18.11.2020

Mit flexiblen Lösungen durch die Corona-Krise

Auswirkungen der Pandemie auf die Übergänge in Ausbildung und Beruf

von Dr. Verónica Fernández

Bei der Berufsorientierung, bei berufsvorbereitenden Maßnahmen, in der Ausbildung: Es gibt keinen Bereich im Übergang Schule-Beruf, in dem die Corona-Krise nicht deutliche Spuren hinterlassen hätte. Das trifft besonders junge Menschen, die es ohnehin schon schwerer haben als andere: Jugendliche mit niedrigeren Bildungsabschlüssen und geringeren Unterstützungsmöglichkeiten durch die Eltern, Jugendliche mit Beeinträchtigungen, geflüchtete junge Menschen. Dieser Beitrag versucht, einen Überblick über die wichtigsten Auswirkungen der Corona-Pandemie zu geben – und er zeigt Beispiele, auf welche Weise engagierte pädagogische und beratende Fachkräfte und Institutionen flexible Lösungen suchen und finden, um den Mangel an direkten Kontakten durch digitale Medien und virtuelle Angebote zu kompensieren.

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Bundesweit sank 2020 das Angebot an Ausbildungsplätzen. Laut Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) wurden zwischen Oktober 2019 bis September 2020 insgesamt 527.400 betriebliche Ausbildungsstellen gemeldet. Das entspricht einem Rückgang von 50.700 Stellen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Insbesondere wurde im Vergleich zum Vorjahr ein Rückgang der betrieblichen Ausbildungsstellen in den Branchen der Gastronomie und Hotellerie, in kaufmännischen Berufen, in Bereichen der Metall- und Elektroindustrie sowie im Friseurhandwerk festgestellt. Auf der anderen Seite des Marktes, bei der Nachfrage nach Ausbildungsstellen, ist ein Rückgang um 53.000 zu verzeichnen (BIBB 2020). Die fehlenden Meldungen von Ausbildungsplatzsuchenden hängen anscheinend eng mit den fehlenden Möglichkeiten der Beratung und Begleitung der jungen Menschen zusammen.

Integration in den Ausbildungsmarkt gefährdet

Die Auswirkungen der Corona-Krise zeigen sich besonders deutlich bei Personen mit niedrigeren Schulabschlüssen (Maier 2020; Fitzenberger 2020). Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung haben diese den Eindruck, dass sich ihre Chancen auf einen Ausbildungsplatz durch Corona verschlechtert haben (Barlovic et al. 2020). Ein Drittel der Teilnehmenden an dieser Studie konnten aufgrund der Corona-Pandemie ihre beruflichen Pläne nicht umsetzen. Grund dafür sind beispielsweise Absagen von Bewerbungsgesprächen (Barlovic et al. 2020). Die Corona-Krise beeinträchtigt zudem die Integration von geflüchteten jungen Menschen in den Ausbildungsmarkt. Diese münden häufig in Branchen, die von dem Rückgang der betrieblichen Ausbildungsstellen betroffen sind, wie beispielsweise Gastronomie und Hotellerie oder Friseurhandwerk.

Berufsorientierungsangebote sind gerade für Jugendliche mit Migrationshintergrund von großer Bedeutung, da sie über weniger Kontakte zu potentiellen Arbeitgebern verfügen und häufiger an Einzelberatungsgesprächen oder Bewerbungstrainings teilnehmen (Schwarz et al. 2020). Außerdem verfügen ihre Eltern oft nur über begrenzte Kenntnisse des deutschen Bildungssystems und der deutschen Sprache (de Paiva Lareiro 2019) und können deshalb weniger Unterstützung anbieten. Aus diesem Grund kann sich die Covid-19 bedingte Absage von Berufsorientierungsmaßnahmen oder deren eingeschränkten Durchführung besonders problematisch für sie auswirken.

