31.01.2011

Vom Ruhrpott nach Irland:

Rückenwind für junge Menschen

Das Projekt "EU fit" in Recklinghausen holt (langzeit-)arbeitslose junge Leute aus ihrem Umfeld heraus. Über das Progamm "IdA - Integration durch Austausch" gehen sie für drei Monate nach Irland, arbeiten in einem realen Betrieb und lernen, sich selbst und die Welt mit anderen Augen zu sehen. Danach finden fast alle eine Ausbildungsstelle.

Dass junge Menschen für eine Zeitlang ins Ausland gehen, ist nichts Neues. Sie kommen mit einem Rucksack voller neuer Erfahrungen, mit erstaunlichen Erkenntnissen über sich selbst, mit Stolz über das, was sie bewältigt haben, vor allem aber mit einem gewachsenen Selbstwertgefühl zurück. Allerdings sind dieses meistens Jugendliche, die eine gute Bildung genießen und deren Eltern ihre Entwicklung intensiv unterstützen, nicht zuletzt finanziell.

In Recklinghausen, mittlerweile eine der größten Problemregionen des deutschen Ausbildungsmarktes, erschließt ein Projekt diese Erfahrungen auch jungen Menschen mit weniger günstigen Ausgangsbedingungen: jungen Erwachsene zwischen 18 und 30 Jahren, die nach der Schule bislang, keine Ausbildungs- oder Arbeitsstelle gefunden haben, zum Teil seit Jahren nicht.

Der Träger RE/init e.V., entwickelt insbesondere für diejenigen Anschlussangebote, die sonst heraus fallen. Seit vielen Jahren initiiert er Projekte für Menschen mit Handicaps, für Alleinerziehende und andere, die oft viele Hindernisse überwinden müssen, um im Alltag zurecht und im Beruf anzukommen.

Ticket für einen Neustart

EU Fit, ein Gemeinschaftprojekt von RE/init, dem Bildungszentrum des Handels und dem "Jobcenter Kreis Recklinghausen", wendet sich gezielt an junge Menschen, die Arbeitslosengeld II beziehen. Diese Teilnehmenden haben "ungrade" Biografien hinter sich - Mehrfachabbrüche in Schulen oder Maßnahmen - und stecken häufig in komplexen Problemlagen. Viele von ihnen sind bisher über die Stadtgrenze von Recklinghausen noch nicht hinausgekommen. Diese Jugendlichen und jungen Erwachsenen erhalten hier ein Ticket für einen Neustart. Durch das Projekt kommen sie aus ihrem Umfeld, ihren Familien und Freundeskreisen, ihrem Stadtteil und seiner Kultur völlig heraus - und das über einen längeren Zeitraum, nämlich für drei Monate.

Im ersten Durchlauf des Projekts waren 13 Teilnehmer und Teilnehmerinnen dabei. Ausgewählt wurden junge Menschen, die Interesse zeigten und sich im Vorfeld als sehr zuverlässig erwiesen. Dies erscheint nötig, bietet das Projekt bewusst keinen geschützten Raum, sondern anspruchsvolle Bedingungen: ein fremdes Land, eine andere Sprache, eine neue Familie und Arbeit in einem ganz normalen Wirtschaftsbetrieb. In dieser Gruppe hatten alle Jugendlichen einen Schulabschluss.

Um es vorweg zu nehmen: Das Konzept ging auf. Von großen Erfolgen berichtet Brigitte Sicken, die Gesamtprojektleiterin von RE/init. Alle Teilnehmer und Teilnehmerinnen haben durchgehalten, ihre eigenen Stärken erlebt und einen "Riesenmotivationsschub" erhalten. Dieser konnte im Anschluss aufgegriffen werden: Durch die Erfahrung, neues Zutrauen und Eigeninitiative fanden 11 von 13 Teilnehmenden eine Ausbildungsstelle in Deutschland und die anderen eine weiterführende Maßnahme. Eine der Teilnehmerinnen fand den Mut, alleine aus dem Ruhrgebiet nach Mecklenburg-Vorpommern zu ziehen, um dort eine Ausbildung aufzunehmen.

Damit erreicht EU Fit Motivation, Mobilität und Eigeninitiative, genau die Ziele des Bundesprogramms IdA - Integration durch Austausch. In diesem Rahmen wird EU Fit durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales gefördert - gemeinsam mit 70 Projekten bundesweit.

Ablauf und Angebote

Das Projekt beginnt mit einer Teilnehmerauswahl und einer Vorbereitungsphase. Acht Wochen lang trainieren junge Menschen Englisch für Alltag und Arbeitswelt und machen sich mit den kulturellen Eigenheiten des Gastlandes vertraut. Vorherige Sprachkenntnisse sind weniger wichtig, die Einzelnen müssen sich aber einbringen. Der Unterricht verläuft sehr praxisorientiert, wobei der reale Lebensbezug die Orientierung vorgibt.

In Irland angekommen, besuchen die Teilnehmer und Teilnehmerinnen zunächst die Universität. Gemeinsam mit Studierenden aus vielen Ländern vertiefen sie am dortigen Sprachenzentrum Englisch- und Landeskenntnisse und nutzen attraktive Freizeitangebote. Während dieser Zeit suchen die Fachkräfte des deutschen Trägers Betriebe, die zu den Wünschen und Kompetenzen der Einzelnen passen. Nach vier Wochen beginnt das zweimonatige Praktikum in einem irischen Betrieb. Dort sammeln die Jugendlichen berufliche Erfahrungen z. B. im handwerklichen oder kaufmännischen Bereich und lernen, sich in Englisch zu verständigen.

