14.11.2018

Interessen intelligent verknüpfen

Lernen im Zeitalter der Vernetzung

von Birgit Gebhardt

Die Digitalisierung verändert unsere Lebens- und Arbeitswelt. Mit ihr einher geht eine neue Lernkultur. Die Trendforschung sieht darin Chancen für mehr Teilhabe für alle – und für hochgradig individualisierte, spannende und flexible Lern-Lehr-Settings.

Es gibt eine Regel in der Trendforschung: Mit einer technologischen Entwicklung verbinden wir Fortschritt. Ob dieser Fortschritt dann eine gesellschaftliche Relevanz hat oder nur eine Branchenauswirkung bedeutet, bleibt zunächst offen. Wenn aber ein technologischer Fortschritt branchenübergreifend ökonomische Vorteile verspricht, dann muss man in unserem globalkapitalistischen Weltgefüge davon ausgehen, dass dieser Trend kaum aufzuhalten ist und ein großes gesellschaftliches Veränderungspotenzial mit sich führt.

Die Industrialisierung hatte solch eine Kraft. Ihr haben sich neue Modelle der Organisation von Arbeit, Erziehung und Versorgung angeschlossen. Die intelligente Vernetzung wird jetzt ähnlich weitreichende Folgen haben, die wir neu organisieren müssen und für die wir neu ausbilden sollten.

Wenn Aus- und Verhandeln das Geschäftsmodell und agiles Kompetenz-Networking das Arbeitsmodell sein werden, werden auch Erziehung, Ausbildung und lebenslanges Lernen mehr auf den Menschen und seine individuellen Chancen auf Teilhabe eingehen.

 

Interessant ist, dass die Vernetzung ihre neue Organisationsform in ihrer Anlage gleich mitbringt. Und zwar nicht nur technologisch als Wunder des Verstehens. Ihr Organisationsmuster verweist auch ökonomisch auf das bisher erfolgreichste System, das wir Menschen praktizieren, seit wir kommunizieren können: den Handel. Seit Menschen ihren Lebensraum und ihre Versorgung organisieren, handeln sie, vernetzen sie sich, tauschen sie Waren und Leistungen. Genauso folgt das neue intelligente Netz dem uralten Wirtschaftsmodell des Aus- und Verhandelns, findet Angebot und Nachfrage – nur diesmal alles betreffend: Waren wie Werte, Konsum wie Kultur, Idee wie Investor, Erlös wie Ehrenamt, Kompetenz wie Jobprofil, Lehrende wie Lernende. Niedrigschwellige Zugänge, intuitive Dialogformate und persönliche Profile ermöglichen neue Rollenzuschreibungen zwischen Industrie und Verbraucher, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Individuum und Institution. Wenn Aus- und Verhandeln das Geschäftsmodell und agiles Kompetenz-Networking das Arbeitsmodell sein werden, werden auch Erziehung, Ausbildung und lebenslanges Lernen mehr auf den Menschen und seine individuellen Chancen auf Teilhabe eingehen, als wir das bisher für unsere Kinder leisten.

Besonderheit statt Gleichheit

Das gesellschaftliche Ideal der Gleichheit, wie in der französischen Revolution formuliert, bediente schon mit der aufkommenden Industrialisierung weniger die emanzipatorischen Ideale der Aufklärung als vielmehr den Wunsch, möglichst viele Menschen als Arbeitskraft einzubinden und über den Gesellschaftsvertrag versorgen zu können. Der Massenmarkt und sein Durchschnittskunde wurden zur ökonomischen Größe, die Norm definierte den Normalbereich und damit auch, wer Randgruppe und wer ausgeschlossen ist. Anders war Gesellschaft bisher nicht möglich. Zwar fordern wir heute Inklusion und haben seit ein paar Jahren auch Gesetze, die behinderten Kindern das Recht einräumen, zusammen mit nicht behinderten Kindern an ‚normalen Schulen’ zu lernen, doch das Recht auf dem Papier macht daraus noch keinen funktionierenden Schulalltag. Inklusion bedeutet in unserem System bis heute immer noch Extraaufwand auf der einen und buchstäbliche Betroffenheit auf der anderen Seite. Das muss künftig nicht mehr so sein.