Die Schließung von Kitas und Schulen während des Lockdowns wurde überwiegend von Müttern kompensiert, welche die Betreuung der Kinder neben ihrer Arbeit übernehmen mussten (Kohlrausch und Zucco 2020). Junge Mütter, die eine Ausbildung oder eine Maßnahme in den Bereichen des Übergangs absolvieren, könnten daher besonders betroffen sein. Auch in Bezug auf die Gesundheit betroffene Risikogruppen, die zum Beispiel an chronischen Erkrankungen leiden, stehen vor großen Unsicherheiten, ob eine Teilhabe an Bildungsangeboten überhaupt möglich ist. Alternative Formate, die eine Aufrechterhaltung der Maßnahmen aus der Distanz erzielen können, sind nicht immer barrierefrei, was Jugendliche mit Beeinträchtigungen besonders trifft.

Auswirkungen auf den Übergang und bestehende Ausbildungsverträge

Die Corona-Pandemie hat also einerseits Auswirkungen auf die Einmündung in und Vorbereitung auf die Ausbildung. Auch wenn Ausbildungsplätze gesichert und die duale Ausbildung gestärkt wird, bleibt die Frage, wohin die Schulabgängerinnen und Schulabgänger infolge der rückläufigen Angebote an Ausbildungsstellen münden. Werden zur Kompensierung zunehmend Maßnahmen im Übergangsbereich angeboten oder schulische Bildungsgänge gewählt? Steigt die Zahl der außerbetrieblichen Ausbildungsstellen als alternatives Angebot? Auf der anderen Seite gibt es auch die Auswirkungen auf die bestehenden Ausbildungsverträge. Werden diese aufgrund drohender Insolvenzen in größerem Umfang vorzeitig gelöst? Wie können Ausbildungsverhältnisse stabilisiert werden oder alternative Modelle zum Beispiel von Ausbildung in Verbünden weiterentwickelt werden?

Schulen, überbetriebliche Bildungseinrichtungen, Bildungsträger, Beratungsstellen, Sonderfördereinrichtungen und Ausbildungsbetriebe wurden während des pandemiebedingten Lockdowns zum Teil geschlossen, meist konnten Jugendliche und junge Erwachsene nicht in gewohnter Weise an den Angeboten partizipieren. Die Akteure mussten sich schnell an die neue Situation anpassen und nach Lösungen suchen. So bieten die Agentur für Arbeit und die Jobcenter virtuelle Maßnahmen an, etwa bei der Berufsorientierung. Bildungsträger nutzen im Rahmen der Umsetzung von Maßnahmen des Übergangs digitale Lern- und Arbeitsplattformen wie die der Fachstelle überaus. Betriebe wiederum setzen auf die digitale Anwerbung von Auszubildenden.

Im Folgenden sollen Vorgehensweisen und Aktivitäten in den Handlungsfeldern Berufsorientierung, Berufs- und Ausbildungsvorbereitung, Übergangsmanagement sowie Ausbildung/Ausbildungsförderung beleuchtet werden.

BERUFSORIENTIERUNG


Digitale Angebote zu Berufen:

Berufenavi
Check-U
planet-beruf.de
ich mach’s
Berufe.TV
Azubi TV
Beroobi (wird überarbeitet)

Derzeit befinden sich alternative Formen der Berufsorientierung im Aufwind, da viele Angebote in gewohnter Form nicht oder nur eingeschränkt stattfinden können. Dies betrifft unter anderem die persönliche Beratung (sowohl an Schulen als auch in den Agenturen für Arbeit), Ausbildungsmessen, Praktika, Orientierungstage oder den Zugang zu Berufsinformationszentren. Dabei werden zahlreiche Optionen angeboten, um eine Berufsorientierung aus der Distanz zu ermöglichen. Dazu zählen Apps, Podcasts, virtuelle Ausbildungsmessen oder auch Beratung per Telefon oder E-Mail. So weisen zum Beispiel die Berufsinformationszentren der Bundesagentur für Arbeit auf ihre Online-Angebote hin, wie etwa die Webseite "Berufe Entdecker", das Bewerbungstraining oder das Erkundungstool "Check-U". Auch mittels des Portals planet-beruf.de bietet die Bundesagentur für Arbeit zahlreiche Informationen über Berufswahl und Ausbildung an. Auf der Beroobi-Plattform finden Interessierte Informationen und Videos unter anderem über die Tätigkeit, den Tagesablauf, und den Voraussetzungen zu unterschiedlichen Berufen sowie Links zu hilfreichen Ressourcen.

