12.06.2013

Inklusion durch betriebliche Ausbildung: Das Projekt TrialNet

Ein Praxisbericht aus Bayern

von Elsa Schumacher

Im Projekt TrialNet wird der Ausbildungsverlauf von Jugendlichen mit Behinderung begleitet. Die praktische Ausbildung erfolgt im Betrieb oder wird zumindest so betriebsnah wie möglich gestaltet. Dabei wird die Tauglichkeit von Ausbildungsbausteinen zur Flexibilisierung und Strukturierung der Ausbildung untersucht.

Die Vision einer inklusiven Gesellschaft, in der jeder Mensch nach seinen individuellen Bedürfnissen und Möglichkeiten seinen Platz findet, wird nicht nur von den meisten Bürgerinnen und Bürgern befürwortet, sondern auch von den Arbeitnehmer- und Arbeitgebervereinigungen und sämtlichen Parteien im Bundestag geteilt. Zwischen dieser großen Zustimmung und den praktischen Umsetzungsmöglichkeiten des Inklusionsgedankens - auch in der beruflichen Bildung - klafft jedoch eine große Lücke.

Einen betrieblichen Ausbildungsplatz zu bekommen - das ist der Wunsch vieler junger Menschen mit Behinderung, die ihr Recht auf volle Teilhabe an Bildung und Arbeit verwirklicht sehen möchten.  Doch betriebliche Ausbildungsplätze stehen bislang in viel zu geringem Umfang zur Verfügung, die Zahl der jungen Menschen, die von den Agenturen für Arbeit mit Ausbildungszuschüssen an den ausbildenden Betrieb gefördert werden, stagniert seit Jahren.  Daher absolvieren viele der Jugendlichen eine Berufsausbildung in einer Reha-Einrichtung. Hier sind betriebliche Praxisphasen integriert, die den Auszubildenden ermöglichen, den realen betrieblichen Arbeitsalltag kennen zu lernen. Aber auch Betriebe für die Praktika zu finden, ist nicht einfach,  wie Dr. Lutz Galiläer vom f-bb (Forschungsinstitut Betriebliche Bildung) auf der jüngsten Tagung zum Projekt TrialNet darlegt.

Betriebe für die Ausbildung gewinnen

Um bei diesem Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage für mehr Ausgleich zu sorgen, ging es im Projekt TrialNet zunächst darum, mehr Betriebe für die Ausbildung von Jugendlichen mit Behinderung zu akquirieren, und  anschließend Konzepte zu erproben, wie Betriebe und Jugendliche mit Beeinträchtigung eine duale Ausbildung meistern können. Das  Forschungsinstitut Betriebliche Bildung (f-bb), das das Projekt koordiniert und wissenschaftlich begleitet, arbeitet dabei eng mit ausgewählten Bildungsträgern, Berufsbildungswerken und der Bundesagentur für Arbeit zusammen. Noch bis zum  31.03.2015 wird das Projekt vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales gefördert.

Im Rahmen von TrialNet werden zurzeit 395 Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit Reha-Status in 13 Berufen, vorwiegend in den Ausbildungsberufen Fachlagerist/-in, Verkäufer/-in, und Bürokaufmann/-frau ausgebildet.  Die meisten von ihnen (69 Prozent) haben mindestens einen Hauptschulabschluss, nur 14 Prozent Förderschulabsolventen sind darunter.  Etwa 40 Prozent von ihnen wird eine Lernbehinderung attestiert, andere sind psychisch oder körperlich beeinträchtigt, einige sind mehrfach behindert.

Eine betriebliche Ausbildung stellt für die meisten eine große Herausforderung dar - wenn auch für jeden Jugendlichen in unterschiedlicher Art und Weise. Um für hinreichende individuelle Unterstützung der Jugendlichen am betrieblichen Ausbildungsplatz zu sorgen, übernehmen bei TrialNet als dritter Ausbildungspartner externe Dienstleister die Begleitung und Beratung von Ausbildern und Auszubildenden (Förderung nach § 117 SGB III durch die Agentur für Arbeit). Wer keinen rein betrieblichen Ausbildungsplatz bekommen hat oder aufgrund seiner Voraussetzungen in einer vollständig dualen Ausbildung überfordert wäre, wird im Berufsbildungswerk ausgebildet, aber für bestimmte Praktikumsphasen in einen kooperierenden Betrieb vermittelt.

