30.11.2020 | Redaktion | Aktion Mensch

Mehr Vorteile als Nachteile

Aktion Mensch untersuchte digitale Teilhabe von Menschen mit Behinderung

Für die Teilhabe von Menschen mit Behinderung bringt die Digitalisierung deutlich mehr Chancen als Risiken. Diese Einschätzung ergibt sich durch eine Studie, bei der das Sinus–Institut im Auftrag der Aktion Mensch eine Trendanalyse vornahm und Interviews mit Expertinnen und Experten sowie Menschen mit Behinderung durchführte. Aufgrund der vielfältigen Möglichkeiten digitaler Technologien erleben die Befragten Digitalisierung als ein Mittel, das Teilhabe ermöglicht und ergänzt.

Ausschnitt aus einem Video der Aktion Mensch

Chancen sehen sowohl die befragten Expertinnen und Experten als auch die befragten Menschen mit Behinderung durch die Kompensation beziehungsweise den Ausgleich von Beeinträchtigungen: Blinde oder mobilitätseingeschränkte Menschen profitieren von Spracherkennungssoftware, Apps können Menschen mit einer Lernbehinderung bei der Strukturierung von Aufgaben im Alltag und am Arbeitsplatz unterstützen. Außerdem entstehen neue Zugänge zu gesellschaftlichen Bereichen. Über digitale Plattformen können sich zum Beispiel beim Freiwilligendienst nun auch Menschen einbringen, für die etwa die Teilnahme an analogen Formen wie Veranstaltungen nicht oder nur eingeschränkt möglich ist.

Chancen und Risiken

Technologische Hilfsmittel können Autonomie und eine selbstbestimmte Lebensführung unterstützen, zum Beispiel durch digitale Steuerung von Geräten oder eine Verbesserung der Mobilität mit Orientierungssystemen im öffentlichen Raum. Digitalisierung kann zur Erweiterung von Fähigkeiten und Kompetenzen beitragen, etwa durch flexible Zugangsmöglichkeiten zu Informationen sowie verschiedene Darstellungsformen und Lehrmethoden mithilfe von digitalen Medien. Im Bereich der Vernetzung ermöglicht die Teilnahme an Diskursen in sozialen Medien vielen Menschen mit Behinderung erstmals (politische) Partizipation und damit stärkere Präsenz in der Öffentlichkeit.

Risiken sehen die Befragten vor allem in mangelnden digitalen Kompetenzen bei Nutzerinnen und Nutzern, aber auch beim Fachpersonal in Einrichtungen der Behindertenhilfe oder Schulen. Hohe Kosten der Technik inklusive des Betriebs und Schulung sind für Unternehmen, Institutionen und Privatpersonen ebenfalls ein Hindernis. Und schließlich kann es auch zu einer wachsenden Ungleichheit durch Digitalisierung kommen, da die oftmals prekäre sozioökonomische Situation vieler Menschen mit Behinderung den Zugang zu digitalen Technologien erschweren kann. Aus der Perspektive der befragten Menschen mit Behinderung entsteht noch eine weitere Ungleichheit: Für Menschen mit Sinnes- und Mobilitätseinschränkungen sind viele Technologien leichter zugänglich als für Menschen mit einer psychischen oder einer Lernbehinderung.

Die Gesellschaft muss umdenken

Technologie kann also dabei helfen, die Möglichkeiten der Selbstbestimmung und Teilhabe für Menschen mit Behinderung zu erhöhen. Jenseits der Bereitstellung von Technologie ist aus Sicht der Aktion Mensch aber vor allem eines erforderlich: die Unterstützung, Akzeptanz und Wertschätzung von Menschen mit Behinderung in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Dies erfordert ein gesellschaftliches Umdenken: "Inklusion und digitale Teilhabe müssen als notwendige gesamtgesellschaftliche Prozesse erkannt werden, die nicht nur einer vermeintlich kleinen Gruppe von Menschen helfen, sondern eine vielfältige und zukunftsfähige Gesellschaft erst möglich machen, die niemanden zurücklässt."

Weitere Informationen

  • Aktion Mensch: Trendstudie zur digitalen Teilhabe
    Neben einer Trendanalyse und -projektion umfasste die Studie Tiefeninterviews mit zwölf Expertinnen und Experten und mit 43 Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen im gesamten Bundesgebiet.