Berufsfindungsprozesse digital unterstützt

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Social-Media-Kanäle wurden auch sinnvoll in der Berufsorientierung eingesetzt, zum Beispiel von der Jugendberufsagentur Berlin, die Interviews mit Vertreterinnen und Vertretern von Unternehmen als Live-Sendung per Instagram überträgt. Interessierte Jugendliche können im Vorfeld für sie relevante Fragen schicken, die im Rahmen des Interviews gestellt werden. Der Fokus des Bewerbungstrainings wird in Corona-Zeiten auf telefonische oder videogestützte Vorstellungsgespräche gelegt. Auch hier wird auf digitale Informationen und virtuelle Tools hingewiesen, wie beispielsweise auf die App "Bewerbung: Fit fürs Vorstellungsgespräch" der Bundesagentur für Arbeit. Auch im Bewerbungstraining des Portals planet-beruf.de kann man Tipps für Online-Vorstellungsgespräche finden.

Beispiele für virtuelle Tools zur Vorbereitung von Vorstellungsgesprächen Bewerbungstraining des Portals planet-beruf.de
Bewerbungsprozess

Bereits vor der Corona-Pandemie hatte sich das von der Industrie- und Handelskammer (IHK) Nürnberg für Mittelfranken in Kooperation mit der Agentur für Arbeit Ansbach angebotene Format des Skype-Speed-Datings für Betriebe und zukünftige Auszubildende gut bewährt. Jugendliche können sich über verschiedene Ausbildungsmöglichkeiten informieren, in direkten Kontakt mit den Ausbilderinnen und Ausbildern treten und sich um Ausbildungsplätze bewerben. Nach der erfolgreichen Durchführung eines Pilotversuchs 2019 wurden weitere Termine für 2020 geplant (Agentur für Arbeit Ansbach-Weißenburg 2020). Dieses Angebot wurde aufgrund des Ausbruchs der Corona-Pandemie bereits auf weitere IHKs erweitert, wie etwa die IHK Wiesbaden, die HWK- und IHK-Dortmund sowie die IHK Düsseldorf.  Letztere hat im August 2020 das erste digitale Azubi-Speed-Dating veranstaltet, an dem 233 Bewerberinnen und Bewerber und 33 Unternehmen teilgenommen haben. Dabei sind 173 Matches entstanden, bei denen sie sich verabreden, um sich näher kennenzulernen.

Beispiele für virtuelle Matching-Fomate Übersicht des NRW-Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales
HWK- und IHK- Dortmund: Video mit Empfehlungen für virtuelle Gespräche
IHK Düsseldorf: Was ist ein Azubi-Speed-Dating? / Termine 2021

Daneben wurden auch Angebote entwickelt, die trotz der Einhaltung der Schutzmaßnahmen eine persönliche Beratung von Angesicht zu Angesicht ermöglichen. So bietet die Kölner Agentur für Arbeit "Walk and Talk-Beratungen" an, bei denen Jugendliche sich mit einem Berufsberater oder einer Berufsberaterin treffen, um bei einem Spaziergang an der frischen Luft ihre Fragen klären und Informationen erhalten zu können (Agentur für Arbeit Köln 2020).

Praktika: Ein zentrales Instrument der Berufsorientierung fällt aus

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Praktika, ein wichtiges Instrument in der Berufsorientierung, wurden oft verschoben (Hessisches Kultusministerium 2020) oder abgesagt (Schwarz et al. 2020). Grund dafür waren Gesundheits- und Schutzmaßnahmen sowie fehlendes Personal (u.a. durch Kurzarbeit), sodass eine Betreuung von Praktikanten und Praktikantinnen nicht gewährleistet werden kann. Die Situation variiert jedoch von Branche zu Branche: In einigen Branchen wie zum Beispiel im Einzelhandel war es möglich, Praktika zu absolvieren, während diese Möglichkeit in der Pflege nicht bestand (Jugendsozialarbeit News 2020). Eine Verschiebung des Praktikums, zum Beispiel vom Herbst oder Winter auf das Frühjahr, wird voraussichtlich zu einem starken Anstieg der Nachfrage nach Praktika für diesen Zeitraum führen. Da die Praktika und die Beratung in der Schulklasse die am häufigsten wahrgenommenen Angebote der Berufsorientierung während der Schulzeit sind, kann die Absage dieser Maßnahmen Auswirkungen auf das Matching und die Einmündung in Ausbildung im nächsten Jahr haben).

