausbildungsplätze also bei Weitem nicht ausgereicht, um die Nachfrage der Jugendlichen zu befriedigen.

Ein weiterer Anstieg der Zahl der Ungelernten ist mehr als wahrscheinlich, wenn es nicht wirkungsvoll gelingt,
diese "Bugwelle" aufzufangen.

 

Die Corona-Pandemie hat die Situation nochmals deutlich verschärft: Die Zahl der Ausbildungsverträge ist im letzten Jahr um mehr als 50.000 zurückgegangen. Der Einbruch des Ausbildungsangebots wurde zwar begleitet von einem Rückgang der Ausbildungsnachfrage in ähnlichem Ausmaß. Diese ist jedoch nicht demografisch bedingt; vielmehr ist zu befürchten, dass viele Jugendliche ihre Bewerbung entweder auf spätere Zeitpunkte verschoben und ihren Schulbesuch verlängert haben oder vollständig resigniert und buchstäblich von der Bildfläche verschwunden sind. Ein weiterer Anstieg der Zahl der Ungelernten ist somit mehr als wahrscheinlich, wenn es nicht wirkungsvoll gelingt, diese "Bugwelle" aufzufangen.

Als ein möglicher Ansatz zur Lösung dieser Problematik wird die Einführung einer Ausbildungsgarantie diskutiert – und inzwischen nicht nur vom DGB, sondern auch von einigen Parteien gefordert. Das Thema ist also aktueller denn je. Aber natürlich gibt es auch Kritik. Vor allem die Wirtschaft befürchtet eine Verdrängung betrieblicher Ausbildungsplätze oder auch eine Ausbildung junger Menschen in ihren Wunschberufen weit ab von den Bedarfen des Arbeitsmarktes.

Die österreichische Ausbildungsgarantie – ein Vorbild für Deutschland?

Gute Aussichten – auch für den deutschen Ausbildungsmarkt? Bild: epixproductions/Adobe Stock

Ein konkretes Vorbild für eine Ausbildungsgarantie gibt es in Österreich. (3) Dort wird mit dieser dafür gesorgt, dass Jugendliche bis 25 Jahre, die trotz Bewerbungen bei der Ausbildungsstellensuche leer ausgegangen sind oder ihre Ausbildung abgebrochen haben, eine außerbetriebliche Ausbildung absolvieren können. (4) Die Ausbildungsgarantie ist in Österreich an mehreren Stellen gesetzlich verankert, so zum Beispiel im § 30 im Berufsausbildungsgesetz (BAG) und im § 38d im Arbeitsmarktservicegesetz (AMSG). Garantie bedeutet, dass alle Jugendlichen die Chance auf einen Ausbildungsplatz bekommen – einen Abschluss garantiert sie nicht.

Die Ausbildungsgarantie steht nicht in Konkurrenz zur betrieblichen Ausbildung, sondern hilft auch den Betrieben, denn sie erhalten bereits vorqualifizierte Jugendliche, die sie in die laufende Ausbildung übernehmen können.

 

Die Ausbildungsgarantie in Österreich(5)

Wer kann die Ausbildungsgarantie in Anspruch nehmen? Wenn Jugendliche in Österreich Schwierigkeiten bei der Ausbildungsplatzsuche oder ihre Ausbildung abgebrochen haben, müssen sie sich zunächst beim Arbeitsmarktservice (AMS) melden. Dem Arbeitsmarktservice entspricht in Deutschland die Bundesagentur für Arbeit. Dort müssen sie zunächst die Erfolglosigkeit der vorangegangenen Ausbildungsstellensuche nachweisen, was üblicherweise durch die Überprüfung der Bewerbungsbemühungen erfolgt. Je nach Vorkenntnissen und Selbsteinschätzung absolvieren die Jugendlichen dann zunächst einen mindestens zehnwöchigen Kurs zur Vorbereitung und Orientierung.

Vor und während dieses Vorbereitungskurses unterstützt der AMS intensiv bei der Vermittlung eines regulären dualen Ausbildungsplatzes. Nur wenn es nicht gelingt, einen solchen betrieblichen Ausbildungsplatz zu vermitteln, weist der AMS dem jungen Menschen eine seinen Fähigkeiten und Neigungen entsprechende überbetriebliche Ausbildung (ÜBA) in einer Ausbildungseinrichtung zu. Die ÜBA ist der betrieblichen Ausbildung gleichgestellt und führt auch zu einem gleichwertigen Abschluss.