SAP hat 120 Autisten eingestellt, Menschen, die trotz großer Wahrnehmungs- und Gedächtnisleistung lange keine Chance hatten, am ersten Arbeitsmarkt zu reüssieren, weil sie Probleme bei der sozialen Interaktion haben. In der digitalen Joblandschaft wird nun gerade ihre außergewöhnliche Fähigkeit, extrem präzise strukturieren und unterscheiden zu können, so wichtig für die Programmierung, dass es sich für Softwareanbieter sogar lohnt, noch einen Coach zur Unterstützung im Sozialkontakt zu engagieren. Jetzt könnte man einwenden, dass die Autisten das Glück haben, eine Fähigkeit zu besitzen, die gerade im Arbeitsmarkt stark nachgefragt wird. Aber Vernetzung, Sensorik und Robotik können auch körperlichen und kognitiven Defiziten entgegenwirken. Exxo-Skelette unterstützen Geh- wie Hebefunktionen, neuronale Elektronikimplantate sorgen für mehr Beweglichkeit und virtuelle Assistenzsysteme gleichen visuelle oder auditive Einschränkungen in der Kommunikation aus.

Kennenlernen dank Künstlicher Intelligenz

Wenn wir beispielsweise sehen, wie genau heute schon Tracking Systeme und lernende Algorithmen in der Gaming-Branche erkennen, welcher Spieler gerade müde wird, wann wer Hilfe braucht und in welcher Konstellation die Zahlungsbereitschaft steigt, können wir erahnen, wie gut und persönlich uns die künstliche Intelligenz kennenlernen wird. Was im Gaming funktioniert, soll nun die Schule revolutionieren. Denn wenn individuelle Kompetenzen von intelligenten Systemen erkannt und persönlichen Neigungen entsprechend gefördert werden können, können wir endlich individuelle Förderung realisieren. Übersetzt auf eine Mathematik-Lernsoftware reagieren die intelligenten Algorithmen auf Kompetenzen wie Defizite individuell und motivieren je nach persönlicher Vorliebe: zum Beispiel über Dialog, visuelle oder spielerische Didaktik. Das Repertoire steigert sich gerade noch durch virtual und augmented reality sowie emotionalere Interaktionsmöglichkeiten im Nutzungserlebnis und könnte Lernen nicht nur für viele Junge oder Jugendliche aus bildungsschwachem Umfeld attraktiver machen. Diese vielfältigen Erfahrungs- und Servicepotenziale, die aktuell in der Entertainmentbranche entwickelt werden, sucht man in Schulen wie an Arbeitsplätzen meist noch vergeblich.

Viele verweisen auf den Datenschutz. Dabei werden Defizite immer uninteressanter. Mal lassen sie sich durch intelligente Technologie kompensieren, mal durch unterhaltsame Übungsformate spielerisch bearbeiten oder einfach mal als akzeptiert abhaken, weil nicht das Defizit, sondern die Kompetenz im Fokus der Aus- und Weiterbildung stehen sollte. Vernetzung könnte das Schubladendenken endlich abschaffen.

Technologisch sind wir bereits da angekommen, worauf wir gesellschaftlich seit Menschengedenken hinarbeiten: dass jeder Einzelne zählt.

 

Wenn wir Patienten entsprechend ihren individuellen Krankheitsbildern behandeln und Kunden direkt vor Ort situativ bedienen können, sollten wir auch Kinder, Jugendliche und Erwachsene hinsichtlich ihrer individuellen Talente fördern können. Technologisch sind wir bereits da angekommen, worauf wir gesellschaftlich seit Menschengedenken hinarbeiten: dass jeder Einzelne zählt.

Talentfokus statt Fächerduktus

Für unsere Kinder ist es nicht mehr so wichtig, das Gleiche wie alle Übrigen zu können. Es ist für die Zukunft der sich wandelnden Berufsbilder viel wichtiger zu wissen, was man besonders gut kann. Die Messlatte dazu sind nicht mehr das Schulfach und die darin erreichte Note, sondern die Einzelkompetenzen, die nun auch individuell erfasst, trainiert und kommuniziert werden können.

In Kompetenznetzwerken – wie sich künftige Arbeitsprozesse oder Freundschaftsdienste auch beschreiben lassen –  zählt die Vielfalt (Diversity). Komplexe Aufgaben verlangen nach transdisziplinären Expertisen und kreativer Inspiration von außen. Schnelle Anpassungsfähigkeit, kreatives Denken und Kontextwissen werden die maßgeblichen Qualifikationen sein, mit denen sich menschliche Arbeitskräfte neu definieren und von den intelligenten Softwares abgrenzen können. Solch unersetzbare Fähigkeiten und humane Qualitäten werden an Wert gewinnen und neue Trainings auf die Agenda setzen.