Aufgrund der Schwierigkeiten, Praktikumsplätze zu finden, empfiehlt die Agentur für Arbeit, sich auch auf digitale Praktika und Orientierungstage einzulassen. Diese Formate müssen jedoch noch entwickelt werden. Für Schulen wird alternativ empfohlen, die Praktikumszeiten durch Projekttage, Arbeit am Berufswahlpass oder Aktivitäten zu Berufsbildern zu ersetzen. Eine weitere Möglichkeit kann darin bestehen, Praktika in Kooperation mit anderen Akteuren wie Bildungsträgern oder überbetrieblichen Bildungsstätten anzubieten.

Virtuelle Messen: bereits etabliert

Ein Format, das sich bereits etabliert hat, ist die virtuelle Messe. Ein Beispiel dafür ist die I-zubi Messe des Unternehmerverbands Südhessen e.V.. Bei dieser Messe sind zahlreiche Unternehmen mit einem eigenen Stand virtuell vertreten, an denen die Besucherinnen und Besucher Informationen anhand von Videos und Flyer zum Downloaden finden können. Hier gibt  es zahlreiche weitere Angebote - so hat zum Beispiel das Institut für Talententwicklung im Sommer und Herbst 2020 etwa 50 virtuelle Messen durchgeführt.

Beispiele für virtuelle Messen I-zubi Messe des Unternehmerverbands Südhessen e.V.
Institut für Talententwicklung
Sofastart: digitale Veranstaltungen für Berufseinsteiger, bei denen große Unternehmen dabei sind
Agentur Mark GmbH

BERUFS- UND AUSBILDUNGSVORBEREITUNG

Die Corona-Pandemie und der Lockdown hatten auch Einfluss auf die Gestaltung von berufs- und ausbildungsvorbereitenden Maßnahmen. Jugendliche wurden oft virtuell betreut, da sie keinen Zugang zum Bildungsträger, ihrer Lerngruppe oder zu ihren potenziellen Ausbildungsbetrieben hatten.
Aufgrund der fehlenden Präsenzmöglichkeiten haben Bildungsträger wie beispielsweise der Caritasverband Dortmund e.V., der zusammen mit IN VIA Dortmund e. V. berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen durchführt, Übungsmaterialien und Lernpakete an Teilnehmende per E-Mail oder per Post verschickt.

Viele andere Einrichtungen und Organisationen sind einen ähnlichen Weg gegangen. Die Betreuung der Teilnehmenden fand oft telefonisch oder per Online-Tools statt. Bildungsträger sind jedoch der Ansicht, dass dies den direkten Kontakt ("face to face") nicht ersetzen kann (Jugendsozialarbeit News 2020). Daher wurden Teilnehmende nicht selten vor Ort aufgesucht, um Beratungsgespräche bei einem Spaziergang zu organisieren. Es gilt, den regelmäßigen Kontakt und die verlässliche Beziehungsarbeit aufrechtzuerhalten und hierfür jede mögliche Form zu nutzen. Bundesweit steht für diese Maßnahmen die Lern- und Arbeitsplattform überaus.de zur Verfügung, die es ermöglicht, in virtuellen Gruppen zeit- und ortsunabhängig zusammenzuarbeiten.

ÜBERGANGSMANAGEMENT

Jugendberufsagenturen wurden während des Lockdowns teilweise geschlossen. Diejenigen, die geöffnet blieben, ermöglichten keine unmittelbaren, persönlichen Kontakte. Vielmehr erfolgten diese in der Regel über Telefon, E-Mail oder über Social-Media-Kanäle. Die letzteren werden beispielsweise von der Jugendberufsagentur Berlin genutzt, um die Jugendlichen zu erreichen und den Kontakt aufrechtzuerhalten.

