05.01.2017 | Redaktion

Integration entscheidet sich vor Ort

Erfahrungen der Städte und Gemeinden in NRW

Ein Gutachten des Instituts für Landes- und Stadtentwicklungsforschung (ILS) zeigt, wie die Kommunen in Nordrhein-Westfalen die Integration von Geflüchteten bislang bewältigt haben. Acht Städte und Gemeinden von unterschiedlicher Größe und mit verschiedenen Rahmenbedingungen wurden ausgewählt und dazu befragt, was die Herausforderungen waren und welche Lösungen gefunden wurden. Das Gutachten wurde im Auftrag des Ministeriums für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen (MBWSV) erstellt.

Bild: Frank Gärtner/Fotolia

Wegen der großen Zahl der Geflüchteten stand zunächst die Grundversorgung im Vordergrund. Seit sich Land und Kommunen auf die neuen Aufgaben eingestellt haben, gibt es auch Gelegenheit, die Qualität der Angebote zu bewerten und gegebenenfalls zu verbessern. Das Gutachten beschäftigt sich neben den Fragen zur Wohnraumsituation und allgemeinen Versorgung mit den Angeboten zur dauerhaften Integration in den Arbeitsmarkt. Dafür sind die Teilhabe an Bildung und Ausbildung von besonderer Bedeutung.

In Nordrhein-Westfalen lebt etwa ein Viertel aller in Deutschland als arbeitssuchend gemeldeten Geflüchteten.

 

In Nordrhein-Westfalen lebt etwa ein Viertel aller in Deutschland als arbeitssuchend gemeldeten Geflüchteten. Wie im gesamten Bundesgebiet sind diese Arbeitssuchenden überwiegend männlich (über 75 Prozent) und fast zwei Drittel haben das 35. Lebensjahr noch nicht vollendet. Deshalb fordern die Kommunen für diese Gruppe viele Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen, da zwar das derzeitige Bildungsniveau noch nicht den Ansprüchen des Arbeitsmarkts entspricht, aber auch das Potential für den Fachkräftemarkt vor allem in den demographisch alternden Regionen gesehen wird. In der Altersgruppe der 18- bis 25-Jährigen fehlt vielen ein schulischer Abschluss, der ihnen einen Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt ermöglicht. Nach Einschätzung der befragten Kommunen könnte eine Schulpflicht bis zum Alter von 25 Jahren diesen jungen Erwachsenen helfen und ihnen Chancen zur Qualifizierung eröffnen.

Knapp 27 Prozent der Geflüchteten haben eine Fachhochschulreife oder ein Abitur. Oft werden diese schulischen und beruflichen Qualifikationen jedoch nicht zeitnah erfasst. Dies sollte nach Meinung der Befragten viel schneller und systematischer erfolgen. Die Statistiken der Bundesagentur für Arbeit zeigen, dass zu etwa einem Viertel der Geflüchteten bisher noch keine Informationen zur Schulbildung oder zu beruflichen Zielen vorliegen. Bekannt ist nur, dass knapp 16 Prozent aller Geflüchteten eine Position als „Experte“ oder Facharbeiter zu erreichen wünschen, 61 Prozent jedoch eine Helfertätigkeit anstreben. Vor allem bei der Kompetenzerfassung und in der Informationsweitergabe zwischen den Kommunen und der Arbeitsagentur oder den Jobcentern besteht Verbesserungsbedarf.

Die Befragten halten ein Monitoring zur Arbeitsmarktlage für Geflüchtete und neue Instrumente zur Kompetenzerfassung für erforderlich.

 

Geflüchtete treffen in Nordrhein-Westfalen auf einen regional ganz unterschiedlichen Arbeitsmarkt. Wirtschaftlich erfolgreiche Regionen grenzen an Gebiete mit einem hohen Arbeitslosenanteil, was zu ebenso unterschiedlichen regionalen Ansprüchen an die Arbeitsmarktqualifizierung und -integration führt. Während in wirtschaftlich wachsenden Regionen häufig der Fachkräftemangel und die Chancen für Handwerksbetriebe betont werden, heben einige verschuldete Städte eher die hohe Belastung der Sozialkassen hervor.

Alle Befragten betonen die Herausforderung der fehlenden Berufsabschlüsse sowie der nur bedingten Kompatibilität mit deutschen Abschlüssen. Darum seien innovative Erfassungsmethoden zur Feststellung der Kompetenzen gefordert, die sich nicht nur an Berufs- oder Schulabschlüssen, sondern an den tatsächlichen, individuellen Fähigkeiten der Geflüchteten orientierten. Manche Kommunen gehen neue Wege bei der Qualifizierung und Kompetenzfeststellung, indem sie Geflüchtete erfolgreich in der Flüchtlingshilfe einsetzten oder diese selbst Begegnungsstätten und Wohnräume schaffen lassen.