Während der ÜBA besuchen die Auszubildenden – genau wie bei der betrieblichen Ausbildung – die zuständigen Berufsschulen. Die ÜBA kann zum Vollabschluss der Lehre, zu anrechenbaren Teilabschlüssen oder zu Teilqualifikationen und/oder einer verlängerten Lehrzeit führen. Während der ÜBA kann jederzeit in eine betriebliche Lehre gewechselt werden.

Es gibt die ÜBA in zwei Varianten: ÜBA 1 und ÜBA 2. In beiden Varianten wird der Ausbildungsvertrag (zunächst) nur für das erste Ausbildungsjahr mit dem Bildungsträger abgeschlossen. Der wichtigste Unterschied: Bei der ÜBA 1 wird die Ausbildung in einer außerbetrieblichen Lehrwerkstatt absolviert mit zusätzlichen betrieblichen Praktikumsphasen in einem oder mehreren Betrieben. Bei der ÜBA 2 gibt es hingegen einen festen Kooperationsbetrieb, bei dem die Praxisphasen der Ausbildung stattfinden. Die Zuweisung zu ÜBA 1 oder ÜBA 2 hängt grundsätzlich davon ab, in welcher ÜBA-Variante der Lehrberuf verfügbar ist, für den sich die oder der Jugendliche nach der Vorbereitungszeit entschieden hat. Die Auswahl der Berufe für die ÜBA 1 erfolgt durch regionale Bedarfsanalysen anhand von Arbeitsmarktdaten und Verhandlungen mit Sozialpartnern und Ländern. Auf Grundlage dieser Bedarfsanalysen erfolgt dann die (jährliche) Beauftragung von Trägern durch die Landesgeschäftsstellen des AMS.

Beide ÜBA-Varianten zielen auf einen Übergang in eine reguläre betriebliche Ausbildung spätestens nach dem ersten Ausbildungsjahr ab – mit Anrechnung des bereits absolvierten Ausbildungsjahres. Nur wenn der Übergang nicht gelingt, führen die Jugendlichen die Ausbildung in der Trägereinrichtung zu Ende. In der Mehrheit der Fälle jedoch gelingt der Übergang in die betriebliche Ausbildung. Dies zeigt: Die Ausbildungsgarantie steht nicht in Konkurrenz zur betrieblichen Ausbildung, sondern hilft auch den Betrieben, denn sie erhalten bereits vorqualifizierte Jugendliche, die sie in die laufende Ausbildung übernehmen können.

Aber lässt sich ein solches Modell auch auf Deutschland übertragen? Was würde passieren, wenn es in Deutschland ein Modell mit ähnlicher Wirkungsweise gäbe? Um Antworten auf diese Fragen zu finden, hat die Bertelsmann Stiftung beim Institut für Höhere Studien (IHS) eine Untersuchung in Auftrag gegeben mit dem Ziel, die möglichen gesamtwirtschaftlichen und fiskalischen Auswirkungen einer Ausbildungsgarantie nach österreichischem Vorbild in Deutschland zu konkretisieren und zu quantifizieren. (6)

Von der Analyse zur Modellierung: Simulation einer Übertragung

Methodisch gliedert sich diese Untersuchung in zwei Teile. Der erste Teil umfasst eine detaillierte Darstellung und Analyse empirischer Kennzahlen und Indikatoren zur Ausbildungssituation in Österreich. Mithilfe dieser Daten werden Umfang, Wirkungsweise und Kosten der Ausbildungsgarantie in Österreich quantitativ umrissen. Besonders relevant sind hierbei