Fachlich ist es sicher notwendig, die nächste Generation stärker an Physik und Informatik heranzuführen, um die Wirtschaft und ihre Steuerungsmechanismen von morgen zu verstehen. Es wäre aber falsch, nur auf MINT zu setzen. Während Mathematik und Naturwissenschaften in ihrer Beweisführung überlegen scheinen, könnte viel von diesem Wissen uns morgen situativ – wie heute Google oder der Taschenrechner – zur Verfügung stehen. Fast wichtiger als die Prozessoptimierung wird die Definition der Einstellungsparameter. Nach welchen Werten, Interessen und Vorgaben sollte der Prozess ablaufen? Menschliche Arbeit bedeutet dann die Verknüpfung von Logik, Natur- und Geisteswissenschaft mit Kreativität, Herz, Verstand und Erfahrung.

Es ist nicht verwunderlich, dass Philosophen wie beispielsweise Ronald Dworkin valide Beiträge zur Gesundheitsreform der Obama-Regierung lieferten. Angesichts der zunehmenden Komplexität und Unbeständigkeit sollten auch unsere Annahmen und Sicherheiten auf ihre Zukunftstauglichkeit hinterfragt und gegebenenfalls neu definiert und bewertet werden.

Klick zum VergrößernDas Poster schlüsselt Lehrenden auf, welche Fähigkeiten das Fach Mathe anspricht. Illustration: Christer Gudmundsson/Dafolo Frederikshavn; gesehen und fotografiert in der Ringstabekk Skole bei Oslo.

In der Ringstabekk Skøle in Norwegen hängen daher Poster, die den Schülern pro Fach aufschlüsseln, welche und wie viele Kompetenzen sie eigentlich pro Fach üben oder erlernen. Wer zum Beispiel gern Mathematik macht, ist generell neugierig, habe eine Begabung für abstraktes und logisches Denken, könne kategorisieren und klassifizieren, arbeite gern mit Zahlen, stelle gern Thesen auf und versuche diese zu beweisen, versuche Prozesse abzubilden und Lösungswege zu erproben. Die Schüler begreifen, was sie hier eigentlich lernen, wie sie sich einbringen können und erproben anhand fachübergreifender Projekte, in welchen Fragestellungen entsprechende Fähigkeiten von Nutzen sind. Dieses Bewusstsein und ein möglichst breites Feedback zu den angewandten Fähigkeiten ist weit hilfreicher zur Selbsteinschätzung und Teilhabe als es eine Note im Fach Mathematik sein kann.

Mannigfaltiges und lebenslanges Lernen

Lernangebote, Lernmethoden und Lerninhalte verändern sich:

LEBENSLANGES LERNEN

Selbst gesteuertes und ständiges Lernen

Unser Lernen wird künftig weniger in Ausbildungs-, Erwerbs- und Pensionsphasen segmentiert geschehen. Unsere tägliche Kommunikation mit Menschen wie Maschinen wird permanentes Lernen bedeuten. Dank globaler Vernetzung und interaktiver Medien ist es möglich, jenseits von Schule und Büro Wissen weltumspannend auszutauschen, Details zu spezifizieren, Erkenntnisse zu gewinnen, eigene Erfahrungen zu machen, Vorstellungen zu visualisieren und Szenarien durchzuspielen. Der Wissensarbeiter ist an seiner ständigen Weiterentwicklung in Job und Freizeit interessiert.

ZUGANG 24/7 UND GLOBAL

Wissen ist permanent im Netz verfügbar

Ob Recherche oder Weiterbildung: Medien, Organisationen, Bildungsinstitute und individuelle Experten bieten ihr Wissen feil. Konferenz-Streaming, Massive Open Online Courses (MOOCs), E-Books, Videos oder Mischformen wie Webinare oder Online-Tutorials vermitteln Fachwissen meist zeit- und ortsunabhängig über mobile Endgeräte. Vielfalt und Verfügbarkeit ermöglichen individuellen Zuschnitt und integrierte Lernkonzepte (Blended Learning). Bibliotheken wie Universitäten machen ihr Angebot online verfügbar und passen ihre Öffnungszeiten an ein 24/7-Lernen an.

INDIVIDUELLER ZUSCHNITT

Microlearnings statt Megaprogramme

Bildungsinhalte werden nach Karriereplanung, Neigung und Kompetenzen vorgefiltert und individualisiert. Ausbildungsprogramme müssen sich individuellen Nutzer-Filtern öffnen und Bildungsorganisationen sich mit anderen Anbietern vernetzen, um attraktive und flexible Angebote zu erhalten. Zahlreiche hybride Infotainment- und Feedback-Formate erhöhen den Lernspaß und bilden den persönlichen Lernfortschritt ab. Schon erstellen US-Dienstleister daraus Bewerbungsprofile samt den damit verbundenen Social Skills.

