19.10.2015

Kommunikation ist der Schlüssel - Wie gute Ausbildung gelingen kann

Ein Praxisbericht über das Gütesiegel primAQ - prima Ausbildungsqualität - der Handwerkskammer Hannover

von Karin Maria Rüsing

Für Unternehmen ist die Ausbildung von jungen Menschen im Betrieb das beste Mittel, um langfristig den Bedarf an Fachkräften zu sichern. Rund ein Viertel der Ausbildungswege endet jedoch vorzeitig durch Vertragslösung oder gar mit dem Abbruch der Ausbildung. Die Enttäuschung auf beiden Seiten ist dann groß. Die Handwerkskammer Hannover setzt mit ihrem Projekt primAQ bei den Betrieben an und fragt, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit Betriebe gern und gut ausbilden.

Probleme, die zu einem Ausbildungsabbruch führen können, gibt es genug, und nur selten liegen sie ausschließlich auf der Seite der Azubis oder der Betriebe. Die Jugendlichen nennen Konflikte mit Ausbilderinnen und Ausbildern sowie Chefinnen und Chefs, aber auch Konflikte mit dem Stammpersonal und anderen Auszubildenden als Gründe. Darüber hinaus spielen Unzufriedenheit wegen der mangelnden Vermittlung von Ausbildungsinhalten und ausbildungsfremder Arbeiten sowie Über- oder Unterforderung eine Rolle. Die Unternehmen klagen über mangelnde Ausbildungsreife und fehlendes Durchhaltevermögen bei den jungen Menschen.

Die ersten 15 Betriebe, die die erforderliche Qualität der Ausbildung im Audit erfolgreich nachgewiesen haben, wurden in der Handwerkskammer Hannover ausgezeichnet und führen jetzt das Gütesiegel primAQ

primAQ - prima Ausbildungsqualität

Das Qualitätssiegel primAQ der Handwerkskammer Hannover wird an Handwerksbetriebe vergeben, die sich einem Zertifizierungsprozess unterziehen. Ziel des Prozesses ist es, eine Ausbildungskultur im Unternehmen aufzubauen, die den Azubis und dem Betrieb verlässliche Strukturen und nachvollziehbare Rahmenbedingungen für eine gelingende Ausbildung bietet.

Es gibt viele Gründe, die ein Unternehmen veranlassen, sich diesem aufwändigen Verfahren zu stellen. Für Bianca Rosenhagen vom Metallbaubetrieb Rosenhagen war es der Wunsch, die Ausbildung im eigenen Haus zu optimieren. Das Unternehmen aus Burgwedel ist auf Metall- und Treppenbau spezialisiert, es hat circa 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und bildet regelmäßig aus. Im November 2014 gehörte es zu den ersten Ausbildungsbetrieben, die von der Handwerkskammer Hannover ausgezeichnet wurden.

"Unser Ziel war es, Struktur in die Ausbildung zu bringen und die vielleicht vorhandene ´Betriebsblindheit´ abzulegen. Dafür benötigten wir einen Blick von außen" erklärt Bianca Rosenhagen. Ihre Erkenntnisse fasst sie kurz und knapp zusammen: "Wir haben die besten Erfahrungen gemacht." Andere Unternehmen möchten die Abbruchquote in der Ausbildung senken, bessere Prüfungsergebnisse erreichen, oder ganz einfach durch ein Gütesiegel auf dem Ausbildungsmarkt attraktiver und wettbewerbsfähiger werden.

Gute Ausbildung, was ist das?

Untersuchungen zeigen, je geringer der betriebliche Aufwand für Ausbildung ausfällt, finanziell und sozial, umso höher ist das Risiko, dass Verträge gelöst werden. Aber auch der Umkehrschluss gilt: wer in Ausbildung investiert, bekommt engagierte Azubis und am Ende qualifizierte und loyale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Nach den Erkenntnissen der Handwerkskammer Hannover fehlt es selten an gutem Willen in den Betrieben, dafür aber schon mal an klaren Vorstellungen, wer sich im Arbeitsalltag wie um die Auszubildenden kümmern sollte. "Kommunikation ist der Schlüssel", davon ist Bettina Wolf-Moritz überzeugt, die bei der Kammer für das Programm primAQ zuständig ist. "Gute Ausbilderinnen und Ausbilder müssen vor allem kommunikativ sein. Das bedeutet, sie können das Wissen anschaulich und verständlich vermitteln und gehen gerecht und respektvoll mit den Auszubildenden um."

Die meisten Konflikte in der Ausbildung ließen sich vermeiden, wenn die Beteiligten gewusst hätten, wie und wann sie miteinander hätten sprechen sollen. Darum brauchen Betriebe und Azubis "Sicherheit darüber, was von ihnen erwartet wird und was geleistet werden muss", weiß Wolf-Moritz. Das funktioniert nach ihrer Erfahrung am besten durch verlässliche Kommunikationsstrukturen wie klare Absprachen und feste Ansprechpartner. Neben einer guten Einbindung in das Team brauchen Azubis aber auch eine gute Ausrüstung und gutes Werkzeug sowie Einweisung in Maschinen und Geräte. Sie sollten in die aktuelle Arbeit eingebunden sein und erste eigene Aufgaben zugewiesen bekommen. Um diese Strukturen zu etablieren, hat die HWK Hannover das Gütesiegel eingeführt. Die ausgezeichneten Betriebe organisieren die Ausbildung nach praxiserprobten Grundsätzen und mit ebensolchen Materialien, die im Handbuch "Qualität in der Ausbildung" bereitgestellt werden.