In dieser Situation gewinnen so genannte virtuelle Jugendberufsagenturen an Relevanz, ob für die rechtskreisübergreifende Zusammenarbeit oder als Kontaktwege zu den Jugendlichen. Jugendliche können mittels weniger Klicks ihre Situation schildern oder Fragen stellen und erhalten eine Antwort beziehungsweise Hilfestellung seitens der zuständigen Ansprechperson per Telefon oder E-Mail. Die virtuelle Jugendberufsagentur für den Rhein-Hunsrück-Kreis ermöglicht sogar eine direkte Kontaktaufnahme mit Coaches.

Beispiele für Ansätze virtueller Jugendberufsagenturen Jugendberufsagentur Rastatt
Jugendberufsagentur Mansfeld-Südharz
Jugendberufsagentur für den Rhein-Hunsrück-Kreis

Die Bundesagentur für Arbeit regt an, alternative Formate für das Coaching anzubieten, die keine physische Präsenz erfordern, wie Online- oder telefonisches Coaching. Dies waren auch die am häufigsten gewählten Varianten, denn Coaching fand überwiegend telefonisch oder über Messenger-Dienste statt. Auch E-Mentoring kann eine Alternative darstellen, um trotz physischer Distanz den Kontakt zwischen Mentor/Mentorin und Mentee aufrechtzuerhalten.

Allerdings wurden auch, wenn es möglich war, Präsenztreffen organisiert. Einige Jugendberufsagenturen berichteten, dass der Jugendhilfe in dieser Situation eine besondere Bedeutung zukam. Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter führten Einzelgespräche mit Jugendlichen, die ansonsten in Job-Centern oder Agenturen für Arbeit stattfinden. Diese wurden im Freien durchgeführt, da der Zugang zu den Behörden nicht möglich war.

AUSBILDUNG/AUSBILDUNGSFÖRDERUNG

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Die Unsicherheit von jungen Menschen durch die Corona-Pandemie zeigen die Ergebnisse einer Befragung der Bertelsmann Stiftung, nämlich, dass 61 Prozent der befragten Schülerinnen und Schüler der Ansicht sind, dass sich die Chancen auf eine Ausbildung verschlechtert haben. Was ein Studium betrifft, so teilen lediglich 23 Prozent der Befragten diese Ansicht (Barlovic et al. 2020, S. 6). Dies könnte dazu führen, dass junge Menschen mit einem geeigneten Schulabschluss sich eher für ein Studium oder andere Karrierewege entscheiden. Schülerinnen und Schüler mit niedrigeren Bildungsabschlüssen werden sich hingegen um die Suche nach einem Ausbildungsplatz bemühen. Sollten die Bemühungen erfolglos sein, würde sich fast die Hälfte (46 Prozent) dieser Jugendlichen "ungelernt nach einem Job umschauen" (Barlovic et al. 2020, S. 20).

Schulabgängerinnen und Schulabgänger mit niedrigeren Schulabschlüssen finden sich eher in den Bereichen, die von den Auswirkungen der Pandemie stärker betroffen sind, im Hotel-Gaststätten-Bereich, im Einzelhandel oder generell eher in Bereichen einfacherer Dienstleistungen. Gerade diese Jugendlichen benötigen vor und während der Ausbildung möglichst individuelle, auf die persönlichen Bedürfnisse zugeschnittene Unterstützung, wie sie in der Assistierten Ausbildung (AsA) oder den ausbildungsbegleitenden Hilfen (abH) angeboten werden. Mittels der assistierten Ausbildung können sie Unterstützung in Form von individualisierte Beratung, Begleitung und Trainings erhalten.

Assistierte Ausbildung: Unterstützung für Azubis und Betriebe

Gerade in Corona-Zeiten kann die AsA ein wirksames Instrument sein, da sie nicht nur Unterstützung für die Auszubildenden bietet, sondern auch für die Betriebe. Laut einer Umfrage im Rahmen des JOBSTARTER-Programms möchte die Mehrheit der Betriebe (60 Prozent) weiterhin ausbilden, jedoch wünschen sie sich Unterstützung. Sie fordern zunehmend Tipps zu Finanzhilfen für die Ausbildung (30 Prozent) sowie Informationen zur Verwendung digitaler Tools in der Ausbildung (19 Prozent). Weiterhin wünschen sie sich Hilfestellungen bei der Akquise von Auszubildenden und beim Ausbildungsmarketing (König und Dresen, 2020).