LERNBEGLEITER

Lehrer als Entwicklungsbegleiter

Lehrer und Ausbilder verstehen sich als Entwicklungs- und Lernbegleiter. Trainer verknüpfen Fragestellungen mit Fachwissen und leiten die Gruppe zur eigenständigen Lösungsentwicklung an. Ihre Aufgabe ist, die vorhandenen Potenziale sichtbar zu machen und anzuregen. In (virtuellen) Diskussionen bis hin zu ganzen Bildungsprozessen sind sie Moderator, nicht Instruktor.

PEER LEARNING

Lernen aus der Gruppenzugehörigkeit

Kinder wie Erwachsene lernen niedrigschwelliger von Geschwistern, Freunden und Kollegen, mit denen sie einen vertrauensvollen Umgang pflegen. Der Orientierungsdrang ist selbst gesteuert und die persönlich bestimmten Vorbilder sind hinsichtlich Kompetenzen, Alter und Rang gut erreichbar. Um Methoden oder Mediennutzung zu lernen, sind Abschauen, Fragen, Nachmachen und Feedback für die Wissensarbeit unabdingbar.

IN KONTEXTEN LERNEN

Beispielhaftes und situatives Lernen

Lernen an konkreten Beispielen hilft, das Gelernte zu behalten und anzuwenden. Fächerübergreifende Themen, externe Blickwinkel und die wiederholte Übersetzung des Lerninhalts in immer neue Kontexte erweitern die Nutzungsperspektive. Immer mehr soll künftig direkt in der Anwendungssituation gelernt werden. Statt Fehlermeldungen helfen Kurzlektionen. Der individuelle Lernfortschritt bestimmt das Arbeitstempo. Software wie Anwender lernen aus ihren Fehlern.

SZENISCHES LERNEN

Über Gaming und Virtual Reality

Visualisierungstechniken können entweder die Vorstellungskraft über spielerische Kontexte vereinfachen, anspruchsvolle Szenarien in virtuellen Realitäten abbilden oder wichtige Informationen in die gegenwärtige Lernumgebung einblenden. In der physischen Interaktion ergänzen Rollenspiele, Storytelling oder „Lego Serious Play“ die szenischen Darstellungen.

PRÄSENZ-LERNEN

Die Aufwertung der lokalen Begegnung

Je mehr wir virtuell zusammenarbeiten, umso größer wird der Wunsch, sich real zu treffen. Der Erlebnischarakter lokaler Zusammenkünfte steigt. Gelegenheiten zum persönlichen Erfahrungsaustausch sind kostbar und genießen besondere Wertschätzung. Kleine Lerngruppen mit anwesenden Koryphäen werden Luxus. Lokale Business-Meetings steigern ihre informellen Socializing-Aktivitäten.

URBANE LERNKULTUR

Erlebniswelten integrieren Lernwelten

Event- und Erfahrungswelten aus Konsum und Kultur integrieren zunehmend Lernerlebnisse. Medien und Architektur verschmelzen zu abenteuerlichen Entdeckungsreisen, Museen und Science-Center stimulieren unterschiedliche Wahrnehmungsebenen. Und in der Markenkommunikation wirkt die interaktive Lernerfahrung nachhaltiger als das Konsumerlebnis.

Die neuen Lernorte

Es verwundert nicht, dass die vernetzte Wissensgesellschaft nach neuen Lernerfahrungen sucht, die nicht an schulischen Frontalunterricht erinnern, wie wir ihn immer noch vorfinden. Dabei hat auch der physische Lernort direkte Auswirkung, da – so die wissenschaftliche Erkenntnis – Menschen bei wichtigen Lernerfahrungen immer den Ort miterinnern, an dem sie eine wichtige Erkenntnis gewannen. In Seminarräumen, die die Teilnehmenden an ihren früheren Klassenraum erinnern, fallen diese unbewusst in ihr schulisches Verhalten zurück, sind wieder Klassenkasper oder kurz vorm Einnicken. So sehr die Lernorte uns also prägen, so vielseitiger, berührender und wertschätzender sollten wir Lernerfahrungen gestalten.

