07.01.2014

Soziale Berufe - Perspektiven für Jungs

Praxisbericht über ein Projekt zur Erweiterung des Berufswahlspektrums von männlichen Jugendlichen in Sachsen-Anhalt

von Sven Deeken

So ganz normal ist das nicht. Männliche Azubis als Erzieher in Kindergärten, als Pfleger in Krankenhäusern und Altenheimen, als medizinische Fachangestellte? Aber warum eigentlich nicht? - Ein Magdeburger Projekt trägt bereits seinen Teil dazu bei, das Außergewöhnliche zur Normalität zu machen. Die Potenziale sind da, sie müssen nur erkannt und konsequent gefördert werden. Dabei werden die Jugendlichen von der Schule bis in die Ausbildung umfassend begleitet und unterstützt.

"Jungs aufgepasst! Mal der Hahn im Korb sein?" So spricht der Flyer des Projekts die potentiellen Teilnehmer an. Gemeint sind Jungs aus den Abgangsklassen von Sekundar- und Gesamtschulen in Magdeburg, "die noch nicht wissen, wie es nach der Schule weitergeht, und die sich für eine Ausbildung im Bereich Soziales, Pflege oder Gesundheit interessieren". Der Flyer soll Lust machen auf eine Ausbildung als Erzieher, medizinischer/ zahnmedizinischer Fachangestellter, Altenpfleger oder Gesundheits-/ Krankenpfleger.

Dahinter steckt das "Projekt zur Erweiterung des Berufswahlspektrums von männlichen Jugendlichen", kurz PEB. "Ein Nischenprojekt", wie Frau Anette Meister vom Projektträger, den elke meister schulen (EMS) sagt. Es beabsichtigt, den Ausbildungsmarkt für die Aufnahme interessierter junger Männer in pflegerische, soziale oder medizinische Dienstleistungsberufe aufzuschließen, bereits vorhandene Interessen und Potenziale der Jugendlichen zu entdecken und interessierte junge Männer an eine mögliche Ausbildung in diesem Dienstleistungsbereich heranzuführen. Alle im Projekt behandelten Berufsfelder weisen eine sehr hohe Frauenquote auf, darüber hinaus wird in diesen Berufsfeldern ein zunehmend wachsender Bedarf an Fachkräften prognostiziert.

Brückenschlag auf dem Weg zur Ausbildung in den sozialen Dienstleistungen

In einem ersten Schritt stellen zwei Sozialpädagogen in den Abgangsklassen der beteiligten Magdeburger Schulen die Grundidee des Projekts sowie die Ausbildungsgänge und beruflichen Tätigkeiten der geschlechtsuntypischen Berufsfelder vor. "Wir wollen das Interesse der Schüler für diese schönen Berufe wecken, ihnen die guten Perspektiven zeigen und damit auch ihre Motivation wecken", so Sebastian Müller, einer der beiden Sozialpädagogen. Erste Bewerbungen erhalten die beiden bereits direkt im Anschluss an die Vorstellung in den Schulen. Sie vereinbaren aber auch spätere Gesprächstermine in der Schule oder in der EMS, auch das wöchentliche Informationsangebot der EMS wird gut nachgefragt.

Die Teilnehmer können so bereits während der Schulzeit betreut und auf den Übergang von der Schule in die Ausbildung vorbereitet werden. Aber - und hier wird die Brückenfunktion der Begleitung deutlich - die jungen Männer werden auch über die Schule hinaus unterstützt, während der Ausbildung. So kann den Teilnehmern auch während des Übergangs vom System Schule in das System Ausbildung ein verlässlicher Partner zur Seite gestellt werden, auf den sie bei Unsicherheiten oder Krisen zurückgreifen können.

Bereits während der Schulzeit umfasst das Projektangebot die gezielte Berufsorientierung und Berufsvorbereitung in den genannten Berufsfeldern, ebenso Bewerbungstraining und Unterstützung bei der Ausbildungsplatzsuche. Neben den wöchentlichen Treffen verbringen die Sozialpädagogen schon in dieser Projektphase viel Zeit im individuellen, persönlichen Kontakt mit den Schülern. Schon jetzt wird der große Stellenwert von Faktoren wie Sympathie und Verständnis deutlich, um die Jugendlichen bestmöglich unterstützen und fördern zu können.

Motivation gesucht: Vollzeitmaßnahme im Sommer

Zwischen Schulabschluss und Ausbildung soll eine mehrwöchige Vollzeitmaßnahme der weiteren Vorbereitung auf die Berufsausbildung dienen. Angeboten werden z.B. die Vermittlung erster berufsrelevanter Teilqualifikationen, Motivations- und Konflikttraining sowie die Erarbeitung eines persönlichen Ausbildungsfahrplans. Allerdings erwies sich im Projektverlauf die Motivation der Jugendlichen als recht gering. Offenbar ist die "Opferung" eines Teils der Sommerferien ein sehr hoher Preis, den die jungen Männer nicht immer bezahlen wollen, so Frau Meister. Daran ändert auch die Bezahlung eines Entgeltes für die Teilnahme kaum etwas. Alternative, reizvolle und ansprechende Maßnahmen wären ein möglicher Lösungsansatz auf der Suche nach anderen Organisationsformen und Lösungen für diesen Projektabschnitt.

Phase 2: Stabilisierung in der Ausbildungsphase

Äußerst gut nachgefragt wird dagegen die intensive und individuelle sozialpädagogische Begleitung während der Ausbildung. Von den 60 in Ausbildung befindlichen Teilnehmern nutzen 54 dieses Angebot (Stand 22.10.2013), um zu einem erfolgreichen Abschluss bzw. - wegen der begrenzten Projektdauer - zu einer erfolgreichen Zwischenprüfung zu kommen. Die Projektverantwortlichen versprechen sich davon eine deutliche Reduzierung des Risikos von Ausbildungsabbrüchen. Für den Erfolg des Projekts spricht nach der Einschätzung von Frau Meister vor allem die Vermittlung von Perspektiven für viele der beteiligten jungen Männer: "Wege tun sich auf für die Jungen."

