09.11.2011

Mutmacher mit 580 Gramm Gewicht

Der Ausbildungsatlas für den Landkreis Görlitz

von Petra Lippegaus-Grünau

Das Regionale Übergangsmanagement in Görlitz will Jugendliche in der Region halten. Der Landkreis, der durch Abwanderung und eine alternde Bevölkerung gekennzeichnet ist, braucht neue Ideen, um Ausbildung und Fachkräftenachwuchs zu sichern. INSIDER, ein sehr ansprechender Ausbildungsatlas, macht jungen Menschen Mut, in der Region Ausbildungschancen zu sehen und zu nutzen.

Görlitz überschreitet Grenzen.

Geografisch gesehen liegt die deutsch-polnische Doppelstadt (Görlitz in Deutschland, Zgorzelec in Polen) zu beiden Ufern der Neiße. Der Landkreis Görlitz im östlichsten Teil Sachsens stößt im Süden zudem an Tschechien an, hier wachsen Länder, Kulturen und Wirtschaftsregionen zusammen.

Wer Görlitz besucht, überwindet Zeitgrenzen. Da die Stadt im Zweiten Weltkrieg komplett erhalten blieb, bietet die Stadt eine Fülle restaurierter Baudenkmäler aus den verschiedenen Epochen. Die Stadt wirbt mit dem historischen Stadtbild "Für viele die schönste Stadt Deutschlands" - und mit dem Konterfei Michael Ballacks, der hier geboren ist.

Nicht zuletzt um die Schönheit dieser Region und um die, die hier geboren sind, geht es auch dem Team um Sabine Schaffer. Es ist angetreten, im Landkreis Grenzen zwischen Regionen und Akteuren zu überwinden und ein Regionales Übergangsmanagement aufzubauen. Die 32jährige Kommunikationspsychologin stammt selbst aus Görlitz und ist durch Vorgängerprojekte gut verortet.

Bild: Landratsamt Görlitz

Sie sieht als zentrales Problem, dass viele Jugendliche in die Ballungszentren abwandern, weil sie in ihrer Heimatregion keine Perspektive sehen. Die Arbeitslosigkeit ist nach wie vor hoch, gleichzeitig der Fachkräftemangel schon spürbar. Die hier ansässigen zahlreichen Klein- und Mittelbetriebe haben in der Regel keine eigene Personalabteilung, keine Zeit für aufwändige Akquise und Besetzung von Ausbildungsplätzen. Ein Bewusstsein, "dass nicht mehr den Betrieben der rote Teppich ausgerollt wird, sondern zukünftig eher die Betriebe den Auszubildenden den Teppich ausrollen müssen" ist aber noch nicht überall angekommen, so die Projektleiterin.

Strategien, Programme und Initiativen im Übergang Schule - Beruf gibt es - allerdings fehlt der rote Faden. Im jetzigen Kreisgebiet, das erst durch die Gebietsreform zum 1.8.2008 aus drei Kreisen gebildet wurde, stehen sehr unterschiedliche Ansätze, Schwerpunkte und Strategien im Übergang Schule - Beruf nebeneinander.

Mut machen und Fachkräfte sichern

Das mit der neuen Förderphase 2010 entstandene Regionale Übergangsmanagement (RÜM) soll vorhandene Chancen bündeln und sichtbar machen. Das Team will jungen Menschen Lust machen hierzubleiben und ihnen Karrieremöglichkeiten aufzeigen - wohl wissend, dass die Attraktivität des Landkreises sich nicht nur auf das Thema Arbeit beschränkt.