Bemerkenswert ist, dass die neuen Lernorte in Schule und Büro sich der typischen Struktur, Hierarchie, dem Raumprogramm und der Gleichförmigkeit entziehen, die für die lange als professionell geltenden Arbeitsstätten charakteristisch waren. Neue Schul- und Bürogebäude sorgen mit mehr Raum für Austausch und Interaktion. Großzügige Atrien, Galerien und sogar Spazierwege fördern die informelle Begegnung und übertragen die Vielfalt öffentlicher Begegnungsflächen aus der Stadtplanung in die Organisation. Tischreihen monotoner Bildschirmarbeitsplätze und uniforme Meetingräume differenzieren sich aus in Gemeinschaftsflächen mit Café, Kreativworkshop- und Teamräumen bis hin zu ruhigeren Konzentrationszonen. Diese neue Vielfalt entspricht nicht nur der angestrebten agilen und transdisziplinären Zusammenarbeit. Sie entspricht auch den zukunftsweisenden pädagogischen Ansätzen, die Kinder zur Selbstorganisation und gegenseitigem Lernen bewegen und ihnen dazu vielfältige Lernmethoden und -formate vermitteln.

An der VUC Syd im dänischen Haderslev erhalten erwachsene Schüler eine zweite Bildungschance. Nach negativen Erfahrungen mit Bildungseinrichtungen bringt diese ihnen ein hohes Maß an räumlicher Vielfalt und Wertschätzung entgegen. Foto: AART architects

Der weite Weg zur vernetzten Lernkultur

Allein das digitale Potenzial wird in deutschen Schulen wie Büros noch nicht ausgeschöpft. Hier findet man wenig von der individuell adaptiven Ausrichtung oder der sinnlich-berührenden Lernerfahrung. Inwieweit analog-digitale Wechselwirkungen Forschergeist wecken, intensive Lernerlebnisse erzeugen und damit ihre Aufenthaltsqualität und Relevanz steigern konnten, können vielmehr die klassisch-kulturellen Lernorte, wie Museen und Bibliotheken bezeugen. So setzt das Wissenschafts-Center „Experimentarium “, nördlich von Kopenhagen, voll auf die Interaktion mit den Besuchenden, in Århus treffen sich Studierende zum Lernen lieber auf den Galerien und Terrassen im Kulturzentrum Dokk1 als in ihrer Universität und in Birmingham ist der Neubau der Bibliothek  ein urbaner Magnet für Bürgerinnen und Bürger jeden Alters und jeder Herkunft. Nichts anders möchten Schulen und müssten Arbeitsstätten doch auch mit ihren Angeboten erzielen.

Lernformate wandeln sich in vernetzte, spielerische Erfahrungen, in denen die eigene Neugier zum Lernen motiviert.

 

Die Konsum-, Entertainment- und Freizeitindustrien verstehen, wie sie für ihre Inhalte begeisterte Beteiligung erzeugen: Multisensuelle Erfahrungen finden sich im Ausstellungsdesign, spannende Interaktionen gestaltet die Gaming-Branche und personalisierte Erlebniswelten begegnen uns im Online-Shopping. Anwendungsbezug erleben wir unter der Virtual-Reality-Brille, Kreativität und Storytelling hingegen entspinnen sich auf YouTube. Aus Kommunikation wurde hier längst Inspiration und Interaktion. Und damit wären wir genau beim Lernen. Denn auch die Lernformate wandeln sich in vernetzte, spielerische Erfahrungen, in denen die eigene Neugier zum Lernen motiviert.

„Das Kind als Baumeister seines Selbst“, so lautet das Bild der Montessori Schulen, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts reformpädagogisch revolutionär war. Die Leitlinien ihrer Pädagogik – offener Unterricht, vielfältige und altersgerechte Unterrichtsmethoden, die Anleitung, sich Inhalte selbst zu erschließen, die Integration kreativer Ausdrucksformen und vor allem die Berücksichtigung und Förderung der individuellen Neigungen des einzelnen Kindes – sind inzwischen in nahezu jedem modernen Schulkonzept zu finden. Allein deren Umsetzung wird erst dank intelligenter Vernetzung möglich. Bis dahin – und weil deutsche Bildungseinrichtungen aus verschiedenen Gründen hinsichtlich der digitalen Vernetzung eher zu den Nachzüglern gehören –, wird die nächste Generation hoffentlich schon gelernt haben, dass sie überall und ständig Baumeister ihres Selbst sein kann.

Weitere Informationen

  • www.birgit-gebhardt.com
    Auf ihrer Webseite finden Sie alle Infos zu Birgit Gebhardts Schaffen, ihren Publikationen und ihrer Vita.