18.03.2021

Das Budget für Ausbildung

Eine Alternative zur WfbM für ausbildungsinteressierte Menschen

von Barbara Vieweg

Menschen, für die wegen einer individuellen Beeinträchtigung eine Berufsausbildung nach BBiG und HwO nicht in Frage kommt, haben die Möglichkeit, in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung (WfbM) zur arbeiten. Dort durchlaufen sie zunächst ein Eingangsverfahren und treten dann in den Berufsbildungsbereich ein, in dem sie jedoch keinen vollqualifizierenden Berufsabschluss erwerben können. Hier setzt das Budget für Ausbildung an. Barbara Vieweg von der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben (ISL) erklärt, worum es geht.

Mit der entsprechenden Unterstützung können auch Jugendliche mit Beeinträchtigungen den Weg in den regulären Arbeitsmarkt finden. Bild: Andi Weiland, gesellschaftsbilder.de

Seit dem 1. Januar 2020 gibt es im §61a SGB IX einen Rechtsanspruch auf ein Budget für Ausbildung, das bedeutet, dass Menschen mit Behinderungen, die werkstattberechtigt sind, bei einem privaten oder öffentlichen Arbeitgeber eine anerkannte Ausbildung absolvieren können. Dies umfasst Regelausbildungen und Ausbildungen als Fachpraktiker und Fachpraktikerinnen. Dieser Beitrag stellt die wesentlichen Bestandteile der neuen Fördermöglichkeit vor.

Das Budget für Ausbildung ist eine Alternative zum Eingangsverfahren und zum Berufsbildungsbereich und vergleichbar mit dem Budget für Arbeit. Der entscheidende Unterschied ist allerdings, dass beim Budget für Ausbildung ein Anspruch auf Unterstützung bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz durch die Agentur für Arbeit besteht.

Der Gesetzestext lautet: "Menschen mit Behinderungen, die Anspruch auf Leistungen nach §57 (SGB IX) haben und denen von einem privaten oder öffentlichen Arbeitgeber ein sozialversicherungs-pflichtiges Ausbildungsverhältnis in einem anerkannten Ausbildungsberuf oder einem Ausbildungsgang nach §66 des Berufsbildungsgesetzes oder §42m der Handwerksordnung angeboten wird, erhalten mit Abschluss des Vertrages über dieses Ausbildungsverhältnisses als Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben ein Budget für Ausbildung. Das Budget für Ausbildung wird von den Leistungsträgern nach §63 Absatz 1 (SGB IX) erbracht."

Für das Budget Ausbildung besteht ein Anspruch auf Unterstützung durch die Agentur für Arbeit bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz.

 

Wesentliche Merkmale

  • Gefördert werden ausschließlich betriebliche Erstausbildungen und damit keine beruflichen Anpassungs- und Weiterbildungsmaßnahmen und keine überbetrieblichen Ausbildungen.
  • Ein fehlendes Leistungsvermögen für den allgemeinen Arbeitsmarkt und damit eine fehlende Ausbildungsfähigkeit ist kein Hindernis.
  • Das Ausbildungsverhältnis muss durch die zuständigen Stellen in das Verzeichnis der Berufsausbildungsverhältnisse eingetragen werden.
  • Eine vorherige Teilnahme am Eingangsverfahren ist nicht erforderlich.
  • Es handelt sich um eine eigenständige Leistung und somit nicht um eine Maßnahme wie es zum Beispiel die assistierte Ausbildung ist.

Junge Menschen können nun wählen, ob sie in einer Werkstatt arbeiten möchten oder eine Ausbildung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt absolvieren.

 

Leistungsbausteine des Budgets für Ausbildung

1. Erstattung der Ausbildungsvergütung

Die Ausbildungsvergütung wird vollständig erstattet, einschließlich des Arbeitgeberanteils zur Sozialversicherung. Die Erstattung erfolgt bis zum erfolgreichen Abschluss der Ausbildung oder bei vorzeitiger Beendigung bis zu diesem Zeitpunkt.

2. Übernahme der Aufwendungen für die Anleitung und Begleitung

Die Anleitung und Begleitung ergibt sich aus dem behinderungsbedingten Unterstützungsbedarf während der Ausbildung sowohl am Arbeitsplatz als auch in der Berufsschule. Der Bedarf ist individuell zwischen der Rehabilitandin, dem Rehabilitanden und der Reha-Fachkraft zu bestimmen. Folgende Unterlagen und Einschätzungen sollen dabei Berücksichtigung finden:

  • Einschätzung der Eignung und der Fähigkeiten aus Sicht des Ausbildungsbetriebs (Arbeitgeberperspektive) und die Einschätzung des konkreten Anleitungs- und Unterstützungsbedarfes
  • Unterlagen aus Maßnahmen, die bereits absolviert wurden
  • Schulgutachten, Praktikumsberichte und ähnliches
  • Beauftragung des Integrationsfachdienstes zur Feststellung des konkreten Unterstützungsbedarfes im Ausbildungsbetrieb

Der Bedarf an Anleitung und Begleitung wird zwischen den jungen Menschen und den Reha-Fachkräften abgestimmt.