Bei fehlenden Ausbildungsangeboten können auch außerbetriebliche Ausbildungsmodelle eine Alternative darstellen, damit junge Menschen nicht in Sondermaßnahmen landen, sondern eine reguläre Ausbildung beginnen können. Experten fordern, die außerbetriebliche Ausbildung in diesen Zeiten auszuweiten und als Instrument weiterzuentwickeln.

Ausbildungsbetriebe: Unterschiede nach Branchen

Auch wenn die meisten Auszubildenden in kleinen und mittleren Unternehmen ihre Ausbildung fortsetzen konnten, litten einige stärker unter den Folgen der Corona-Krise, die zu Homeoffice, Kurzarbeit oder Freistellungen führte (König und Dresen, 2020). Ferner kam es vor, dass die Auszubildenden nicht an allen Ausbildungsstationen eingesetzt werden konnten und dass ihr Austausch mit dem Ausbildungspersonal weniger intensiv war (Bellmann et al. 2020). Nahezu sechs von zehn Ausbildungsbetrieben im Hotel- und Gaststättengewerbe gaben an, dass sie die Ausbildungsinhalte nicht wie geplant vermitteln konnten. Die Hälfte dieser Betriebe meldete auch, dass die Betreuung der Auszubildenden nicht im üblichen Umfang möglich war (Bellmann et al. 2020). In Ausnahmefällen wurden die Auszubildenden mit Aufgaben betraut, die nicht zu ihren Ausbildungsberufen gehören (AHGZ 2020). Ein durch digitale Medien unterstütztes Lernen aus der Distanz gestaltet sich in diesem Wirtschaftszweig schwierig.

In Berufen, die mit der Präsenz der Kundschaft verbunden sind oder in einer spezifischen Lernumgebung stattfinden, können nur kleine Teile des Berufsbilds durch digitale Lernangebote abgedeckt werden (Bertelsmann Stiftung 2020). Schwierige Ausbildungsbedingungen – wie sie mit der Corona-Pandemie einhergehen – können soweit führen, dass es zu Lösungen der Berufsausbildungsverträge kommt. Hier können die Lehrenden eine Schüsselrolle spielen, denn sie können die Zufriedenheit, Lernmotivation oder die Leistungsbereitschaft der Auszubildenden durch die "bewusste Gestaltung vertrauensvoller Lehrer-Schüler-Beziehungen" beeinflussen (Soemers 2020).

Ausbildung sichern: Stabilisierung durch Ausbildungsverbünde

Auch alternative Gestaltungsformate können in diesem Kontext an Bedeutung gewinnen. In Zeiten der Corona-Pandemie haben einige Betriebe, die Teile der Ausbildung nicht mehr erbringen konnten, diese an andere Betriebe oder überbetriebliche Bildungsträger übertragen (Allianz für Aus- und Weiterbildung 2020). Ausbildungsverbünde können in diesem Zusammenhang eine gute Lösung sein. Sie können in unterschiedlichen Formen organisiert werden: als Auftragsausbildung, als Ausbildungskonsortium, als ein Leitbetrieb mit Partnerbetrieben oder als Ausbildungsverein. Die Ausbildung im Verbund kann zu einer besseren fachlichen Qualifizierung der Jugendlichen aufgrund des Lernortwechsels beitragen, zum Beispiel durch das Kennenlernen unterschiedlicher Arten der Arbeitsorganisation und Teamarbeit oder durch die Spezialisierung und Ausstattung der Partner. Darüber hinaus können sich durch die Kontakte zu mehreren Betrieben die Übernahmechancen für die Jugendlichen nach der Ausbildung verbessern (BIBB 2003).

Nicht zuletzt kann die Ausbildung im virtuellen Verbund eine weitere Möglichkeit sein, um Konsequenzen der Corona-Pandemie, wie etwa einen Lockdown, zu überwinden. Das vom BMBF finanzierte Vorhaben Ausbildung im virtuellen Verbund (AVI) zielte darauf, E-Learning-Elemente in der Ausbildung im Verbund zu implementieren.