  • die Ausschöpfung der Zielgruppe der Lehrstellensuchenden: 40 Prozent derjenigen, die bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz in Österreich leer ausgegangen sind, nehmen einen öffentlich geförderten Ausbildungsplatz in Anspruch,
  • die Erfolgsquote der Teilnehmerinnen und Teilnehmer: Zwei Drittel der ÜBA-Teilnehmenden führt die Ausbildung dann auch erfolgreich bis zum Ende,
  • die Häufigkeit von Wechseln in eine betriebliche Ausbildung: Wiederum zwei Drittel (der erfolgreichen Teilnehmerinnen und Teilnehmer) wechseln von der ÜBA während der Ausbildung in eine betriebliche Ausbildung und
  • die öffentlichen Ausbildungskosten im Zusammenhang mit der Ausbildungsgarantie. Hier wird mit 72.000 Euro inklusive Berufsschulkosten pro erfolgreichem Abschluss gerechnet. Dieser Wert beinhaltet sowohl die zusätzlichen Kosten für Abbrecherinnen und Abbrecher als auch die geringeren Kosten für Teilnehmerinnen und Teilnehmer der überbetrieblichen Ausbildung, die in eine betriebliche Lehre wechseln. Kosteneinsparungen zum Beispiel durch den Wegfall von Übergangsmaßnahmen sind nicht berücksichtigt.

Im zweiten Teil wird ein quantitatives makroökonomisches Modell angewendet, welches die wirtschaftlichen und institutionellen Gegebenheiten in Deutschland abbildet. Bei der Modellierung werden die im ersten Teil ermittelten Kennzahlen und Indikatoren aus Österreich auf die deutsche Situation übertragen. Dann werden verschiedene Szenarien für die Einführung einer Ausbildungsgarantie simuliert und deren volkswirtschaftliche und fiskalische Auswirkungen abgeschätzt.

Um das Modell flexibel auf unterschiedliche Situationen am Ausbildungsmarkt anwenden zu können, werden die Berechnungen nicht auf eine bestimmte Ausgangssituation in Deutschland bezogen. Es gibt ein sogenanntes Basis-Szenario mit 10.000 Absolventinnen und Absolventen und verschiedene Variationen davon mit unterschiedlichen Kosten, einer Verdopplung der Zahl auf 20.000 Absolventinnen und Absolventen, der Einbeziehung von Verdrängungseffekten und dem Einsatz einer Ausbildungsgarantie zur kurzfristigen Krisenintervention. Mit diesen Sensitivitätsanalysen wird geprüft, welchen Einfluss die Veränderung einzelner Variablen auf die Ergebnisse hat.

Die Ergebnisse: Profiteure auf allen Seiten

Was ergibt sich daraus für die aktuelle Situation in Deutschland? Laut Berufsbildungsbericht 2021 gab es im vergangenen Berichtsjahr rund 78.000 Ausbildungsbewerberinnen und -bewerber, die keinen Ausbildungsplatz fanden. Überträgt man die oben genannten österreichischen Relationen, so würden 31.200 (40 Prozent) von ihnen die Ausbildungsgarantie nutzen. Von dieser Gruppe gelingt dann 20.592 (66 Prozent) Personen ein Ausbildungsabschluss. Die Wirkungen entsprechen also in etwa den Ergebnissen des Szenarios mit 20.000 Absolventinnen und Absolventen. Angemerkt sei hier, dass es sich – bei einer analogen Vorgehensweise zum Österreicher Modell – um Jugendliche handeln würde, denen trotz intensiver Bewerbungs- und Vermittlungsbemühungen kein direkter Übergang in betriebliche Ausbildung gelungen ist und die möglicherweise auch als "nicht ausbildungsreif" kategorisiert wurden. Sie stellen folglich eine Gruppe dar, die nur aufgrund der Ausbildungsgarantie einen Abschluss erlangt und der Wirtschaft tatsächlich als zusätzliche Fachkräfte zur Verfügung steht. 

Die größten Gewinnerinnen und Gewinner der Reform sind die Absolventinnen und Absolventen der Ausbildungsgarantie selbst, da ihre Beschäftigungschancen und ihre Erwerbseinkommen deutlich steigen.

 

In diesem Szenario (7) würde das Bruttoinlandsprodukt nach zehn Jahren bereits um 2,6 Milliarden Euro pro Jahr steigen, nach 20 Jahren ergeben sich mehr als 8 Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich. Für die öffentlichen Haushalte verursacht die Ausbildungsgarantie Kosten in Höhe von rund 1,44 Milliarden Euro pro Jahr beziehungsweise 72.000 Euro pro Absolventin und Absolvent. Gleichzeitig steigen jedoch die staatlichen Einnahmen aus Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen, sodass sich die Investition aus staatlicher Sicht bereits ab dem neunten Jahr auszahlt. Zudem sinkt die Arbeitslosenquote langfristig um 0,26 Prozentpunkte und die effektive Beschäftigung steigt um 0,69 Prozent.