 

Im Ergebnis liegt eine Beschreibung vor, wie die individuelle Anleitung und Begleitung umgesetzt werden soll und mit welchen Kosten sie verbunden ist. Die Kosten für die Anleitung und Begleitung werden in Form eines Budgets erbracht, das bedeutet, die Rehabilitandin oder der Rehabilitand organisiert diese Leistungen selbst und entscheidet damit, wer die Unterstützung leistet. Dafür kommen zum Beispiel Bildungsträger oder freie Anbieter von Jobcoaching in Frage oder auch Kolleginnen und Kollegen im Ausbildungsbetrieb. Unabhängig davon, wer die Unterstützung leistet, muss die Person fachlich – vor allem pädagogisch – geeignet sein.

3. Übernahme der Kosten für die Durchführung des schulischen Teils der Ausbildung in einer Reha-Einrichtung, wenn der Besuch in einer Berufsschule nicht möglich ist

  • Die Reha-Einrichtungen (Berufsbildungswerk, Berufsförderungswerk oder vergleichbare Einrichtungen) müssen auch Träger einer Berufsschule sein.
  • Die Kosten werden in Form eines Budgets erbracht, dafür ist ein entsprechendes Kostenangebot erforderlich. Kostenanteile, die nicht vom Land getragen werden, bilden die Grundlage der Bewilligung für die Höhe des Budgets durch die Agentur für Arbeit. Eine direkte Auszahlung des Budgets an die Reha-Einrichtung ist möglich.

Weitere Regelungen

Gemeinsame Inanspruchnahme der Unterstützung

Mehrere Nutzerinnen und Nutzer des Budgets für Ausbildung können die Anleitung und Begleitung gemeinsam in Anspruch nehmen. Diese Möglichkeit darf aber nicht dazu führen, dass das  Wunsch – und Wahlrecht der antragstellenden Person eingeschränkt wird. Der individuelle Ausbildungswunsch sollte nicht davon abhängig gemacht werden, ob bereits zum gleichen Ausbildungsbeginn eine Budgetnutzerin und ein Budgetnuter oder mehrere Personen, die das Budget nutzen mit der gleichen Ausbildung starten.

Unterstützung bei der Ausbildungsplatzsuche

Das Budget für Ausbildung zeichnet sich gegenüber dem Budget für Arbeit dadurch aus, dass bei einem Wunsch nach einem betrieblichen Ausbildungsplatz  die zuständige Agentur für Arbeit bei der Suche nach einem entsprechenden Ausbildungsplatz tätig wird. Diese Suche erfolgt orientiert an den Wünschen und Ressourcen der  Rehabilitandinnen und Rehabilitanden. Findet sich allerdings kein betrieblicher Ausbildungsplatz,  besteht kein Anspruch auf ein Budget für Ausbildung.

Erfordernis der Teilhabeplanung

Wenn ein Budget für Ausbildung in Frage kommt, müssen bereits in der Bedarfsfeststellung mögliche Perspektiven – insbesondere etwaige Anschlussförderungen berücksichtigt werden. Damit muss der zuständige Träger der Eingliederungshilfe im Rahmen einer Teilhabeplanung beteiligt werden. Bei der Teilhabe­planung geht es darum, Leistungsbedarfe zu ermitteln und festzustellen sowie die in Frage kommenden Leistungen und Rehabilitations­träger zu koordinieren.

Inhalte des Teilhabeplans sind das Datum des Antrags­einganges, die Regelung der Zuständigkeiten und Erstattungs­verfahren zwischen den unterschiedlichen Rehabilitationsträgern sowie die individuelle Bedarfs­ermittlung und Bedarfs­fest­stellung. Ferner werden die eingesetzten Instrumente zur Bedarfsfeststellung sowie die Ergebnisse der Teilhabe­plan­konferenz und die erreichbaren Teilhabeziele dokumentiert. Der Teil­habeplan dient der Steuerung und Planung und soll im weiteren Verlauf des Reha-Prozesses angepasst werden.