Beispiele für flexible Modelle und Nutzung digitaler Medien in der Ausbildung Verbundausbildung – vier Modelle für die Zukunft
Ausbildung im virtuellen Verbund
Praxisbeispiele der Initiative "qualifizierung digital"
Online-Ausbildungsnachweis "Block"

DIGITALISIERUNG, INDIVIDUALISIERUNG UND FLEXIBILISIERUNG

In allen Handlungsfeldern am Übergang von der Schule in Ausbildung wurden zahlreiche und vielfältige Angebote entwickelt, um die Aktivitäten auch in Corona-Zeiten aufrechtzuerhalten. Virtuelle Angebote wie Apps, Podcast, Chats, virtuelle Ausbildungsmessen und Praktika oder Social-Media-Kanäle waren die dafür gewählten Instrumente, auch wenn diese nicht immer den direkten Kontakt ("face to face") ersetzen (Jugendsozialarbeit News 2020). Die Bundesagentur für Arbeit und andere Akteure bieten für den Prozess der Berufsorientierung eine Reihe digitaler Lernanwendungen. Die BIBB-Fachstelle überaus bietet mit der virtuellen Plattform eine bundesweit etablierte digitale Infrastruktur für die Bildungsträger, die Maßnahmen am Übergang umsetzen, auch mit der Möglichkeit, Video-Konferenzen für die Förderarbeit zu nutzen.

In diesem Kontext gewinnt die individuelle Gestaltung der Maßnahmen, die einen barrierefreien Zugang ermöglicht und die sprachliche und kulturelle Vielfalt berücksichtigt sowie eine Flexibilisierung der Ausbildung mehr und mehr an Bedeutung. Gerade für Jugendliche mit niedrigeren Schulabschlüssen, die durch die aktuelle Situation besonders betroffen sind, kann die auf den individuellen Bedarf zugeschnittene Unterstützung, wie sie zum Beispiel im Case-Management oder in Maßnahmen wie der assistierten Ausbildung angeboten werden, relevant sein. Weitere Möglichkeiten, wie die Ausbildung in Teilzeit, über die die tägliche oder wöchentliche Arbeitszeit flexibler angepasst beziehungsweise verkürzt werden kann, werden in dieser Situation wichtiger. Nicht nur junge Mütter, sondern auch Jugendliche, die aus gesundheitlichen oder persönlichen Gründen keine Ausbildung in Vollzeit machen können, könnten davon seit Beginn dieses Jahres durch die Neuregelung im Berufsbildungsgesetz profitieren. Auch können die Weiterentwicklung von Modellen der außerbetrieblichen Ausbildung und von Ausbildungsverbünden zur Stärkung der und Teilhabe an regulärer Ausbildung beitragen.

Literatur

Agentur für Arbeit Ansbach-Weißenburg (2020). Presseinfo Nr. 4 vom 22.01.2020. Zweites Skype-Speeddating am 30.01.2020). (16.10.2020)

Agentur für Arbeit Detmold (2020). Presseinfo Nr. 43 vom 02.07.2020. Mit einer Einstiegsqualifizierung (EQ) in Ausbildung. (16.10.2020)

Agentur für Arbeit Köln (2020). Presseinfo Nr. 34 vom 01.09.2020.  Der Kölner Ausbildungsstellenmarkt im August 2020. (14.10.2020)

Allgemeine Hotel- und Gastronomie-Zeitung (AHGZ) (20. Juli 2020). Wie Azubis die Coronakrise erleben. (04.11.2020)

Allianz für Aus- und Weiterbildung. Gemeinsame Erklärung der Allianz für Aus- und Weiterbildung 2019-2021: Gemeinsam den aktuellen Herausforderungen durch die Corona-Krise auf dem Ausbildungsmarkt begegnen – gemeinsam den Ausbildungsmarkt stabilisieren! (08.10.2020)

Andersen, S.; Lips, A.; Rusack, T.; Schröer, W; Thomas, S.; Wilmes, J. (2020). Nachteile von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen ausgleichen. Politische Überlegungen im Anschluss an die Studien JuCo und KiCo. Universitätsverlag Hildesheim: Hildesheim. DOI: 10.18442/151 (16.11.2020)

