13.04.2016

Qualität in der Beratung am Übergang Schule-Beruf

von Susanne Schmidtpott

In unserer komplexen und sich schnell wandelnden Gesellschaft fällt vielen Jugendlichen und jungen Erwachsenen die berufliche Orientierung schwer. In diesem Prozess, der in den meisten Fällen nicht nur einmalig am Ende der Schullaufbahn, sondern durchaus das ganze Leben hindurch immer wieder stattfindet, haben Beratung und Begleitung eine wichtige Aufgabe zu erfüllen.

Jugendliche und junge Erwachsene befinden sich in einer Lebensphase voller emotionaler, körperlicher und intellektueller Entwicklungsschritte hin zur Entfaltung ihres Selbstkonzepts. Die berufliche Orientierung und Beratung in dieser Phase kann also nicht von einem linearen Entwicklungsprozess ausgehen. Sprunghaftigkeit, Unsicherheiten und Widersprüchlichkeiten und die oftmals starken Diskrepanzen zwischen äußerem Auftreten und innerer Befindlichkeit müssen berücksichtigt werden. Entscheidungen der Jugendlichen sind stark von ihrer Peer-Group geprägt. Was in den Medien „angesagt“ ist, spielt eine große Rolle. „In dieser Zeit ist nicht nur das Herausfinden eines stabilen, gesicherten Berufswunsches eine hohe Anforderung, auch das Erlangen der von vielen Akteuren im Übergangsgeschehen geforderten und als Begriff umstrittenen Ausbildungsreife.“ (siehe nfb-Positionspapier)

Oftmals scheint der anstehende Schritt in die Welt von Studium, Ausbildung und Arbeit ohne Beratende und andere Helfer nicht gelingen zu können. Doch gerade für die Beratung am Übergang Schule-Beruf sind die Rahmenbedingungen besonders schwierig. Eine Vielzahl von Fachkräften und Akteuren unterstützt die jungen Menschen dabei: Dazu gehören Lehrkräfte und Sozialarbeiter/-innen an allgemein bildenden und berufsbildenden Schulen, Beratende in Regelinstitutionen wie Arbeitsagenturen und Job-Center, Begleiter/-innen und Coaches von Bildungsorganisationen, kommunal beschäftigte Fachkräfte, Vertreter/-innen von Unternehmen, Verbänden und Kammern oder auch ehrenamtlich Tätige oder Eltern und Verwandte.

Bleibt die Frage, ob diese Vielzahl an Akteuren, die in den letzten Schuljahren auf die jungen Menschen einwirken, durch qualitätsvolle Beratung echte Hilfestellungen leisten, oder ob möglicherweise ein unkoordiniertes, wenig überschaubares Beratungs-Nebeneinander eher eine kontraproduktive Wirkung hat. Zudem haben die Interventionen der Akteure - Information, Orientierung, Beratung und Förderung - nicht selten einen „verpflichtenden Angebotscharakter“, das heißt, die Jugendlichen können dann weder darüber entscheiden, ob, wann oder wie oft sie beraten werden wollen, noch von wem und zu welchen Themen.

Empfehlenswert und ganz wesentlich für die Erfahrung von Selbstwirksamkeit wären an dieser Stelle aber vielmehr offene und niedrigschwellige sowie auf Dauer und personelle Kontinuität angelegte nachfrageorientierte Angebote, die ganz individuell auf den Jugendlichen und sein Anliegen eingehen.

Standards in der Beratung

Wie kann gute Beratung für Jugendliche im Übergang von der Schule in die Ausbildung oder ins Studium unter diesen Bedingungen aussehen? Generell lässt sich feststellen, dass es nicht gelingt, die Qualität von Beratung nur an ihrer unmittelbaren Wirkung festzumachen, denn diese zeigt sich erst mit zeitlichem Abstand: „Während die Kosten von Beratung und Bildung sofort anfallen, zeigt sich ihr Nutzen in der Regel erst später. Das führt zu einer verzerrten Kosten-Nutzen-Wahrnehmung von Beratung und Bildung.“ Verbindliche Qualitätsstandards für dieses Beratungsfeld würden eine genauere Beschreibung ermöglichen, wie gute Beratung aussieht, was sie genau beinhaltet, welche Anforderungen Beratende und Beratungsanbieter erfüllen sollten und welchen Beitrag die Politik und andere relevante Akteure in dem Feld leisten müssten, um gute Beratung zu realisieren.