Ausbildungsziel nicht erreicht oder Arbeitsplatz nicht gefunden? Die Möglichkeit zur beruflichen Neuorientierung besteht

Ist bei einem vorzeitigen Abbruch der Ausbildung oder im Anschluss an die Ausbildung ein Wechsel in die Werkstatt für behinderte Menschen gewünscht, erfolgt eine Anrechnung auf die Zeiten des Eingangsverfahrens oder des Berufsbildungsbereiches nur, wenn die berufliche Bildung in derselben Fachrichtung fortgesetzt wird. Eine berufliche Neuorientierung ist damit möglich.

Probleme und Herausforderungen

Für eine umfassende Darstellung von Problemen und Herausforderungen ist es noch zu früh, da kaum praktische Beispiele vorliegen. Dies wird sich mit Beginn des Ausbildungsjahres hoffentlich ändern.  Einige lassen sich aber bereits jetzt benennen:

Nur Erstausbildungen

Da nur Erstausbildungen förderfähig sind, fällt der wichtige Bereich der Weiterbildung und der Anpassungsqualifizierung weg. Diese haben aber für einen Verbleib auf dem oder Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt große Bedeutung.

Nur anerkannte Ausbildungsberufe

Es sind nur anerkannte Ausbildungsberufe und Ausbildungen zur Fachpraktikerin oder zum Fachpraktiker förderfähig. Hier hat das Budget für Ausbildung eine entscheidende Begrenzung. Deshalb fordern viele Verbände, dass es ein Budget für Bildung geben muss. Menschen mit Behinderungen und besonderem Unterstützungsbedarf, die zum Beispiel auf passgenauen Arbeitsplätzen tätig sind, üben in der Regel keinen anerkannten Ausbildungsberuf aus. Ihre Qualifikationen erwerben sie in der Regel in Form von Qualifizierungsbausteinen oder Teilqualifikationen, die von den zuständigen Kammern und Stellen anerkannt sind. Ein allgemeines Budget für Bildung würde die gesamte Breite beruflicher Bildung berücksichtigen.

Ausbildungsfähigkeit nicht Voraussetzung und Bedarfsermittlung

b3 - Basiskonzept für die berufliche Bildung
Das Konzept zur Bedarfsermittlung ergänzt und vertieft geltende gemeinsame fachliche Grundlagen, an denen sich die beteiligten Akteure bei der Bedarfsermittlung orientieren können. Es baut auf den sozialrechtlichen Normierungen von UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) und Sozialgesetzbuch (SGB) IX sowie der Gemeinsamen Empfehlung "Reha-Prozess" (2018) auf.

In der Praxis muss ein scheinbarer Widerspruch überwunden werden. Leistungsberechtigt sind Personen, die  Anspruch auf eine Tätigkeit in einer Werkstatt für behinderte Menschen haben. Damit gelten sie als nicht ausbildungsfähig und können dennoch ein Budget für Ausbildung als eigenständige Leistung in Anspruch nehmen. Wichtig ist darum, dass die Reha-Fachkraft vor einer Aufnahme in das Eingangsverfahren oder den Berufsbildungsbereich prüft, ob ein Budget für Ausbildung in Frage kommt. In der Regel bedeutet das, die Interessierten über die Möglichkeit einer Ausbildung mit dem Budget zu informieren.

Die Suche nach geeigneten Ausbildungsplätzen und Berufsschulen wird für die meisten Agenturen für Arbeit und deren Fachkräfte Neuland sein. Der personenzentrierten Bedarfsermittlung für die Anleitung und Begleitung kommt deshalb eine zentrale Bedeutung zu. In den letzten Jahren wurden wichtige Instrumente zur Bedarfsermittlung erarbeitet, die hier Unterstützung leisten können. Besonders zu erwähnen sind hier die Ergebnisse des b3 Projektes der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR).

Das Budget für Ausbildung ist eine eigenständige Leistung

Positiv ist, dass es sich um eine eigenständige Leistung handelt, das bedeutet, sie baut nicht auf anderen Leistungen auf oder ist an sie gebunden. Zu der schwer überschaubaren Maßnahmen-Landschaft kommt also keine weitere hinzu. Es ist wünschenswert, dass Erfahrungen und Elemente der assistierten Ausbildung (AsA) Eingang in das Budget für Ausbildung finden.

Ein Budget für Bildung ist erforderlich

Es ist zu begrüßen, dass dem Budget für Arbeit nun das Budget für Ausbildung an die Seite gestellt wurde. Komplett werden diese Leistungen aber erst, wenn es ein allgemeines Budget für Bildung gibt. Der Umbau des Arbeitsmarktes zu einem inklusiven Arbeitsmarkt braucht Leistungen, die an den individuellen Fähigkeiten und Unterstützungsbedarfen von Menschen mit Behinderungen ausgerichtet sind. Dafür wäre ein Budget für Bildung das geeignetes Instrument.

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