Bild: RE/init e.V.

Untergebracht sind die Teilnehmenden in der Regel einzeln bei ausgewählten Gastfamilien, die üblicherweise kein Deutsch sprechen. Ihre persönliche Betreuung übernimmt ein Sozialpädagoge vor Ort. Einen starken Halt bietet auch die Gruppe, die zusätzlich durch eine erlebnispädagogische Woche mit Rudern, Klettern, Wandern, Zelten, Spielen und Feiern zusammengeschweißt wird.

Sobald die Jugendlichen zurück in Deutschland sind, schließt eine zweimonatige Nachbetreuung an die Erfolgserlebnisse, den gewonnenen Mut und die gewachsene Eigeninitiative an. Die Jugendlichen, die zum Teil schon von Irland aus Bewerbungen verschickt haben, bewerben sich, stellen sich vor und werden dabei durch Einzelgespräche und Gruppentrainings unterstützt. Sie erleben, wie positiv ihr Auslandsaufenthalt gewertet wird und lernen, ihre Erfahrungen gewinnbringend in Vorstellungsgesprächen einzubringen.

Erfahrungen und Erfolge

In Irland sind alle 13 Teilnehmer und Teilnehmerinnen der ersten Gruppe gut zurecht gekommen - und zwar in ihren Familien, an der Universität und in ihrem Betrieb. Die jungen Frauen und Männer haben etwas geleistet, was die meisten sich - und andere ihnen - kaum zugetraut hätten.

Der Beginn war nicht für alle leicht, es gab schmerzhaftes Heimweh, bei dem der Projektmitarbeiter fast Tag und Nacht zur Verfügung stehen musste. Einigen Mädchen fehlte dabei eine Ansprechpartnerin, die nun beim nächsten Mal mitfährt. Alle habe diese Phase überwunden und durchgehalten. Sie bauten zueinander Kontakte auf und organisierten in ihrer Freizeit selbstständig Aktivitäten wie zum Beispiel Fahrradtouren.

Maßgeblich für den Erfolg war die positive Haltung, mit der man ihnen in den Betrieben begegnete. Anders als einige es von ihnen in Deutschland erlebt hatten, wurden die Praktikantinnen und Praktikanten überall sehr freundlich und offen aufgenommen. Die irischen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen reagierten spontan und sehr flexibel, sie gaben Rückmeldungen, die die Leistungen und Stärken in den Vordergrund rückten. Neben einem kräftigen Rückenwind für das Selbstwertgefühl und die Motivation bot das Praktikum für viele eine neue Orientierung; wer auf seinem Weg zeitweise feststeckte, konnte hier ein alternatives berufliches Ziel entwickeln.

Die jungen Frauen und Männer haben etwas geleistet, was die meisten sich - und andere ihnen - kaum zugetraut hätten.

 

Wieder in Deutschland, wollten alle, dass es sofort weitergeht. Für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen war es eine große Herausforderung, diesen Motivationsschub zu nutzen. Tatsächlich erwies die positive Stimmung sich als fragil, wenn Absagen und Frustrationen aufgefangen werden mussten. Durch eine Betreuung über die Projektzeit hinaus gelang es schließlich allen, einen Anschluss zu finden.

Positive "Aha-Erlebnisse" hatten aber nicht nur die Jugendlichen selbst. Bei den Abschlussveranstaltungen waren auch die Mitarbeiter/innen vom "jobcenter Kreis Recklinghausen" positiv überrascht, was die Fortschritte der Einzelnen betraf. Mit anderen Augen wurden die Jugendlichen auch in den Betrieben betrachtet. Zeugnisse, die vorher im Bewerbungsprozess abgeschreckt hatten, fielen längst nicht mehr primär ins Gewicht. Personalverantwortliche reagierten beeindruckt auf die Auslandserfahrung und zollten den neuen Kompetenzen großen Respekt, nicht zuletzt durch das Angebot einer Ausbildungsstelle.

Es lohnt sich - so das Resümee von Birgitte Sicken - wenn junge Menschen, die in ihrer jetzigen Situation auf fast unüberbrückbare Hindernisse stoßen, die Möglichkeit erhalten, einmal ganz herauszukommen. Durch einen Wechsel der Szene, eine neue Perspektive, starke Erfahrungen, ein gewachsenes Selbstbewusstsein und die Gewissheit, über das "Jobcenter Kreis Recklinghausen" abgesichert zu sein, schaffen junge Menschen neue Wege in Ausbildung und Arbeit. Als wichtige Kriterien für den Erfolg werten die Projektverantwortlichen dabei die relativ lange Dauer des Aufenthalts, das Praktikum in der realen Wirtschaft, vor allem aber die positive Haltung der Menschen in Irland.

Der Rückenwind aus Irland hat junge Menschen stark gemacht, ihren Weg zu gehen. Die nächste Gruppe hat die Koffer schon gepackt.

Weitere Informationen

  • www.reinit.de
    RE/init e.V. entwickelt seit 1997
    arbeitsmarktorientierte Projekte für Menschen in besonderen Lebenslagen.