Solche übergreifenden, verbindlichen Qualitätsstandards gab es für die Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung in Deutschland bislang nicht. Das Feld war bisher gekennzeichnet durch eine Vielzahl von Qualitätskatalogen und –kriterien sowie Zertifizierungsmodellen einzelner Anbieter, Trägergruppen oder Verbände, deren Gültigkeit und Reichweite auf den jeweiligen Anbieter, das jeweilige Beratungsfeld oder ein Bundesland begrenzt sind. Dies gilt auch für die vielfältigen Beratungsangebote am Übergang Schule-Beruf oder für die Qualifikations- und Kompetenzanforderungen an Beratende. Seit 2014 liegt nun ein integriertes Qualitätskonzept für die Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung vor, das in einem bundesweiten, bereichs- und sektorenübergreifenden „offenen Koordinierungsprozess“ unter Beteiligung einer Vielzahl von Akteuren und Experten vom nfb und dem Institut für Bildungswissenschaft der Universität Heidelberg entwickelt und erprobt wurde. Es umfasst einen Katalog von neunzehn Qualitätsstandards und siebzehn Kompetenzen sowie einen Qualitätsentwicklungsrahmen als Angebot für Beratungsanbieter und Beratende, mit deren Hilfe sie ihre Qualität und Kompetenzen (weiter) entwickeln können.

Auf dieses BeQu-Qualitätskonzept bezieht sich das Positionspapier zur Beratung im Übergang Schule - Beruf des Nationalen Forums Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung e. V. (nfb). Dort werden für die Beratung am Übergang Schule-Beruf folgende Standards hervorgehoben:

  • Grundsätzlich sollte gute Beratung immer den Ratsuchenden in den Mittelpunkt stellen. Aufgrund der unterschiedlichen gesetzlichen Zuständigkeiten der beteiligten Akteure im Übergang Schule – Beruf/Studium stehen häufig aber organisationale und institutionelle Fragen im Vordergrund von Beratungsangeboten. Ziel muss hingegen sein, bei der Gestaltung und Bereitstellung von Angeboten an den subjektiven Interessen der Jugendlichen anzusetzen und sich an inhaltlichen Fragen sowie an den Qualitätsstandards einer ergebnisoffener Beratung zu orientieren.
  • Entscheidend hierfür sind die Freiwilligkeit und Unparteilichkeit der Beratung. Geschäftspolitische Ziele oder Interessen des Beratungsanbieters dürfen keinen Einfluss auf den Beratungsprozess oder das Ergebnis haben. Sofern der gesetzliche Rahmen des Anbieters Sanktionsmöglichkeiten vorsieht (zum Beispiel Leistungskürzungen), müssen diese transparent gemacht werden und die Beratenden müssen ihren Rollenwechsel vom Berater zum Administrator gesetzlicher Vorgaben deutlich machen.
  • Im Vordergrund des Beratungsprozesses sollten dabei immer die Förderung der individuellen Weiterentwicklung sowie die Befähigung junger Menschen stehen, die eigene Bildungs- und Berufsbiographie soweit möglich selbst zu gestalten (Entwicklung von Career Management Skills). Denn junge Menschen müssen sich ihrer Interessen und Neigungen, ihrer Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kompetenzen bewusst werden, um eine fundierte Entscheidung für ihren Bildungs- und beruflichen Werdegang treffen zu können. Erst vor diesem Hintergrund ist es ihnen möglich, realistische Berufswünsche und Pläne zu ihrer Verwirklichung zu entwickeln.
  • Dabei geht es beispielsweise auch um an die jeweiligen Entwicklungsstufen der Jugendlichen angepasste Methoden zur Ausbildung von Selbstexplorations- und Reflexionsfähigkeiten sowie die Durchführung von Kompetenzermittlungsverfahren.
  • Auch die Vermittlung aktueller und auf die Anliegen der einzelnen Ratsuchenden adressatengerecht aufbereiteter Informationen zur Arbeitswelt generell und zu Perspektiven und Anforderungen des Arbeitsmarktes in den für die jungen Menschen interessanten Ausbildungswegen und Berufen bedarf besonderer Aufmerksamkeit.
  • Zu einer guten Beratung gehören Transparenz und Zugänglichkeit des Angebots  ebenso wie eine sinnvolle, rechtskreisübergreifende Vernetzung der am Übergangsprozess junger Menschen beteiligten Akteure. Gute Beratung braucht insbesondere Vernetzung unter fachlich-inhaltlichen Aspekten, um ein gemeinsames Grundverständnis der nötigen Unterstützungsleistung zu entwickeln und kontraproduktive Doppel- oder Mehrfachberatung durch wechselnde Ansprechpartner zu vermeiden.