Die größten Gewinnerinnen und Gewinner der Reform sind jedoch die Absolventinnen und Absolventen der Ausbildungsgarantie selbst, die andernfalls keinen entsprechenden Bildungsabschluss erlangen würden, da ihre Beschäftigungschancen und ihre Erwerbseinkommen deutlich steigen. Nach den Schätzungen beträgt die Differenz zwischen dem Brutto-Lebensarbeitseinkommen von Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung und Personen mit niedrigerem Bildungsniveau in Deutschland durchschnittlich 580.000 € (ausgedrückt in Preisen von 2019).

Die Wirkungen und Effekte der Ausbildungsgarantie lassen sich wie folgt darstellen:

Wirkungen einer Ausbildungsgarantie nach österreichischem Vorbild in Deutschland
Warum eine Ausbildungsgarantie sich wirtschaftlich lohnt

Folgende Effekte werden hier sichtbar: Die Kosten der Ausbildungsgarantie steigen in den ersten drei Jahren – weil jedes Jahr eine zusätzliche Gruppe von 20.000 Personen einsteigt. Ab dem dritten Jahr bleiben die Kosten auf dem gleichen Niveau, weil dann kontinuierlich Personen zwar ein-, aber nach Abschluss der Ausbildung auch wieder aussteigen. Das Bruttoinlandsprodukt steigt von Anfang an aufgrund der Produktivitätseffekte und ab dem achten Jahr übersteigen die Staatseinnahmen die Staatsausgaben (Kosten der Ausbildungsgarantie), so dass fortan ein positiver Budgetsaldo entsteht.

Langfristige positive Effekte für öffentliche Haushalte und Gesamtwirtschaft

Die Analysen ergeben also, dass sich die Einführung einer Ausbildungsgarantie in Deutschland langfristig sehr positiv auf die Gesamtwirtschaft und auf die öffentlichen Haushalte auswirken würde. Während die Größe der tatsächlich realisierten Effekte vom Umfang und der konkreten Umsetzung der Ausbildungsgarantie abhängen, sind die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen in allen Simulationsszenarien positiv und rentieren sich aus Sicht der öffentlichen Haushalte innerhalb eines Zeitraums von 15 bis 29 Jahren. Die Effekte treten auch dann ein, wenn einzelne Parameter variiert werden, also beispielsweise Verdrängungseffekte betrieblicher Ausbildung eingerechnet werden: Bei einem solchen Szenario wird angenommen, dass ein Drittel der Jugendlichen, die aufgrund der Ausbildungsgarantie einen Berufsabschluss erreichen, auch ohne die Garantie eine reguläre betriebliche Ausbildung abgeschlossen hätte.

Im Modell reduzieren sich dann die langfristigen positiven Auswirkungen ebenfalls um ein Drittel, bleiben jedoch positiv. (8) Die Annahmen über die Kosten der Ausbildungsgarantie sind zudem sehr konservativ und berücksichtigen keine möglichen Einsparungen im Übergangsbereich. Und selbst bei einem höheren Kostenansatz zeigen sich noch die positiven Effekte. Dies zeigt auch, dass die Kosten einer Ausbildungsgarantie zwar kurzfristig ein wichtiges Element der Rentabilitätsbetrachtung sind. Langfristig überwiegt jedoch deutlich der aufgrund der höheren durchschnittlichen Arbeitsproduktivität erzielte wirtschaftliche Nutzen. (9)

Die Ausbildungsgarantie würde zumindest den sogenannten "marktbenachteiligten" Jugendlichen den Eintritt und Verbleib in Maßnahmen des Übergangsbereichs ersparen und damit möglicherweise einhergehende Misserfolgserfahrungen und Stigmatisierungseffekte.