Die Begleitung richtet sich in erster Linie nach den individuellen Bedürfnissen der Jugendlichen und kann sowohl soziale als auch fachliche Themen und Probleme umfassen. Die Sozialpädagogen unterstützen in vielfältigen Problemlagen, regen darüber hinaus auch zur Reflexion des eigenen Verhaltens und zur eigenständigen Problemlösung an. Der persönliche Kontakt ist sehr unterschiedlich: Es gibt Teilnehmer, denen reichen Gespräche im mehrwöchigen Abstand, andere kommen deutlich öfter zu den Sozialpädagogen, um Kontakt mit einer männlichen Beratungs- und Bezugsperson zu finden - eben "sehr individuell auf die Teilnehmer zugeschnitten. Wir wollen ihnen wenig Stress machen, aber auch möglichst alles unter einen Hut kriegen", so Herr Müller.

Veränderung geschlechtsspezifischen Berufswahlverhaltens?

Kann ein solches Projekt merkbare Impulse setzen, um geschlechtstypisches Berufswahlverhalten bei jungen Männern zu ändern? Für eine solche Einschätzung ist die Dauer der bisherigen Projektaktivität zu kurz. Zumindest integrieren sich die Teilnehmer in ansonsten von Frauen dominierten Berufsfeldern und können damit als Vorbild und Anreiz für andere junge Männer gelten.

Allerdings konnte eine ernsthafte Auseinandersetzung mit geschlechtsspezifischen Aspekten der Berufswahl, aber auch von Verhaltens- und Lebensweisen, bei den Teilnehmern kaum beobachtet werden. Dabei lag Frau Meister diese eher sozialwissenschaftliche Perspektive bereits bei der Beantragung des Projekts am Herzen, hier hatte sie sich weitergehende Erkenntnisse versprochen.

"Das Projekt bzw. der Projekterfolg steht und fällt mit der intensiven sozialen und persönlichen Einzelberatung."

 

Zur Überraschung der Projektverantwortlichen jedoch besitzen die jungen Männer, die sich zur Projektteilnahme entschließen, bereits so konkrete Vorstellungen von ihrer beruflichen Zukunft und so viel Entschlossenheit, dass dieses Interesse nur noch verstärkt und unterstützt werden muss. Vor allem die Berufe des Altenpflegers und des Erziehers sind durchaus angesehen und nachgefragt bei den beteiligten Jugendlichen. "Dieses Berufsziel ist in ihnen schon angelegt, steckt schon in denen drin, die wollen das", so Frau Meister.

Perspektiven? Gute für die Jungs, ungewisse für das Projekt

Das Projekt erregt nicht nur in Sachsen-Anhalt, sondern auch über das Bundesland hinaus einige Aufmerksamkeit. Erste Versuche, es in andere Regionen zu transferieren, sind allerdings bisher wegen mangelnder finanzieller Mittel und angesichts der kurzen Laufzeit unterblieben. Nach der zweimaligen Zusage von ESF- und Landesmitteln, jeweils für ein Jahr, wurde das Projekt Ende 2013 durch das Ministerium für Arbeit und Soziales für ein weiteres Jahr (bis 30.11.2014) verlängert und aus Mitteln des ESF und des Landes Sachsen-Anhalts gefördert.

Jungs wissen, was sie wollen

Vor allem vier Schlussfolgerungen können nach den zwei Jahren Projektlaufzeit gezogen werden:

Das Projekt verlangt ein hohes Maß an Zuwendung und intensive Einzelberatungen durch die Sozialpädagogen. Ein Klima gegenseitiger Wertschätzung, geprägt von Respekt und Freundlichkeit, ist wichtig, um die Jugendlichen für das Projekt zu gewinnen und sie in die Umsetzung einzubinden. Die Einschätzung von Frau Meister dazu: "Das Projekt bzw. der Projekterfolg steht und fällt mit der intensiven sozialen und persönlichen Einzelberatung. Die Mitarbeiter und das Verhältnis und der Umgang mit den teilnehmenden Jungen sind dabei das A und O."

Die Projektbeteiligten beobachten bei den Teilnehmern eine Steigerung des Selbstwertgefühls und der Motivation, wenn sie ihre guten langfristigen und realistischen Perspektiven erkennen. Auf dem Weg zur Eigenständigkeit stellt Herr Müller bei einem Großteil der jungen Männer Fortschritte fest: "Viele sind gefestigt und haben begriffen, dass sie an sich arbeiten müssen."

Die vollzeitliche Zwischenphase zwischen Schule und Ausbildung kann angesichts der geringen Motivation der Jungen, ihre Sommerferien zu opfern, in der geplanten Form nur schwer durchgeführt werden. In der kurzen Projektzeit war es nicht möglich, hierfür eine gute Lösung zu finden, die von den Jugendlichen angenommen wird.

"Geschlechtergerechte Fragen lassen sich nicht in dem angestrebten Umfang behandeln", so Frau Meister. Die jungen Männer, die die am Projekt teilnehmen, bringen bereits großes Interesse und bestimmte Vorstellungen mit, wohin sie ihr Ausbildungs- und Berufsweg führen soll. Dabei scheinen sie sich über die geschlechteruntypische Berufswahl keine oder nicht allzu viele Gedanken zu machen. Die Aussicht, "mal der Hahn im Korb zu sein", ist also offenbar eher nicht der Grund für ihre Berufswahl. Zumindest nicht der wichtigste.