Bestehende qualifizierende Maßnahmen wie das Landesvorhaben „Kein Abschluss ohne Anschluss“, Beratungsmaßnahmen wie die „Fachberatung zu im Ausland erworbenen Berufsqualifikationen“ oder die Beratung von erwerbslosen Menschen stehen grundsätzlich auch Geflüchteten offen. Darüber hinaus wurde mit der Einführung der Integration Points in Folge des Förderprogramms „Early Intervention NRW+“ eine Schnittstelle zur Arbeitsmarktintegration Geflüchteter geschaffen.

Ohne ehrenamtlich organisierte Sprachkurse hätte ein Großteil der Neuzugewanderten keinen Zugang zum Spracherwerb und damit zu einer Grundvoraussetzung für gelingende Integration.

 

Voraussetzung ist jedoch die ausreichende Beherrschung der deutschen Sprache. In allen befragten Kommunen werden deshalb ehrenamtlich getragene Sprachkurse angeboten. Sowohl von Ehrenamtlichen, als auch von Verwaltungsmitarbeitern wird dabei die Ungleichbehandlung von Geflüchteten beim Sprachkurszugang des BAMF benannt. Ohne die ehrenamtlich organisierten Kurse würde ein Großteil der Neuzugewanderten keinen Zugang zu Sprachkursen haben und damit eine Grundvoraussetzung für gelingende Integration – das Erlernen der deutschen Sprache – nur erschwert erfüllen können.

Diesen Herausforderungen muss nach Auffassung der Befragten durch flexible Strukturen der Sprachkurse, zum Beispiel in der Zusammensetzung der Teilnehmer oder im pädagogischen Konzept begegnet werden. Bei der Organisation der Sprachkurse lassen sich Unterschiede zwischen den Großstädten und den kleineren Städten und Gemeinden beobachten: Während die Kurse in den großen Städten überwiegend durch freie Träger durchgeführt werden, organisieren in den kleineren Städten vor allem ehrenamtlich tätige Einzelpersonen (zum Beispiel pensionierte Lehrerinnen und Lehrer) die Deutschkurse.

Eine weitere Herausforderung stellt die Finanzierung und Zuständigkeit bei arbeitsfördernden Integrationsmaßnahmen dar. Während des laufenden Asylverfahrens sind die Städte und Gemeinden laut Asylbewerberleistungsgesetz für die Unterbringung und Versorgung Geflüchteter zuständig. Für anerkannte und schutzberechtigte Geflüchtete sind es die kommunalen Jobcenter. Mit der Anerkennung als Flüchtling kommt es also zu einem Wechsel des Rechtskreises und damit auch der Zuständigkeiten. Dieser Wechsel wird von den Befragten häufig als hinderlich beschrieben, da eventuell begonnene Maßnahmen wie Qualifizierungen oder Sprachkurse möglicherweise abgebrochen werden müssen.

Auf dem Wunschzettel der Städte und Gemeinden stehen kurzfristig verfügbare Förderangebote für Investitionen in Wohnraum, Begegnungszentren, Kindertagesstätten und Schulen.

 

Nach Nordrhein-Westfalen kamen im Jahr 2015 rund 330.000 Menschen, die Zuflucht suchten. Bis Juli 2016 kamen 67.900 weitere dazu. Ein Großteil der Geflüchteten wird längerfristig in Deutschland bleiben, mit Zuwanderung ist auch weiterhin zu rechnen. Insgesamt, so stellt das Gutachten fest, bleibt die Frage der Kostenverteilung für Unterbringung Versorgung und Integration der Flüchtlinge ein „steter Konfliktpunkt“ zwischen Kommunen, Land und Bund. Auch die lange Asyl-Verfahrensdauer beim BAMF wird von den Kommunen als Integrationshemmnis genannt. Wichtige Punkte auf dem Wunschzettel der Städte und Gemeinden sind darum kurzfristig verfügbare Förderangebote für Investitionen in Wohnraum, Begegnungszentren, Kindertagesstätten und Schulen. Als dringlich werden auch Vereinfachungen im Bau- und Planungsrecht für die Baulandausweisung genannt, damit die Aufgaben bei Wohnraumversorgung, Ausbildung und Arbeitsmarktintegration gemeistert werden können.

Paritätischer Gesamtverband: Kurzfassung der Expertise