22.07.2022 | Bertelsmann-Stiftung | Redaktion

Herausforderung Berufsorientierung

Studie der Bertelsmann Stiftung zum Berufswahlprozess junger Menschen

Eine Befragung im Auftrag der Bertelsmann Stiftung hat ergeben, dass junge Menschen von der Fülle des Informationsangebotes zur Berufswahl überfordert sind und insbesondere Jugendliche mit niedriger Schulbildung Schwierigkeiten im Berufswahlprozess erleben. Zudem stellt die Studie eine Verbindung zwischen der Einschätzung junger Menschen im Hinblick auf ihre eigenen überfachlichen Kompetenzen und den Erfolg bei der beruflichen Orientierung her.

Gar nicht so leicht sich zu orientieren. Artusius/Adobe Stock

Die Fülle an Informationsangeboten stellt für viele junge Menschen eine Überforderung dar. Das ist eines der zentralen Ergebnisse einer Studie der Bertelsmann Stiftung, für die knapp 1.700 junge Menschen zu ihren beruflichen Orientierungsprozessen befragt wurden. Über die Hälfte der Befragten (53 Prozent) ist zwar der Meinung, dass es genügend Informationen gibt, dass es jedoch schwer ist, sich darin zurechtzufinden. Gleichzeitig sehen nur 37 Prozent der Jugendlichen die Unterstützung bei ihrer beruflichen Orientierung als ausreichend an – bei Jugendlichen mit niedriger Schulbildung sind es mit 30 Prozent sogar weniger als ein Drittel. Ein Viertel (25 Prozent) der Jugendlichen mit niedriger Schulbildung beschäftigt sich zudem nicht gern mit dem Thema Berufsorientierung.

Auf die Frage, wer die jungen Menschen bei ihrer beruflichen Orientierung unterstützt, gaben 73 Prozent aller Befragten ihre Eltern an – wobei der Anteil derer, die die Eltern als Unterstützung nannten, im Verhältnis zu ihrer Schulbildung steht: Bei Befragten mit hoher und mittlerer Schulbildung belaufen sich die Angaben auf 76 und 73 Prozent, während es bei jenen mit niedriger Schuldbildung 61 Prozent sind. Nach den Eltern folgen Lehrkräfte (55 Prozent), das Internet (48 Prozent) und die Berufsberatung der Agentur für Arbeit (36 Prozent). Letztere hat aber bei Jugendlichen mit niedriger Schulbildung einen deutlich höheren Stellenwert (52 Prozent), was die Autorinnen und Autoren der Studie darauf zurückführen, dass die Gesprächs- und Beratungsangebote der Schule und der Bundesagentur verstärkt genutzt werden, wenn die Eltern bei der Berufswahl nicht ausreichend unterstützen können.

Persönlicher Kontakt geht über digitale Informationsangebote

Zudem wurde durch die Befragung deutlich, dass trotz fortschreitender Digitalisierung jungen Menschen Gespräche mit echten Menschen, beispielsweise mit Lehrkräften oder der Berufsberatung, wichtiger sind als digitale Informationsangebote. Die Corona-Situation hat während der letzten zwei Jahre die Möglichkeiten für persönliche Kontakte in Form von Praktika, Berufsmessen oder persönlichen Beratungsgesprächen jedoch eingeschränkt.

Auf die Frage, welche (digitalen) Angebote den jungen Menschen bekannt sind, nannten 65 Prozent der Befragten das Berufsinformationszentrum der Agentur für Arbeit (BIZ). Auch Online-Portale wie planet-beruf.de (38 Prozent), die Portale der Industrie- und Handwerkskammern (31 Prozent) oder berufenavi.de (20 Prozent) sind den jungen Menschen bekannt. Dagegen fallen die Angaben dazu, welche der genannten digitalen Angebote auch tatsächlich genutzt werden, mit maximal 24 Prozent deutlich geringer aus.

Die Bedeutung von überfachlichen Kompetenzen im Kontext der beruflichen Orientierung

Zusätzlich zu den Fragen zur beruflichen Orientierung wurden die Jugendlichen gebeten, eine Selbsteinschätzung zu ihren sozialen, emotionalen und selbstregulativen Fähigkeiten abzugeben. Das Ziel war es herauszufinden, ob die Selbsteinschätzung zu "überfachlichen Kompetenzen" mit dem Prozess der beruflichen Orientierung junger Menschen in Verbindung steht. Die Jugendlichen, die angeben, Schwierigkeiten mit dem Informationsangebot zu haben, sind gleichzeitig verhaltener in ihrer Selbsteinschätzung, was ihre überfachlichen Fähigkeiten betrifft: Sie fühlen sich weniger kompetent, komplexe Informationen zu verstehen, Aufgaben beharrlich zu verfolgen oder Entscheidungen selbstständig zu treffen. Dazu gehört auch ein mangelndes Vertrauen in Bezug auf ihre Fähigkeiten, sich aufzuraffen und Dinge selbstständig anzupacken oder die eigenen Stärken zu erkennen.

Die Angaben der Befragten zeigen, dass über einen Großteil der Fragen hinweg der prozentuale Anteil derer, die die eigenen überfachlichen Kompetenzen positiv bewerten, mit zunehmendem Alter wächst, unter Mädchen stärker ausgeprägt ist und bei jungen Menschen mit höherer Schulbildung größer als bei denjenigen mit mittlerer oder geringer Schulbildung.

Die Autorinnen und Autoren der Studie schlussfolgern daraus: "Es gilt hier eben nicht 'nur', die fachlichen Kompetenzen und Interessen der Jugendlichen zu adressieren, sondern auch ihre überfachlichen Fertigkeiten zu sehen und ernst zu nehmen – und zwar sowohl in der Art und Weise, wie die Angebote zur inhaltlichen Orientierung über mögliche Berufsfelder aufbereitet werden, als auch in der Beratung, welche Zukunftskompetenzen an welchen Stellen im Berufsleben relevant sind und was Jugendliche hier – innerhalb und außerhalb von Schule – an Fähigkeiten benötigen, um sich für ihren identifizierten Wunschberuf zu qualifizieren."

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