Qualitätshandbuch und Ist-Stand-Erhebung

Das Handbuch orientiert sich mit seinen Unterstützungsangeboten an den Phasen, in die sich eine Ausbildung in aller Regel einteilen lässt. Es beginnt mit der Akquise und Rekrutierung von Azubis, dann folgen die Eingliederung in den Betrieb und die Probezeit, danach die mehrjährige Qualifizierungsphase. Am Ende stehen dann die Prüfungsvorbereitung und der Ausbildungsabschluss sowie schließlich die mögliche Übernahme in den Betrieb.

Auch der Zertifizierungsprozess lässt sich in Phasen einteilen. Der Betrieb, der die Ausbildung verbessern möchte, wendet sich an die Handwerkskammer, die dann Vorbereitungen für eine erste Bestandsaufnahme trifft. Bei einem Betriebsbesuch wird der Ist-Zustand mit Hilfe eines Diagnosebogens festgestellt und die Betriebsleitung um eine Selbsteinschätzung gebeten. Zu den Themen, die bei diesem ersten Treffen besprochen werden, gehören beispielsweise der Ausbildungsplan und der Ausbildungsablauf.
Nach der Auswertung der gewonnenen Informationen erfolgt eine Rückmeldung an den Betrieb, an welchen Stellen die Ausbildung gut läuft und wo noch Raum für Verbesserungen sein könnte. Die Kammer lässt die Unternehmen in diesem Prozess nicht allein, sondern nutzt vorhandene Unterstützungs- und Beratungsstrukturen. Zur Umsetzung der Empfehlungen bietet sie Fortbildungen wie Seminare und Workshops oder Material wie Arbeitsblätter und Aktionspapiere an.

Workshops und Trainings

Zu den Angeboten gehört beispielsweise der Workshop "Gesellen als Ausbilder". In diesem zweitägigen Workshop lernen Gesellinnen und Gesellen, Azubis gezielt anzuleiten, zu beobachten und zu beurteilen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erhalten Informationen über die Lebenswelten der Jugendlichen von heute und können sich über eigene Erfahrungen im Umgang mit jungen Azubis austauschen. Auch hier liegt ein Schwerpunkt auf der Kommunikation und auf der Lösung von Konfliktsituationen im Ausbildungsalltag. Die Gesellinnen und Gesellen erhalten praktische Tipps, die sie bei der täglichen Arbeit anwenden können. Die Angebote sind gewerkeübergreifend.

Im Workshop "Azubi-Tandem" geht es um ältere Auszubildende, die als Patinnen und Paten für neue Azubis fungieren. Die erfahrenen Azubis werden angeleitet, Berufseinsteigerinnen und -einsteiger beim Start in die Ausbildung zu begleiten. Sie erhalten etwa Material, um die Neuen in die Abläufe des Betriebes einzuführen. Auf diese Weise werden Ausbilderinnen und Ausbilder entlastet, und die älteren Azubis erhalten durch die Aufgabe Anerkennung und Wertschätzung. Die neuen Azubis fühlen sich willkommen und haben zudem Ansprechpartner auf Augenhöhe.

An zukünftige Azubis selbst richtet sich der Workshop für Berufseinsteigerinnen und -einsteiger. Junge Menschen, die bald eine Ausbildung beginnen wollen, werden über Rechte und Pflichten während der Ausbildung informiert. Außerdem erhalten sie Tipps, um Stolpersteine zu Beginn der Ausbildung zu vermeiden. Es wird zum Beispiel über Erwartungen der Betriebe gesprochen, über angemessene Umgangsformen und Beratungsmöglichkeiten für den Fall, dass es doch mal schwierig werden sollte.

Unterstützung für Betriebe

Für die gesamte Dauer der Vorbereitung auf das Audit steht den Unternehmen eine Ansprechpartnerin oder ein Ansprechpartner der Kammer zur Verfügung. "Wir wollen den Betrieben Arbeit abnehmen und Denkanstöße liefern", erklärt Bettina Wolf-Moritz. Dazu gehört, dass die Angebote finanziell im Rahmen bleiben, zum Beispiel wird gedrucktes Material zum Selbstkostenpreis weitergegeben. Neben Infoblättern und Musterbriefen gehört dazu beispielsweise das Qualitätshandbuch. Es enthält verschiedene Themenhefte wie: Praktikum effektiv nutzen, Nachwuchs werben und auswählen, Gelungener Ausbildungsstart und Erfolgreiche Probezeit.

