18.05.2018 | Redaktion | IAB

Zuwanderung aus Drittstaaten nötig

IAB-Analyse zu Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel

Die Zahl der verfügbaren Arbeitskräfte wird wegen der demografischen Entwicklung schon in wenigen Jahren deutlich sinken. Zwar gibt es einige Ansatzpunkte, um dem drohenden Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Doch diese reichen nicht aus, um den Bedarf sicherzustellen. So ist etwa die Qualifizierung von Menschen ohne schulische oder berufliche Ausbildung nur begrenzt möglich. Nach Einschätzung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) müssen die Unternehmen daher auch für ausländische Fachkräfte aus Drittstaaten (also Staaten außerhalb der EU) deutlich attraktiver werden.

Die Zahl der offenen Stellen ist derzeit mit rund 1,2 Millionen so hoch wie lange nicht – Tendenz weiter steigend. Selbst wenn man die Effekte der Digitalisierung berücksichtigt, gibt es keine Anzeichen dafür, dass der Fachkräftebedarf insgesamt zurückgeht. Zudem wird der Ersatzbedarf der Unternehmen nach qualifiziertem Personal schon bald weiter steigen. Denn in den kommenden zwei Jahrzehnten werden viele Fachkräfte in den Ruhestand gehen, ohne dass sie auch nur annähernd durch die nachfolgende Generation ersetzt werden könnten.

Das Erwerbspersonenpotenzial, das heute bei rund 47 Millionen Personen liegt, würde ohne weitere Zuwanderung und bei unveränderter Erwerbsbeteiligung bis zum Jahr 2060 auf unter 29 Millionen sinken. Um diese Lücke zu schließen, dürften die Betriebe ihr Heil in Anpassungsmaßnahmen wie verstärkter Automatisierung oder Standortverlagerungen suchen. Dadurch werden die sozialen Sicherungssysteme erheblich belastet.

Nachqualifizierung stößt an Grenzen

Ein weiterer Hebel zur Steigerung des Fachkräftepotenzials besteht darin, Menschen ohne schulische oder berufliche Ausbildung zu qualifizieren. Geringqualifizierte haben es nach wie vor sehr schwer am deutschen Arbeitsmarkt: Zuletzt lag die Arbeitslosenquote der Personen ohne Berufsabschluss bei knapp 20 Prozent. Doch auch eine verstärkte Förderung der Nachqualifizierung stößt naturgemäß an Grenzen, denn viele Geringqualifizierte sind nach Erhebungen des IAB aus verschiedenen Gründen nur bedingt weiterbildungsaffin. Auch Faktoren wie Alter, Gesundheitszustand oder Sprachdefizite können ihr Potenzial einschränken.

Zuwanderer aus Kriegs- und Krisenregionen erhöhen zwar den Bestand an Personen, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Ihre berufliche Qualifikation passt jedoch oft nicht zum betrieblichen Bedarf. Die erforderlichen Qualifikations- und Integrationsanstrengungen sind bei ihnen ungleich höher als bei einer Zuwanderung aus starken, stabilen Industrieländern.

Um das Erwerbspersonenpotenzial auf dem heutigen Niveau zu halten, wird eine jährliche Zuwanderung von mindestens 400.000 Personen erforderlich.

 

Grundsätzlich sind weitere Steigerungsmöglichkeiten der Erwerbsbeteiligung denkbar, insbesondere bei einer "Rente mit 70", einer vollständigen Angleichung der Erwerbsbeteiligung von Frauen und Männern oder einer deutlich besseren Arbeitsmarktintegration von Migrantinnen und Migranten. Unabhängig von der Frage, ob diese Möglichkeiten realistisch sind, ist das zusätzliche Potenzial, das sich dadurch ausschöpfen ließe, ebenfalls begrenzt: Es summiert sich nach Berechnungen des IAB auf maximal 3,2 Millionen weitere Erwerbspersonen.

Deutschland braucht qualifizierte Zuwanderung

Aus all diesen Gründen benötigt Deutschland nach wie vor qualifizierte Zuwanderung. Um das Niveau des Erwerbspersonenpotenzials in den kommenden Jahrzehnten auf dem heutigen Niveau zu halten, wäre im Schnitt eine jährliche Nettozuwanderung von mindestens 400.000 Personen erforderlich. Das sind ungefähr doppelt so viele Zuzüge jährlich wie im Durchschnitt der vergangenen Jahrzehnte. Bei der Zuwanderung aus dem Ausland ist zwischen einer Zuwanderung aus den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU) und einer Zuwanderung aus Drittstaaten zu unterscheiden. Für Migranten aus EU-Ländern gilt grundsätzlich die Freizügigkeit innerhalb der EU, Angehörige von Drittstaaten müssen dagegen bestimmte Voraussetzungen erfüllen.

Zuwanderung aus Drittstaaten, die aus beruflichen Gründen erfolgt, spielt hierzulande bislang nur eine untergeordnete Rolle: Sie machte im Jahr 2016 nur 8,5 Prozent der Zuzüge aus Drittstaaten aus. Weitere 8,3 Prozent erfolgten wegen eines Studiums oder einer Ausbildung (einschließlich Schulbesuch und Sprachkurs). Der Wanderungsüberschuss für beide Gruppen belief sich in diesem Jahr auf rund 82.000 Personen. Hier besteht also durchaus ein beachtliches Potenzial, um den langfristigen Fachkräftebedarf zu decken.