Ausbildungsbausteine - ein Mittel zur flexiblen Anerkennung von Teilleistungen

Ein Instrument der Individualisierung und Flexibilisierung der Ausbildung sind die Ausbildungsbausteine. Unter Ausbildungsbausteinen versteht man zeitlich abgegrenzte standardisierte und didaktisch begründete Teilmengen der geltenden Ausbildungsordnung eines Ausbildungsberufes, die sich an berufstypischen und einsatzgebietsüblichen Arbeits- und Geschäftsprozessen orientieren. "Durch eine modulare Gliederung der Ausbildungsinhalte wird die Ausbildung für alle Beteiligten überschaubarer", so Lutz Galiläer. Ausbildungsbausteine können zudem - auch bei diskontinuierlichen Ausbildungsverläufen - das erworbene Wissen dokumentieren. Im Projekt TrialNet werden deren Lerninhalte überprüft und zertifiziert. Da aber bislang bundesweit nur für 14 Berufe Ausbildungsbausteine (zur modellhaften Erprobung) vorliegen, wurden zusätzlich für einzelne Ausbildungsberufe Ausbildungsbausteine entwickelt, die den bundesweit gültigen nachempfunden wurden und sich nach den Vorgaben des BIBB richten.

Aber nicht nur die erfolgreich absolvierte Prüfungssituation soll den Ausbildungsbausteinen mehr Gewicht verleihen. Eine Zertifizierung der im Projekt so genannten "Kompetenzfeststellung" durch die Kammer soll die Anerkennung bei den Betrieben noch zusätzlich erleichtern. Bislang zertifizieren vier bayerische IHKs gemeinsam mit den Trägern die abschließende Überprüfung der Ausbildungsbausteine. Ziel von TrialNet ist es, dafür weitere Kammern zu gewinnen.

"Durch eine modulare Gliederung der Ausbildungsinhalte wird die Ausbildung für alle Beteiligten überschaubarer."

 

Die Überprüfung der in den Ausbildungsbausteinen erworbenen Kompetenzen sind für Betriebe recht aufwändig, da sie eine vollständige berufliche Handlungssituation als Probeaufgabe entwerfen und mehrere Stunden Zeit für die Überprüfung aufwenden müssen. Dennoch lohnt sich laut Stefan Schöffel von der Druck-Ring GmbH dieser Aufwand auf jeden Fall: "Ich bin mittlerweile Fan davon!" Denn sowohl dem Ausbilder als auch dem Auszubildenden wird signalisiert, über welche Kenntnisse und welche Handlungskompetenz der Auszubildende in einem bestimmten Lernfeld verfügt. Bei seinem Auszubildenden führte die Prüfungssimulation zu mehr Selbstvertrauen - und bei ihm selbst zu der Überzeugung, dass er den jungen Mann nach der Ausbildung gerne als Mitarbeiter weiter beschäftigen will. Dennoch lehnen rund die Hälfte der bei TrialNet beteiligten Betriebe die Kompetenzfeststellungen ab. Offenbar wird "der Aspekt der Transparenz von Ausbildungsinhalten und ihrer Vermittlung nicht von allen Betrieben geschätzt", formuliert es Galiläer  vorsichtig.

Alternative: die kooperative Ausbildung

Ein weiteres Modell, das bei TrialNet begleitet wird, ist die kooperative Ausbildung von Reha-Einrichtung und Betrieb. Damit sollen die  Auszubildenden, die vorrangig in einem Berufsbildungswerk ausgebildet werden, von den besseren Integrationsleistungen einer betrieblich ausgerichteten Ausbildung profitieren. Das Berufsbildungswerk St. Franziskus im bayerischen Abensberg zum Beispiel bildet im Auftrag der Arbeitsagentur aus. Für die Qualität der Ausbildung in dieser Einrichtung ist es wichtig, genügend geeignete Kooperationsbetriebe zu finden, damit die Auszubildenden extern Ausbildungsinhalte lernen, die in Abensberg nicht vermittelt werden können. Dank TrialNet konnten Auszubildende aus dem BBW ein halbes Jahr lang bei Audi in Ingolstadt ausgebildet werden - und zwar zu großer Zufriedenheit auf allen Seiten. Die Jugendlichen fühlten sich dort sehr gefordert. Den Ansprüchen des Unternehmens gewachsen zu sein, verlieh ihnen großes Selbstbewusstsein. "Bei Audi war man mehr auf sich allein gestellt als im Berufsbildungswerk. Als ich anfangs eine E-Mail auf Englisch schreiben sollte, war ich ganz schön nervös. Aber E-Mail auf Englisch wird im Laufe der Zeit eine Selbstverständlichkeit", so einer der Praktikanten vom Abensberger Berufsbildungswerk.  Dem mehrfach körperbehinderten Jugendlichen gefiel es bei Audi so gut, dass er sich nach Beendigung seiner Ausbildung zum Bürokaufmann dort bewerben möchte. Sollte das nichts werden, wird ihm der bei Audi verbrachte Ausbildungsabschnitt auch bei anderen Bewerbungen zugutekommen.

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