Barlovic, I; Ullrich, D. und Wieland, C. (2020). Ausbildungsperspektiven in Zeiten von Corona. Eine repräsentative Befragung von Jugendlichen. Bertelsmann Stiftung (Hrsg.): Gütersloh. (07.10.2020)

Bellmann, L. et al. (2020): Betriebliche Ausbildung trotz Erschwernissen in der Covid-19-Krise robuster als erwartet. In: IAB-Forum 5. November 2020. (10.11.2020)

Bertelsmann Stiftung (Hrsg.) (2020). Nach der Pandemie: für eine gestaltungsorientierte Berufsbildung in der digitalen Arbeitswelt. Eine Denkschrift. Bertelsmann Stiftung: Gütersloh. Online: DOI 10.11586/2020014 (06.11.2020) (16.11.2020)

Bildungsketten (2020). Corona-Pandemie: Junge Menschen am Übergang Schule – Beruf individuell begleiten. (16.10.2020)

Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) (2019). Berufsbildungsbericht 2019. BMBF: Bonn. (15.10.2020)

Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) (2011). Verbundausbildung – Vier Modelle für die Zukunft. Jobstarter Praxis Band 6. W. Bertelsmann Verlag, Bielefeld. (16.10.2020)

Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) (2020). Pressemitteilung: Pandemie lässt Ausbildungsmarkt nicht unberührt (16.10.2020)

Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) (2003). Verbundausbildung: Organisationsformen, Förderung, Praxisbeispiele, Rechtsfragen. (16.10.2020)

de Paiva Lareiro, Cristina (2019): Ankommen im deutschen Bildungssystem. Bildungsbeteiligung von geflüchteten Kindern und Jugendlichen. Ausgabe 02|2019 der Kurzanalysen des Forschungszentrums Migration, Integration und Asyl des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Nürnberg. (05.11.2020)

Fitzenberger, B. (2020): In der Covid-19-Rezession muss auch die duale Berufsausbildung abgesichert werden, In: IAB-Forum 5. Juni 2020. (07.10.2020)

Hessisches Kultusministerium. (2020). CORONAVIRUS. Häufig gestellte Fragen. (20.10.2020)

Jugendsozialarbeit News (2020). Coronakrise: Wie geht es eigentlich den Jugendlichen in berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen? (20.10.2020)

König, D. und Dresen, B. (2020). So verändert die Corona-Pandemie die Berufsausbildung: Ergebnisse der JOBSTARTER-Umfrage. (04.11.2020)

Kohlrausch, B. und Zucco, A. (2020). Die Corona-Krise trifft Frauen doppelt. Weniger Erwerbseinkommen und mehr Sorgearbeit. Policy Brief WSI 05/2020 Nr. 40. Hans-Böckler-Stiftung. (16.11.2020)

Maier, T. (2020). Auswirkungen der „Corona-Krise“ auf die duale Berufsausbildung. Risiken, Konsequenzen und Handlungsnotwendigkeiten. BIBB: Bonn. (16.11.2020)

Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen (18.03.2020). Umgang mit dem Corona-Virus an Schulen. (20.10.2020)

Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (2020). KAoA: Kommunale Koordinierung in Corona-Zeiten. (16.10.2020)

Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen (2020). Angepasster Schulbetrieb in Corona-Zeiten. 08.10.2020)

Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg (18.06.2020). Ausbildungsbündnis beschließt Maßnahmenkatalog. (14.10.2020)

Schwarz, L.; Anger, S.; Leber, U. (2020): Berufsorientierung durch Schulen und Arbeitsagenturen ist für Jugendliche mit Migrationshintergrund besonders wichtig. In: IAB-Forum 30. September 2020. (08.10.2020)

Soemers, J.C. (2020). Vorzeitige Vertragslösungen von Auszubildenden vermeiden. Was Berufsschullehrerinnen und Berufsschullehrer beitragen können. (03.11.2020)

Statistik der Bundesagentur für Arbeit (Oktober 2020). Berichte: Blickpunkt Arbeitsmarkt– Monatsbericht zum Arbeits- und Ausbildungsmarkt. Statistik der Bundesagentur für Arbeit: Nürnberg. (29.10.2020)

Zuletzt aktualisiert am 23.12.2020nach oben