31.10.2012

Aus Altbewerbern neue Fachkräfte machen

Praxisbericht über das Projekt teenwork der Otto Benecke Stiftung und der DHL Freight

von Petra Lippegaus-Grünau

Das bundesweite Projekt teenwork baut neue Wege direkt in den Betrieb. Es spricht junge Menschen in ganz Deutschland an, die nach der Schule keinen Ausbildungsplatz gefunden haben und bietet ihnen über Auswahlseminare, Praktika und individuelles Coaching die Chance auf einen Ausbildungsplatz. Möglich ist das Projekt durch eine Kooperation der DHL Freight GmbH mit der Otto Benecke Stiftung e.V. und durch Mittel des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Nennen wir sie Olga. Den Schulabschluss hat sie in der Tasche, aber genützt hat es ihr nichts. Im letzten Jahr hat sie tatsächlich über 200 Bewerbungen geschrieben - anfangs fürs Büro, später für alles Mögliche, nur um irgendwie eine Ausbildung machen zu können - ohne Erfolg. Sie zweifelt an sich, weiß nicht mehr, was sie kann, ebenso wenig, an wen sie sich wenden soll. Im Internet findet sie teenwork, ein Projekt, das ihr einen Ausbildungsplatz verspricht - vorausgesetzt, sie absolviert erfolgreich ein Auswahlseminar und ein Praktikum. Heute macht sie eine Ausbildung als Speditionskauffrau, stolz und motiviert.

Bild: Otto Benecke Stiftung e.V.

Wie Olga ging es in den letzten Jahren vielen Jugendlichen. Einige bringen sogar ganz gute Leistungen mit, haben aber bei ihren Bemühungen um eine Ausbildungsstelle so viele Misserfolge erlebt, dass sie allmählich resignieren. Vor allem junge Menschen mit Zuwanderungsgeschichte erleben bei ihren zahlreichen Bewerbungen nicht selten Diskriminierungen. Über die "alten Kanäle" sind diese Altbewerberinnen und -bewerber nicht mehr zu erreichen, da sie sich in einem Strudel von "Nebenjobs", Zeitarbeit und ungelernten Helfertätigkeiten befinden. Sie drohen als wichtiger Teil der Gesellschaft und als potenzielle Fachkraft verloren zu gehen, weil sie zwar eine Ausbildung anstreben, es mit zunehmendem Alter aber immer schwerer haben, aus prekären Beschäftigungsverhältnissen herauszukommen.

Junge Menschen brauchen starke Partner

Das bundesweite Projekt teenwork spricht diese Gruppe mit einem ungewöhnlichen Konzept an. Unter dem Motto "Starke Partner nehmen Dich mit. Richtung Zukunft." baut es Brücken, die direkt in die betriebliche Ausbildung renommierter Wirtschaftsunternehmen führen.

"Weg von diesen Übergangsmaßnahmen" wollte das Team der Otto Benecke Stiftung e.V. (OBS), so Maria Eggert, die die Jugendlichen im Rahmen von teenwork betreut. teenwork soll den Jugendlichen die notwendige Unterstützung bieten, sich aber auf konkrete betriebliche Ausbildungsplätze konzentrieren. Zusammen mit der DHL Freight GmbH als Initiator wurde das Projekt 2009 gestartet zunächst mit 30 Ausbildungsplätzen verteilt auf die insgesamt 26 Niederlassungen in ganz Deutschland.

"Starke Partner nehmen Dich mit. Richtung Zukunft."

 

Angeboten werden derzeit drei verschiedene Berufe mit guten Aussichten: Kauffrau / Kaufmann für Spedition- und Logistikdienstleistung (3 Jahre), Berufskraftfahrer/-in (3 Jahre) sowie Fachlagerist/-in (2 Jahre) zusätzlich mit der Möglichkeit der Verlängerung um ein weiteres Jahr  für die Erlangung der Qualifikation Fachkraft für Lagerlogistik.