Im Landkreis Görlitz gibt es für junge Leute vielfältige berufliche Möglichkeiten, häufig sind sie ihnen aber nicht ausreichend bekannt. Aus diesem Grund hat das RÜM ein "580 Gramm schweres Mutmachbuch" herausgegeben. Im ersten Ausbildungsatlas für den Landkreis Görlitz unter dem Namen "INSIDER" finden junge Menschen neben 116 Ausbildungsberufen, die in ihrer Region Zukunftsperspektiven bieten, Geschichten, die in den einzelnen Betrieben stecken, Erzählungen und Erfolgsgeschichten von Auszubildenden. Der sehr anschauliche Band spricht Jugendliche auf Augenhöhe an, lädt ein, macht neugierig und nimmt Ängste: "Die große Resonanz der Unternehmen hat uns gezeigt, dass eure Bewerbungen herzlich willkommen sind und euer Wille und Herzblut wichtiger sind als die blanken Zensuren". Alle Schülerinnen und Schüler, die im kommenden Jahr ihre Schulzeit beenden, bekommen den INSIDER an die Seite. Finanziert wurde er in diesem Jahr aus Fördergeldern der Bundesregierung und der EU, ab 2012 soll der Atlas sich selbst finanzieren.

Um die Angebote und Erfahrungsberichte zusammenzustellen, hatte die RÜM-Gruppe 350 Firmen des Kreises angeschrieben und sich auf eine Tour durch die Firmen begeben, 103 Ausbildungsbetriebe machten schließlich mit.
In der Öffentlichkeit vorgestellt hat den Atlas Landrat Bernd Lange, der die Fachkräftesicherung und damit den reibungslosen Übergang von der Schule in den Beruf zur Chefsache erklärt hatte. Er erinnert sich, dass er noch ausgelacht wurde, als er vor einigen Jahren mahnte, dass es Zeiten geben werde, in denen sich Betriebe verstärkt um das Thema Ausbildung kümmern müssen.

Der Erfolg des INSIDERS spricht für sich: die Pilotausgabe hat die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen in der Region deutlich gesteigert. Die örtliche Landskronbrauerei gibt an, dass bei ihr 100 Prozent mehr Bewerbungen eingingen.

Netzwerken und planvoll gestalten

Das Regionale Übergangsmanagement, ein Team von vier Fachkräften, arbeitet in einem bereits bestehenden operativen Netzwerk. In ihm sind alle vertreten, die sich im Übergang Schule -Beruf engagieren: Schulen, Agentur für Arbeit, Jobcenter, Landratsamt mit den Schwerpunkten Schule und Jugendhilfe, Wirtschaftsförderung, Unternehmen und Wirtschaftsverbände, Kammern, Bildungsdienstleister und freie Träger der Jugendhilfe sowie Schüler/innen und Eltern.

Einen Schwerpunkt legt das Team auf die Arbeit mit Unternehmen. Die Hauptaufgabe sieht es darin, Kontakte anzubahnen, intensive Gespräche zu führen, gute Ideen wie den INSIDER aufzugreifen. Produkte wie der Ausbildungsatlas entstehen praxisorientiert und pragmatisch, vielfach ergeben sie sich aus dem Tagesgeschäft und müssen zügig umgesetzt werden. Der Ausbildungsatlas entstand in vier Monaten.

Alle Schülerinnen und Schüler, die ihre Schulzeit beenden, bekommen den INSIDER an die Seite.

 

Um "das Fahrrad nicht zum dritten Mal zu erfinden", nützt das RÜM die Erfahrungen vorhandener Projekte und Strukturen, z. B. Lernen vor Ort, JOBSTARTER, Stärken vor Ort, Kompetenzagenturen und Chancenwerkstatt. Entstehen soll ein "schlagkräftiges Büro" auf Landkreisebene, das als Dienstleister die Zusammenarbeit von Schule und Wirtschaft koordiniert. Für die Zeit bis 2013 plant es u.a. Bestandsaufnahmen zum Fachkräftebedarf in Unternehmen, eine Schülerbefragung, ein Übergangsmonitoring sowie eine begleitende Studie, die den Verbleib der Jugendlichen mit unterschiedlichen Startvoraussetzungen untersucht.

Für diejenigen, die den Sprung ins Berufsleben nicht auf Anhieb schaffen, sollen auf den individuellen Fall zugeschnittene Unterstützungsangebote zur Verfügung stehen. Bestehende Maßnahmen sollen zu stabilen Brücken weiter entwickelt werden - Brücken, die die bisherigen Grenzen auf dem Weg in die Ausbildung überwinden.

Weitere Informationen