Kompetenzen der Beratenden

Die Erfüllung der beschriebenen Qualitätsstandards stellt hohe Anforderungen nicht nur an die Träger und Anbieter von Beratung, sondern in besonderem Maße an die Kompetenzen und die Professionalität der Beratenden. Diese durch eine entsprechende Rekrutierungspraxis und kontinuierliche Fortbildung und Supervision sicherzustellen, ist Aufgabe der Beratungseinrichtungen und der politisch verantwortlichen Fördermittelgeber. Aber natürlich sind auch das Commitment und die Selbstverpflichtung der Beratungsfachkräfte für ihre eigene professionelle Weiterentwicklung gefragt. 

Zu den beratungsspezifischen Kompetenzanforderungen an die Beratenden im Übergang Schule – Beruf gehören unter anderem:

  • Die Orientierung am Ratsuchenden
  • Die Herstellung von Transparenz über das Beratungsangebot
  • Eine professionelle Haltung und die Einhaltung ethischer Standards
  • Schaffen stabiler Rahmenbedingungen und struktureller Sicherheit für den Beratungsprozess
  • Schaffen einer tragfähigen Beziehung zum Ratsuchenden und emotionaler Sicherheit
  • Klären der Anliegen und Ziele der Beratung und der aktuellen Situation
  • Identifizieren und Stärken innerer und äußerer Ressourcen / Kenntnis und Anwendung von Kompetenzermittlungsverfahren
  • Erarbeiten von Lösungs- und Handlungsperspektiven
  • Kooperieren mit fachlichem und überfachlichem Umfeld

Darüber hinaus erfordert die Beratung in diesem Handlungsfeld selbstverständlich ein profundes und aktuelles, fach- und feldspezifisches Wissen aus den Bereichen Bildung, Beruf und Beschäftigung, über Wirtschaft, Arbeitsmarkt und Fördermöglichkeiten sowie die Kompetenz, dieses Wissen adressaten- und situationsgerecht aufzubereiten und zu vermitteln.

Diese aus professioneller Sicht sinnvollen und notwendigen Qualitätsstandards und Kompetenzanforderungen für gelingende Beratung im Übergang Schule – Beruf, aber auch in anderen Beratungsfeldern, können im Einzelfall durchaus in einem Spannungsfeld mit gesetzlichen Vorgaben oder geschäftspolitischen Zielen der Träger oder der politisch Verantwortlichen sowie mit den  verfügbaren Ressourcen stehen. Das gilt in besonderem Maße, wenn eine Vielzahl von Anbietern und Trägern mit unterschiedlichen Interessen, Zielsetzungen und fachlichen Standards an dem Übergangsgeschehen beteiligt sind, denn nur gemeinsam getragene und gelebte Qualitätsstandards können die Qualität der Dienstleistung und erfolgreiche Übergänge sicherstellen. Auch wenn unter den genannten Rahmenbedingungen eine konsequente Umsetzung der oben genannten Anforderungen nicht immer möglich sein wird, so liegt es dennoch auch in der Verantwortung von Beratenden auf solche Diskrepanzen aufmerksam zu machen und bei Vorgesetzten und politisch Verantwortlichen auf die Einhaltung der Standards hinzuwirken. Denn: „Gute Beratung ist teuer – schlechte kostet ein Vermögen!“(1). Die finanziellen und sozialen Folgekosten unzureichender Berufswahlvorbereitung und fehlgeleiteter Ausbildungs- und Berufsentscheidungen sind um ein Vielfaches teurer als die Investitionen in gute Beratungsdienste.

    • 1Vgl. Köpplinger, Bernd: Bildungslotsen in der Risikogesellschaft

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