 

Die Berechnungen erfassen gesamtwirtschaftliche und fiskalische Effekte der Ausbildungsgarantie, die direkt mit einer höheren Arbeitsproduktivität von Absolventinnen und Absolventen zusammenhängen. Das ist jedoch nicht alles: Eine höhere Ausbildung und bessere Chancen am Arbeitsmarkt haben Einfluss auf viele Bereiche des Lebens, wie beispielsweise Gesundheit, Armutsrisiko, soziale Inklusion und allgemeine Lebenszufriedenheit. Zudem würde die Ausbildungsgarantie zumindest den sogenannten "marktbenachteiligten" Jugendlichen den Eintritt und Verbleib in Maßnahmen des Übergangsbereichs ersparen und damit möglicherweise einhergehende Misserfolgserfahrungen und Stigmatisierungseffekte.

Eine Ausbildungsgarantie kann sicher nicht alle Probleme des Ausbildungsmarktes lösen. Die hier vorgelegten Zahlen legen jedoch nahe, dass sie zumindest einen quantitativ und qualitativ spürbaren Beitrag dazu leisten kann, die Zahl der erfolglosen Bewerberinnen und Bewerber systematisch und dauerhaft zu reduzieren. In diesem Sinne wäre die Einführung einer Ausbildungsgarantie sowohl ein Beitrag zur Erhöhung der Chancengerechtigkeit des Systems der beruflichen Bildung als auch seiner ökonomischen Leistungsfähigkeit.

  • 1Greinert, Wolf-Dietrich (2007): Erwerbsqualifizierung jenseits des Industrialismus: Zu Geschichte und Reform des deutschen Systems der Berufsbildung. Gesellschaft zur Förderung arbeitsorientierter Forschung und Bildung: Frankfurt am Main., S. 110 f.
  • 2Vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hrsg.) (2021): Berufsbildungsbericht 2021 (Vorabversion), S. 77: 59.948 unbesetzte Ausbildungsstellen und 78.237 Bewerberinnen und Bewerber, die ihren Vermittlungswunsch in Ausbildung aufrechterhielten. Online verfügbar (zuletzt aufgerufen: 21.09.2021)
  • 3Vgl. zu den folgenden Ausführungen: Wieland, Clemens (2020): Die Ausbildungsgarantie in Österreich. Funktionsweise – Wirkungen – Institutionen. Hrsg. Bertelsmann Stiftung (Hrsg.): Gütersloh. Online verfügbar (zuletzt aufgerufen: 21.09.2021)
  • 4Für Jugendliche bis 18 Jahre ist die Ausbildungsgarantie Teil der umfassenderen Ausbildungspflicht "AusBildung bis 18", vgl. Bundesministerium für Arbeit, Familie und Jugend (2020): Website www.ausbildungbis18.at.
  • 5Vgl. zur Vertiefung der folgenden Ausführungen: Wieland, Clemens (2020).
  • 6Vgl. Forstner, Susanne; Molnárová, Zuzana; Steiner, Mario; Institut für Höhere Studien – IHS, Wien (2021): Volkswirtschaftliche Effekte einer Ausbildungsgarantie – Simulation einer Übertragung der österreichischen Ausbildungsgarantie nach Deutschland. Bertelsmann Stiftung (Hrsg.): Gütersloh. Online verfügbar (zuletzt aufgerufen: 21.09.2021)
  • 7Vgl. ebenda, S. 61ff. und Tabelle 23 auf S. 91.
  • 8Vgl. ebenda, S. 54 u. 64 sowie Tabelle 21 auf S. 89.
  • 9Vgl. ebenda, S. 56 u. S. 70 sowie Tabelle 24 auf S. 92.

Weitere Informationen

  • www.ausbildungsgarantie.de
    Auf dieser Seite zur Kampagne #ausbildungsgarantiejetzt versammelt und bündelt die Bertelsmann Stiftung Argumente und Zahlen, die ihre Forderung einer Einführung der Ausbildungsgarantie untermauern.
  • Blog Aus- und Weiterbildung: Beitrag zum Thema Ausbildungsreife
    In seinem Blog-Beitrag "'Das Klagelied vom schlechten Bewerber' – die Diskussion um die Ausbildungsreife aus neuer Perspektive betrachtet" erwähnt Clemens Wieland auch das Instrument Ausbildungsgarantie.