Im ersten Heft wird das Praktikum als ein effektiver Weg beschrieben, um einen Betrieb und ein Gewerk bekannt zu machen. Es wird erklärt, wie das Praktikum geplant und interessant gestaltet werden kann, um einen guten Eindruck bei den potenziellen Bewerberinnen und Bewerbern zu hinterlassen. An Betriebe, die nach ihrer Einschätzung zu wenig Bewerbungen erhalten, oder deren Berufsbild vergleichsweise unbekannt ist, richtet sich das zweite Heft. Es enthält viele Tipps, wie auf verschiedenen Wegen Nachwuchs rekrutiert werden kann. Außerdem erhalten Betriebe praktische Anleitungen, wie sie Bewerberinnen und Bewerber miteinander vergleichen und passend zu sich auswählen können.

Mit den Anleitungen aus dem Heft "Gelungener Ausbildungsstart" können Betriebe ihren Azubis einen guten Start ermöglichen und damit einen wichtigen Grundstein für eine erfolgreiche Ausbildung legen. Das Heft "Erfolgreiche Probezeit" enthält Tipps, Vorlagen und Checklisten für Ausbilderinnen und Ausbilder, um die Probezeit zu gestalten. Neben rechtlichen Grundlagen erfahren sie, wie sie die neuen Azubis in dieser Zeit gezielt auf ihre Eignung testen und sie möglichst objektiv beurteilen und sinnvoll motivieren können. Und weil eine gezielte Prüfungsvorbereitung ein wichtiger Baustein für den erfolgreichen Ausbildungsabschluss ist, enthält das Heft "Fit für die Prüfung" neben rechtlichen Informationen auch Checklisten und Tipps zum Umgang mit Prüfungsangst.

Die Handwerkskammer hat außerdem Beurteilungshefte entwickelt, die Azubi und Betrieb durch die Ausbildung begleiten. Mit diesen Heften können die Betriebe in regelmäßigen Abständen die Fähigkeiten und das Verhalten der Azubis einschätzen und die Azubis sich selbst einschätzen lassen. Über den Vergleich der beiden Beurteilungen können dann die nächsten Schritte geplant werden.

Für Daniel Doerler, der heute als Geselle in der Sattlerei Bielkine in Hannover arbeitet, haben die Beurteilungshefte während seiner Ausbildung eine ganz besondere Rolle gespielt: "Sie haben meine Ausbildung gerettet!", sagt er. Dank der Beurteilungshefte wurde schnell klar, dass zu Beginn seiner Ausbildung die Einschätzungen von Betrieb und Azubi erheblich voneinander abwichen. Nach einem Krisengespräch konnte Daniel Doerler noch einmal neu durchstarten und war am Ende seiner Ausbildung Jahrgangsbester 2013 der Innung Hannover. Die Sattlerei Bielkine hat neun Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ist ein Beispiel dafür, dass auch kleine Betriebe sehr gut ausbilden. Sie gehörte im Jahr 2014 mit zu den ersten Unternehmen, die das Siegel primAQ erhalten haben.

Audit und Zertifizierung

Etwa ein Jahr nach dem ersten Termin im Betrieb wird eine Zwischenbilanz gezogen, in der die Entwicklung überprüft wird. Und schließlich, wenn alle Anregungen und Maßnahmen umgesetzt sind, kann der Betrieb sich zur Zertifizierung anmelden. Die wird vorgenommen durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Handwerkskammer sowie externe Expertinnen und Experten. Eine dieser Expertinnen ist Veronika Büschgens, früher Koordinierende Fachberaterin Berufsorientierung bei der Niedersächsischen Landesschulbehörde. Sie erkennt in dem Qualitätssiegel einen wichtigen Schritt der Unternehmen in die richtige Richtung. "Die Zusammenarbeit mit den Betrieben, vor allem mit den Gesellinnen und Gesellen, war wirklich sehr ergiebig", lautet ihr Fazit. "Weil das die Menschen sind, die mit den Azubis zum Beispiel auf den Baustellen zusammenarbeiten, haben wir für die Auditierung viele wertvolle Anregungen erhalten." Diese Anregungen fanden etwa Eingang in den Diagnosebogen, der beim Audit erneut eingesetzt wird.

Diesmal werden alle Angehörigen des Betriebs befragt: die Geschäftsleitung, Ausbilderinnen und Ausbilder, Kolleginnen und Kollegen sowie die Azubis selbst. Dadurch wird deutlich, dass Ausbildung alle Angehörigen eines Unternehmens betrifft, nicht nur die Personen mit der formalen Ausbildungserlaubnis. Am Ende steht die Erteilung des Gütesiegels primAQ, prima Ausbildungs-Qualität. Damit können die zertifizierten Betriebe nach außen werben, und sie erhalten einen entsprechenden Button in der Online-Lehrstellenbörse der Handwerkskammer.

Weitere Informationen

  • www.hwk-hannover.de
    Die Handwerkskammer Hannover bietet auf ihrer Internetseite einen Überblick über Ausbildungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten im Handwerk sowie verschiedene Beratungsangebote.