Schritt für Schritt in den Beruf

Per Internet sowie über Partner vor Ort, wie Jugendmigrationsdienste und Migrantenorganisationen, sucht das Team der OBS deutschlandweit Jugendliche und junge Erwachsene im Alter zwischen 18 und 27 Jahren. Sie sollen einen Schulabschluss mitbringen, müssen aber keine Topleistungen vorweisen. "Wichtiger ist die richtige Einstellung", betont Eduard Galyschew, Referent im Projekt.

Die Interessenten werden nach Bonn zu einem Auswahlseminar eingeladen und können dort an zwei Tagen ihre Kompetenzen überprüfen. Junge Menschen wie Olga werden hier aufgefangen und aufgebaut. Sie lernen berufstypische Anforderungen kennen, und erproben, inwieweit sie sie schon erfüllen. Selektion und Konkurrenz stehen aber nicht im Vordergrund, sondern Unterstützung und Wege in die Zukunft. Dem OBS-Team ist es wichtig, den Jugendlichen auf Augenhöhe zu begegnen.  Das Seminar ist für die Teilnehmenden kostenlos, auch Fahrtkosten, Unterkunft und Verpflegung werden übernommen.

Bild: Otto Benecke Stiftung e.V.

Das Programm beginnt am Sonntagabend mit aktiven Übungen zur Motivation. Montags starten zunächst Tests in Deutsch, Mathematik und ggf. in der Muttersprache, gefolgt von Simulationen aus dem Berufsbereich. Im Rahmen des Auswahlverfahrens absolvieren die Teilnehmenden in Kleingruppen z. B. Übungen zum Wareneingang oder erstellen einen Tourenplan. Dabei werden sie systematisch beobachtet. Mit jedem / jeder Teilnehmenden wird ein Interview geführt, darüber hinaus gehört ein Bewerbungstraining zum Programm. Alle Teilnehmenden erhalten eine individuelle Rückmeldung.  Um insbesondere denjenigen gerecht zu werden, die Deutsch nicht als Muttersprache erlernt haben, wurde das Assessment gemeinsam mit Fachleuten der wissenschaftlichen Begleitung auf Aspekte des Cultural Mainstreaming ausgerichtet.

Wer das Seminar erfolgreich absolviert hat, wird zu einem Vorstellungstermin in einer Niederlassung der DHL eingeladen. Die Ergebnisse der Kompetenzfeststellung werden den Bewerbungsunterlagen hinzugefügt.

Einen zweiten Baustein des Projektes bildet das Praktikum in einer Niederlassung. Die Dauer richtet sich ganz nach dem Einzelfall, sie kann zwischen zwei Wochen und drei Monaten liegen. Die Jugendlichen erhalten in dieser Zeit ein Taschengeld und eine Fahrtkostenpauschale.

In der gesamten Zeit, auch später während der Ausbildung, erhalten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine Betreuung - entweder per Telefon und/oder durch Seminare, die von Fach- oder Honorarkräften durchgeführt werden, die sie schon im Seminar kennen gelernt haben. Auch die örtlichen Jugendmigrationsdienste, mit denen die OBS zusammen arbeitet, stehen als Ansprechpartner zu Verfügung. Die Otto Benecke Stiftung e. V.  hält Kontakt zum Betrieb, sensibilisiert z. B. bei Startschwierigkeiten für die Stärken der Jugendlichen oder organisiert notwendige Unterstützungen wie etwa Deutschkurse.

Was aber passiert mit denjenigen, die das Assessment nicht auf Anhieb schaffen? Kann das Projekt nicht für sie eine erneute Niederlage bedeuten? Für diese Gruppe wurde das Projekt teenwork II konzipiert. Es gibt auch denjenigen Absolventen des Assessments eine Chance, die noch nicht alle Anforderungen für eine Ausbildung erfüllen. Sie erhalten die Möglichkeit, über ein Langzeitpraktikum (6 bis 12 Monate) das Unternehmen von sich zu überzeugen. Praktikumsbegleitend besuchen die Jugendlichen die Berufschule; das Projekt unterstützt sie durch sozialpädagogische und (fach-)sprachliche Begleitung.

In den vergangen zwei Jahren konnte teenwork rund 50 Jugendlichen eine Ausbildungsperspektive eröffnen.

Good Practice - was lässt sich übertragen?

Angesprochen darauf, was er selbst als das Besondere des Projekts sieht, rückt Eduard Galyschew ein Dreieck der Kooperation in den Vordergrund. Es besteht aus

  • den Jugendlichen, die sich um ganz konkrete Ausbildungsplätze bewerben, ihre Chance erkennen und wahrnehmen,
  • einem Unternehmen, das bereit ist, Verantwortung für junge Menschen und die eigene Fachkräftesicherung zu übernehmen und sich auf neue Wege einlässt
  • sowie einer gemeinnützigen Organisation, die quasi eine Scharnierfunktion zwischen beiden übernimmt.

Die Erfahrungen sind auf allen drei Ebenen durchweg positiv:

Die Jugendlichen sind ausgesprochen motiviert. Viele erweisen sich im Assessment als deutlich leistungsstärker als ihre Schulnoten vermuten lassen. Sie fühlen sich als Person und mit ihren beruflichen Zielen ernst genommen, verlieren Zukunftsängste und nehmen die Angebote mit viel Begeisterung an.

Der Kooperationspartner DHL Freight sucht nicht die Besten, sondern diejenigen, die ins Profil passen. Die Betriebe haben ihr Einstellungsverhalten der "Boom-Jahre" verändert: Sie streichen Jugendliche, die nicht auf Anhieb ihren Vorstellungen entsprechen, nicht mehr von der Bewerberliste, sondern öffnen sich zunehmend für Potenziale und Entwicklungsmöglichkeiten von Jugendlichen. Mehr und mehr Betriebe sind mittlerweile auch bereit, sich auf individuelle Besonderheiten wie z. B. ein Kopftuch einzulassen und Multinationalität als Vorteil für den Betrieb zu sehen.

Die Otto Benecke Stiftung sieht sich quasi als "Headhunter für Azubis", als  Dienstleister für Kunden, die es auf Anhieb zwar nicht geschafft haben, aber jede Menge Entwicklungspotenzial mitbringen. Gleichzeitig profitiert auch der Betrieb von diesen Dienstleistungen.

Dass die Chemie im Projekt stimmt, zeigen u. a. die jährlichen Veranstaltungen, zu denen DHL alle "teenworker" einlädt. 2010 bekamen alle Auszubildenden ein professionelles Coaching zur Vorbereitung auf eine Diskussionsrunde mit einem bekannten Politiker (Eberhard Diepgen) und mit Entscheidungsträgern aus Politik (Johannes-Wilhelm Rörig, Unterabteilungsleiter BMFSFJ) und Wirtschaft (Karl-Heinz Liesenfeld, Managing Director DHL Freight Germany Holding). 2012 wurde ein Business-Knigge angeboten; dabei ging es um das richtige Verhalten im beruflichen Kontext. Alle teenworker nahmen an einer politischen Stadtführung in Berlin teil, die auch das Allgemeinwissen der Jugendlichen fördert.

Eine gute Idee spricht sich rum. teenwork holt weitere Unternehmen ins Boot und erweitert sein Spektrum um technische Berufe. Um noch mehr  Jugendlichen Chancen auf ein Praktikum und eine Ausbildung eröffnen, wird das Konzept weiter entwickelt und der Kreis der Kooperationspartner erweitert. So stieg Ford Aus- und Weiterbildung e.V. bereits in das Projekt mit ein,  mit der neuen Förderphase kommt McDonald's Deutschland Inc. hinzu.